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Die Bombenleger aus der Nachbarschaft

Im Prozess gegen die Sauerlandgruppe haben die vier Angeklagten gestanden, Anschläge auf US-Soldaten in Deutschland vorbereitet zu haben. Zwei der Angeklagten waren deutsche Konvertiten. Was hat sie dazu veranlasst, sich einem islamistischen Terrornetzwerk anzuschließen?

Von Rolf Clement | 03.03.2010
    Was hat Fritz Martin Gelowicz veranlasst, die Gartenzaunidylle von Neu-Ulm gegen den Heiligen Krieg einzutauschen? Fritz Martin Gelowicz ist einer der vier Angeklagten im sogenannten Sauerlandverfahren. Gemeinsam mit Daniel Schneider, Adem Yilmaz und Atilla Selek hat er nach den Geständnissen des Quartetts im Jahr 2007 Anschläge gegen Einrichtungen oder Soldaten der US-Streitkräfte in Deutschland geplant.

    Morgen soll das Urteil gegen die Vier gesprochen werden. Drei von ihnen wurden im September 2007 im Sauerland festgenommen - nach diesem Festnahmeort wurde die Gruppe benannt -, der vierte etwas später in der Türkei. Zwei der Vier, Gelowicz und Daniel Schneider, sind sogenannte Konvertiten, also junge Männer, die erst vom Christentum zum Islam übergetreten sind und dann radikalisiert wurden, um in den Heiligen Krieg, den Dschihad zu ziehen.

    Die Frage, die Gelowicz Anwalt Dirk Uden in seinem Plädoyer stellte, bewegte viele, die sich mit diesem Verfahren beschäftigten: Was veranlasst einen jungen Mann, aus der integrierten Rolle in der Gesellschaft in den Dschihad abzurücken?

    Eine schlüssige Antwort auf diese Frage konnte der Prozess in Düsseldorf nicht geben. Verteidiger Dirk Uden verweist darauf, dass sich die Angeklagten während des Prozesses auch gewandelt haben:

    "Letztendlich abschließend beurteilen wird man das nicht mehr können, auch das habe ich in meinem Plädoyer gesagt. Die Gefühlslage ist heute eine deutlich andere als vor zweieinhalb Jahren, als der Prozess anfing, als vor dreieinhalb Jahren, als die Tat anfing, oder vor fünf Jahren, als man loszog, Terrorist zu werden."

    In diesem Prozess ging es darum, dass die vier Angeklagten Anschläge in Deutschland vorbereitet haben. Allerdings konnte ihnen rechtlich gesehen noch kein Anschlagsversuch, ja nicht einmal eine konkrete Anschlagsplanung vorgeworfen werden. Denn sie hatten bis zu ihrer Verhaftung noch kein konkretes Ziel für einen Anschlag ins Auge gefasst. Die Planungen der Vier waren noch sehr vage, obwohl Generalbundesanwältin Monika Harms schon nach der Verhaftung der Sauerlandgruppe im September 2007 die denkbaren Ziele benannte:

    "Als mögliche Anschlagsziele nahmen die Beschuldigten von Amerikanern besuchte Einrichtungen wie etwa Diskotheken, Pubs oder Flughäfen in Aussicht, vor denen mit Sprengstoffsubstanzen beladene Fahrzeuge zur Detonation gebracht und eine Vielzahl von Personen getötet oder verletzt werden sollten."

    Es waren Orte, an denen vor allem US-Soldaten verkehrten, aber auch - etwa in den Kneipen oder Diskotheken - junge deutsche Frauen. Das haben die Vier in Kauf genommen - die Mädchen hätten sich ja nicht mit den US-Soldaten einlassen müssen, meinte zum Beispiel Adem Yilmaz in seiner Vernehmung.

    In der Anklageschrift fand sich zudem der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Diesen Vorwurf bestritten die vier Angeklagten zunächst. Zu Beginn des Prozesses erklärten sie mit Unschuldsmine, sie wüssten gar nicht, was die islamische Dschihad Union eigentlich sei. Aber später, im Rahmen ihrer umfassenden Geständnisse, räumten sie dann ein, dass das die Organisation gewesen sei, die sie im pakistanischen Wasiristan ausgebildet habe.

