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Die Bombenfischer

Wochenlang protestierten vor dem Gebäude der Regionsregierung mehrere Dutzend Fischer aus Teulada. Ihre Zähigkeit endete mit einem Kompromiss: An den 100 Tagen im Jahr, an denen sie wegen der Militärmanöver keine Netze auswerfen können, erhalten sie künftig 900 Euro pro Monat. Die Militärs können auf dem riesigen Truppenübungsareal weiter die Schlagkraft ihrer Geschosse testen. Seit Anfang der 50er Jahre bombardieren sie Felsen und kleine Inseln oder schießen einfach nur ins Meer und hinterlassen manchen Blindgänger.

von Karl Hoffmann |
    Pietrino Ugguccioni hat den Motor seines Fischerboots angelassen und prüft die Dieselzufuhr. Er hat ihn jüngst mit einer Turbine bestücken lassen, jetzt bringt der Motor 200 PS und Pietrino tut sich viel leichter mit dem Schleppen des Grundnetzes, dafür schluckt der Motor erheblich mehr Treibstoff zusätzlich. Aber das ist das geringere Problem, wichtig ist, dass die Frage der Entschädigungen geklärt ist. Heute kann Piero rausfahren, es ist zwei Uhr nachmittags, in 12 Stunden, um 2 Uhr morgens, wird er wieder im Hafen sein um seinen Fang an den bereits wartenden Großhändler abzuliefern. Er zeigt nach Westen, ins Manövergebiet. Dorthin wird er gleich fahren, verbotenerweise.

    "Wir fahren immer dann ins Manövergebiet, wenn grade keine Übungen stattfinden. Die Militärs lassen uns meistens in Ruhe. Genau genommen dürften wir unter keinen Umständen dort fischen oder gar den Anker werfen. Sollte aber ein Polizeiboot daherkommen und kontrollieren, dann würden wir eine saftige Strafe bezahlen. Wenn wir dort fischen, dann verstoßen wir gegen die Vorschriften und können jederzeit bestraft werden. Denn auch ohne Manöver dürfen wir dort nicht arbeiten. Solange nicht geschossen wird, fischen wir aber trotzdem."

    Der Grund liegt auf der Hand: In den Küstengewässern vor dem Cap Teulada ist der Grund sandig und nicht sehr tief, da lässt es sich mit den Schleppnetzen gut arbeiten. Aber auch das absolute Verbot hat seinen Sinn. Das Fischen dort ist nämlich lebensgefährlich.

    Die Gegend ist voller Blindgänger, die in die Netze geraten können. Ist mir auch schon passiert. Wir versuchen sie dann wieder loszuwerden, möglichst dort, wo nicht gefischt wird, so nahe am Land, wie es nur geht, zwischen den Klippen. Es kommt vor, dass sich inmitten unseres Fischfangs plötzlich so ein Ding finden. Ich habe mal ein Geschoss entdeckt, eine Panzergranate oder eine Bombe, ich kenn mich da nicht aus, die war immerhin einen Meter lang. Natürlich kriegt man da einen Riesenschrecken. Aber was soll man machen, das Ding kann man ja nicht im Boot behalten, also nimmt man es ganz vorsichtig in die Hände und wirft es so schnell wie möglich wieder ins Wasser.

    Pietrinos Lachen wirkt gruselig. Die Vorstellung er könnte heute Nacht wieder einen scharfen Sprengkörper im Netz finden, muss er ganz schnell wieder abschütteln. Eine explodierende Granate wäre ein viel zu hoher Preis für die Freiheit, die er sich in vielen Jahren erarbeitet hat. Pietrino ist 50. Als junger Mann ist er ausgewandert, fand Arbeit in einer Fabrik in Norditalien. Eines Tages ist er aufgewacht, schildert er, und hat beschlossen nie wieder jeden morgen und jeden Abend seine Karte in die Stechuhr zu schieben. Er fuhr nach Hause und kaufte sich mit einem Kredit sein hölzernes Fischerboot. Er wollte sein eigener Herr sein. Doch es ist eine Freiheit mit Schattenseiten. Das Leben Seite an Seite mit Kriegsschiffen, zwischen Manövern mit scharfer Munition ist aufreibend. Man muss verdammt aufpassen, sagt Pietrino. Und dann ist da noch etwas: die Fangmengen gehen ständig zurück, das Meer ist bald leer gefischt. Er wünscht sich eine radikale Umkehr, wie sie von der EU seit langem gefordert wird:

    "Die Fangflotten müssen weiter reduziert werden, stattdessen müssen sich die einzelnen Fischarten wieder erholen können, indem man ihren Lebensraum überwacht. Dazu müssten strenge Kontrollen einerseits und Methoden zur Wachstumsförderung eingeführt werden. Schließlich sollte auf bestimmte Fangmethoden völlig verzichtet werden. Ich sage das gegen mein eigenes Interesse, aber die Grundnetze, wie ich sie verwende müssten eigentlich abgeschafft werden."

    Pietrino Ugguccioni wäre sofort mit sinnvollen Veränderungen einverstanden, sofern auch die Militärs abzögen und die unzähligen Bomben und Granaten am Meeresgrund beseitigt würden. Aber das hält Pietrino für ziemlich schwierig.

    "Seit den 50ger Jahren liegen da Projektile, Bomben und Granaten wahllos herum, abgeschossen von Flugzeugen, Schiffen und Hubschraubern, von Haubitzen und Panzern. Eine Säuberung dürft ziemlich problematisch sein. Außerdem weiß doch kein Mensch, was da unten liegt, Niemand weiß welche Art von Munition da verwendet wurde. Mag ja sein, dass die Italiener nie uranhaltige Munition verwendet haben. Aber es haben ja nicht nur die Italiener hier rumgeballert. Sondern die Amerikaner, die Franzosen die Engländer und die Deutschen. Kurz: die Truppen sämtlicher Nato-Länder. Und sie haben mit allen Mitteln geschossen, die sie hatten. Von Schiffen und Flugzeugen, Panzern und Hubschrauber, und deshalb weiß heute keiner mehr, was jetzt da unten alles liegt."