    Da die Angeklagten seit dem Sommer vergangenen Jahres sehr ausführlich alles gestanden hatten, was ihnen vorgeworfen wurde - und sogar ein bisschen mehr -, gab es keine juristischen Probleme bei diesem Verfahren. Eine Verteidigerin bezeichnete ihr Wirken lustlos als "Geständnisbegleitung". Aber für die Angeklagten hatten die Geständnisse einen doppelten Sinn, wie Johannes Pausch, der Anwalt von Daniel Schneider, meinte:

    "Das Ziel ist, sozusagen aufzuräumen mit der Vergangenheit und natürlich gleichzeitig auch die Chance wahrzunehmen, durch ein umfassendes Geständnis Strafmilderung zu erreichen, so, wie es der Gesetzgeber vorsieht."

    Adem Yilmaz, ein türkischstämmiger Angeklagter, hatte die Geständnisse in Gang gebracht: Er sagte, er wollte den Prozess möglichst schnell hinter sich bringen. Das ganze Verfahren im Dauerstreit mit Richtern und Anklägern zu führen, das erscheine ihm doch langweilig. Deshalb forderte er seine drei Mitangeklagten zum Geständnis auf, und die zogen mit.

    Schließlich hatten sie zu diesem Zeitpunkt längst erfahren, dass die Polizei alle ihre Gespräche mitgehört und auch noch beobachtet hatte, wie die vier ihre Anschläge geplant und vorbereitet hatten. Yilmaz gab den Anstoß dazu, dass der Prozess zügig zu Ende geführt werden konnte. Und dies, obwohl er noch zu Beginn der Verhandlung den Hardliner gegeben hatte: Er stehe nur für Allah auf, beschied er Richter Ottmar Breidling, und kassierte dafür gleich in den ersten Tagen Ordnungsstrafen.

    Hätte sich Yilmaz den gesamten Prozess über geweigert, aufzustehen, wenn die Richter den Verhandlungssaal betreten, dann hätte ihm allein dieses Verhalten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zusätzlich zu der Hauptstrafe eingebracht. Aber Breidling vermied den Dauerkonflikt mit dem Angeklagten und griff zu einer List: Yilmaz wurde immer erst dann in den Saal geführt, wenn das Gericht schon Platz genommen hatte. "Respekt", sagte Yilmaz, und bescheinigte dem Richter, er sei ein echter Profi, ein Emir, dem zu folgen ihm auch als Islamist erlaubt sei. Dieser Respekt, den Breidling sich erwarb, war es, der den Angeklagten ihre Geständnisse erleichterte.

    Einer der Angeklagten sah sich vor Gericht mit einem deutlich schwereren Vorwurf konfrontiert als die übrigen drei. Daniel Schneider musste sich zusätzlich wegen versuchten Mordes verantworten. Schneider hatte bei seiner Festnahme in einem Gerangel einem Polizisten die Waffe aus dem Halfter gezogen und einen Schuss abgefeuert, der aber niemanden verletzte. Hatte sich der Schuss einfach gelöst? Oder war es ein gezielter Schuss? Im Prozess stand Aussage gegen Aussage. In seinem Schlusswort erst entschuldigte sich Schneider offiziell bei dem Polizisten, den beinahe die Kugel getroffen hätte. Sein Anwalt Johannes Pausch allerdings will Schneiders früheres Verhalten schon als Entschuldigung werten. Angesprochen auf das Schlusswort meinte er:

    "Das hat er - und das hat er ja auch zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon einmal mittelbar, indem er sich erkundigt hat, unmittelbar nach der Festnahme: Wie geht es denn Herrn Frank? Jetzt hat er es noch einmal in seinem Schlusswort getan, und das ist gut so."

    Rein rechtlich und prozesstechnisch betrachtet war der Sauerlandprozess also wegen der umfangreichen Geständnisse wenig aufsehenerregend. Was die Einblicke in den islamischen Extremismus angeht, brachte er jedoch neue Erkenntnisse. Immerhin sind die Angeklagten Gelowicz und Schneider die ersten deutschen Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Straftaten im Zusammenhang mit dem, was sie als Heiligen Krieg empfinden, angeklagt wurden. Das bisher vor allem aus Großbritannien bekannte Phänomen der "Homegrown Terrorists", der hier aufgewachsenen islamistischen Terroristen, hat damit Deutschland erreicht.

    Beide waren in die deutsche Gesellschaft integriert. Gelowicz lebte in München und Ulm, seine Eltern trennten sich, aber die Trennung war schwierig, da der Vater weiter im Haus der Mutter wohnte. Fritz Gelowicz kam durch seinen Übertritt zum Islam in die Szene des sogenannten Multikultihauses in Neu-Ulm, damals eines der Zentren des radikalen Islam in Deutschland.

    Wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten, die von diesem ausgegangen waren, wurde es vom bayerischen Innenminister Beckstein geschlossen. Sein Glaubensbruder Khaled el Masri, der ebenfalls um Neu-Ulmer Multikultihaus verkehrte, wurde von US-amerikanischen Geheimdienstlern in Mazedonien gekidnappt und nach Afghanistan verschleppt. Diese CIA-Entführung empfand Gelowicz - so sagte er es in seiner Vernehmung - als äußerst ungerecht. Er beschloss, gegen seine Machtlosigkeit anzugehen und zog in den Heiligen Krieg.

    Ganz ähnlich war auch die Motivation, die Daniel Schneider in den Dschihad geleitete. Auch seine Familie zerbrach - für ihn völlig überraschend. Erst lebte er bei seiner Mutter, später beim Vater. In dieser Phase schloss er Freundschaft mit einem Moslem, der ihn zum Übertritt zum Islam brachte.

    Schneider stieg an seinem 18. Geburtstag gegen den Willen des Vaters aus der Schule aus, ging nach Brasilien, wo er, wie er es sagte, "in der Natur leben" wollte. Das Abenteuer scheiterte. Daniel Schneider kehrte nach Deutschland zurück und leistete seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr. Sein Wunsch, Berufssoldat zu werden, scheiterte aus medizinischen Gründen. Unmittelbar nach der Bundeswehrzeit kehrte er dem normalen Leben in Deutschland wieder den Rücken zu und zog in den Heiligen Krieg. Seine Suche nach einem neuen Lebenssinn endete also bei einem Prediger, der ihm eine besonders konservative Form des Islam näherbrachte.

    Die beiden anderen Angeklagten sind keine Konvertiten. Adem Yilmaz und Atilla Selek sind in Deutschland aufgewachsen, sie sind deutsche Staatsbürger. Beide zählten zu den in die Gesellschaft integrierten Moslems, bis es auch in ihren Lebensläufen zu Brüchen kam, die sich radikale Moslems zunutze machten, um die beiden für den Heiligen Krieg anzuwerben.

    Die Radikalisierung junger Männer findet heute, so die Beobachter der Szene, nicht mehr in erster Linie durch die Predigten in bestimmten Moscheen statt. Seit fast einem Jahrzehnt läuft diese Radikalisierung anders ab. Heute gibt es in bestimmten Moscheen Seminare, bei denen den Teilnehmern vermittelt wird, dass es eine Pflicht für jeden überzeugten Moslem sei, in den Heiligen Krieg zu ziehen. Endgültig angeworben werden die Kandidaten dann aber in Gesprächen am Rande dieser Seminare.

    Dies zeigt: Für die Radikalisierung dieser "Terroristen von nebenan" bedarf es keiner sonderlich ausgeprägten Infrastruktur. Lange Zeit war das Multikultihaus in Neu-Ulm der Ort, an dem sich Menschen trafen, die bereit waren, in den Dschihad zu ziehen. Seit das Haus geschlossen ist, haben sich neue Zentren des Heiligen Krieges in anderen Städten gebildet: in Braunschweig, Berlin, Hamburg und vor allem in Bonn.

    Das Beispiel Bonn zeigt, wie solche Zentren entstehen können. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die sogenannte König-Fahd-Akademie, eine Schule, die von vielen Kindern muslimischer Diplomaten besucht wurde, als Bonn noch Regierungssitz war. Nach Auseinandersetzungen um die Lehrinhalte an der Akademie wurde der Schule der Status als sogenannte Ersatzschule entzogen. Das heißt, ihre Abschlüsse werden in Deutschland nicht mehr anerkannt.

    Seither rekrutieren sich die Schüler der Akademie aus einer sehr speziellen Klientel. Es sind die Kinder sehr wohlhabender Muslime, die sich in einer der zahlreichen Bonner Privatkliniken oder der Universitätsklinik behandeln lassen. Der Hintergrund dieses Gesundheitstourismus: Seit den Anschlägen auf New York und Washington am 11. September 2001 sind die USA als Ziel behandlungsbedürftiger Muslime nicht mehr schicklich. Andererseits nehmen auch US-amerikanische Kliniken Patienten aus der islamischen Welt längst nicht mehr so freundlich auf wie früher.

    Nun also ist Bonn noch mehr als zuvor eines der bevorzugten Reiseziele. Damit aber strenggläubige Moslems stillhalten, wenn sich ihre wohlhabenden Landsleute von sogenannten Ungläubigen in Bonner Kliniken behandeln lassen, müssen die Patienten Geld zahlen. Dieses Geld landet in den Kassen radikaler muslimischer Gemeinden in Bonn, die davon dann die Rekrutierungsseminare veranstalten, bei denen junge Männer für den Heiligen Krieg angeworben werden.

    Wie wirksam diese Infrastruktur offenbar ist, das lässt sich im Internet betrachten. Dort tauchen seit einem Jahr immer wieder Videos auf, in denen ein Brüderpaar aus Bonn für die Beteiligung am Heiligen Krieg wirbt. Es sind die in Bonn aufgewachsenen, marokkanisch-stämmigen Monir und Yassin Chouka. Ihre gesamte Familie war in Bonn bestens integriert, die Kinder besuchten den katholischen Kindergarten und die katholische Grundschule, später ein Gymnasium. Sie waren Mitglieder in Sportvereinen und gingen zur Bundeswehr. Dann plötzlich tauchen die Brüder in den Gewändern islamischer Fundamentalisten auf. Die Wahrheit kommt erst ans Tageslicht, als die beiden Brüder mit rheinischem Dialekt im Internet für den Heiligen Krieg werben.

    Das Sauerlandverfahren hat für die Sicherheitsbehörden wertvolle neue Erkenntnisse gebracht, zum Beispiel über die Islamische Dschihad Union, kurz IJU, der die Angeklagten angehörten.

    Vor allem über den inneren Aufbau, die Finanzausstattung und die Akteure der IJU haben die Vier offenkundig auch für die Sicherheitsbehörden Neuigkeiten mitgeteilt. Den Wert dieser und anderer Aussagen bewertet Bundesanwalt Brinkmann als sehr hoch:

    "Wir haben wichtige Erkenntnisse erlangt über die Denkweise der Islamisten, die Ausbildungslager im Grenzgebiet Pakistan-Afghanistan absolviert haben. Wir haben sehr wichtige Erkenntnisse - Interna - über diese Lager selbst erfahren."

    Der Weg in den Heiligen Krieg ist beschwerlich, das machten die Aussagen deutlich. Das beginnt schon bei der Sprachausbildung. Kandidaten für den Heiligen Krieg werden von den Moscheen in Deutschland zum Erlernen der arabischen Sprache nach Syrien, Ägypten oder in den Jemen geschickt.

    Zurück in Deutschland leben die angehenden Heiligen Krieger weiter in ihren Moschee-Gemeinden, immer unter Beobachtung der Rekruteure für den Dschihad-Einsatz. Werden sie dort für geeignet gehalten, werden sie über bestimmte Reisebüros in die Türkei und von dort aus mit Schleppern in die Ausbildungslager in Wasiristan oder dem Jemen geleitet.

    In der Türkei bereits tauchen sie in die Illegalität ab. Die Anwärter für den Heiligen Krieg haben keine Visa, um dann über den Iran weiterzureisen. Da warten immer wieder Tests: Zum Beispiel lassen manche Schleuser tagelang auf sich warten.

    Die Ausbildungslager in Wasiristan sind als solche kaum zu erkennen. Es sind für die Region typische Dörfer: Lehmhütten, in denen Ausbilder und Rekruten in - getrennten - kleinen Gruppen leben. Regelmäßig werden die Unterkünfte gewechselt, und zwar nachts, damit die Bewegungen nicht entdeckt werden können.

    Waffenkunde steht ganz oben auf dem Ausbildungsplan. Sie lernen den Umgang mit Sprengstoffen: Wie gehe ich mit einer Mine um, wie mit einer Bombe? Und: Wie stelle ich einen solchen Sprengsatz her? Sie üben also nicht nur den Kampf an der Front, sondern werden auch für Anschläge ausgebildet. Dabei lernen sie auch, wie man Anschlagsziele ausspäht, ohne aufzufallen.

    Die Rekruten lernen dort außerdem, wie man Gift herstellt, etwa aus verdorbenem Fleisch, aus bestimmten Eidechsen oder aus Zigaretten. Und schließlich lernen sie den Umgang mit Elektronik. Informatik hingegen war, so die Aussagen im Düsseldorfer Prozess, nur ein Randaspekt der Ausbildung.

    Der theoretischen Ausbildung folgte die praktische. Dazu zog die Gruppe ins Gebirge. Dort erhielten sie eine klassische Militärausbildung, so, wie die Sowjetarmee sie zur Zeit des Kalten Kriegs durchgeführte.

    Die deutschen Rekruten waren überfordert, in großer Höhe in den pakistanischen Bergen, mit ungewohnter Nahrung und einem Dienstplan, der von 5.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr abends reichte. Die psychischen und physischen Anforderungen machten sie krank, und zwar für längere Zeit. So lange, dass die Ausbilder nur noch zögerlich weitere Mitteleuropäer als Rekruten aufnehmen.

    Die Sicherheitsbehörden versuchen, aus den Lebensläufen der Angeklagten und anderer Islamisten so etwas wie ein Raster zu entwickeln. Das soll ihnen helfen, mögliche Dschihadisten frühzeitig zu erkennen. Das ist schwierig, schließlich unterscheiden sich die Lebensläufe sehr stark. Bundesanwalt Brinkmann:

    "Die Angeklagten haben Lebenswege gehabt, die durchaus auch schon bei anderen islamistischen Verfahren eine Rolle gespielt haben. Aber man muss schon sagen, dass es schon sehr spezifisch bei einigen von ihnen war: Da hat das Elternhaus eine Rolle gespielt, Das war ja auch Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen. Das muss nicht bei jedem Straftäter aus diesem Bereich der Fall sein."

    Eines hatten die vier Angeklagten im Sauerlandprozess gemeinsam: Irgendwann sind sie aus ihrer Lebensbahn gekippt, haben den Halt in ihrem Leben verloren. In dieser Lebensphase gerieten sie in die Hände islamistisch orientierter Menschen. Der strenge Islam bot ihnen ein geschlossenes System, in dem sie eine neue Lebensorientierung fanden. Die Sauerlandgruppe, aber auch schon der im Dezember 2008 verurteilte Kofferbomber machten deutlich, dass sie sich nach ihrer Lebensmetamorphose als Werkzeuge Allahs betrachteten: Allah sei verantwortlich für den Weg, den sie eingeschlagen haben, er habe sie in den Heiligen Krieg geführt, er habe sie die Anschläge in Deutschland planen lassen, er habe aber letztlich auch dafür gesorgt, dass diese Pläne nie umgesetzt worden sind.

    Ursprünglich war es gar nicht das Ziel der Mitglieder der Sauerlandgruppe, Anschläge in Deutschland zu verüben. Eigentlich wollten sie im Nahen Osten kämpfen; oder in Tschetschenien, in Afghanistan oder im Irak. Überall dort also, wo ihrer Meinung nach Ungläubige in islamisches Gebiet eingedrungen sind, wollen sie auf Seiten ihrer Glaubensbrüder kämpfen. Erst die Anführer der IJU in Wasiristan schicken sie immer wieder zurück nach Deutschland. Denn dort, so glauben sie, sei mit relativ geringem Aufwand ein Anschlag durchführbar, der deutlich mehr Aufsehen erregen würde als ein weiterer Anschlag in Afghanistan, Pakistan oder dem Irak.

    Immer wieder kehren Terroristen aus den Ausbildungscamps nach Deutschland zurück. Die Sicherheitsbehörden haben über 100 solcher Camprückkehrer gezählt. Sie werden zumeist nicht sofort aktiv. Sie bleiben hier als Schläfer und warten auf einen Einsatzbefehl. Deshalb kommt Innenminister de Maiziere zu der Erkenntnis:

    "Trotz aller Bemühungen ist auch in Deutschland eines Tages ein schwerer Terroranschlag nicht auszuschließen."

    Zweimal ist Deutschland nur sehr knapp einem Anschlag entgangen. Denn auch wenn sich die Planungen und Vorbereitungen der Sauerlandgruppe erst in einem frühen Anfangsstadium befunden haben, an ihrem ernsthaften Vorsatz kann nach Lage der Dinge kein Zweifel bestehen.

    Und im Sommer 2006 hatten die sogenannten Kofferbomber ihre Koffer bereits in zwei Regionalzügen abgestellt. Sie scheiterten an unzulänglichen Chemiekenntnissen: Sie hatten zu wenig Sauerstoff in das Explosionsgemisch gepresst. Hier hatten die Sicherheitskräfte die Täter nicht vor der Tat entdeckt.

    Morgen nun sucht das Gericht den Weg zwischen notwendiger Abschreckung und angemessener Würdigung der Geständnisbereitschaft. Die Bundesanwaltschaft hat Strafen zwischen fünf Jahren und sechs Monaten und 13 Jahren gefordert. Die Anwälte beantragten vier Jahre bis knapp zehn Jahre. Beachtlich ist, dass es trotz der Geständnisse keine Reaktionen aus Wasiristan gegeben hat. Dirk Uden, der Anwalt von Fritz Martin Gelowicz, mit einem Augenzwinkern vor der Urteilsverkündung:

    "Ich habe von der IJU weder Drohungen noch Mandate bekommen."