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Die Boxbrüder

Es mag kritischere Filme zum Thema gegeben haben. Aber "Klitschko" ist trotzdem einer der spannendsten Filme des Genres geworden, direkt aus der Ringecke der ewigen Titelverteidiger. Das Drama der unbesiegbaren Klitschkos ist der Stoff, aus dem die Träume unserer Tage sind.

Von Josef Schnelle |
    ""Lets get ready to rock. Vitali and Wladimir Klitschkoooooo!"

    Der Ringsprecher signalisiert, dass die Show nun beginnen kann, und er nennt gleich beide Brüder, obwohl nur einer von ihnen boxen wird. Sie sind die Superstars des Boxgeschäfts, haben zusammen vier der Titel der miteinander zerstrittenen Weltboxverbände inne, und den größten Kampf des Jahrhunderts wird es niemals geben, den der beiden Hühnen aus der Ukraine gegeneinander. Das haben sie ihrer Mutter versprochen. So steht der eine als Berater in der Ecke, wenn der andere boxt. Derjenige außerhalb der Ringseile muss auch gleich die Mutter anrufen, damit sie sich keine Sorgen macht. Vitali oder ist es Wladimir - philosophiert in Klitschko-Deutsch über die Gefahren des Boxsports:

    "Die Gefahr ist groß. Mit jedem Schlag kann deine Nase brechen. Du kannst dein Auge verlieren. Du kannst sogar dein Leben verlieren. Wenn ein Sportler Angst hat, sich zu verletzen oder seine Gesundheit zu verlieren, wenn ein Sportler nicht bereit ist, alles zu geben, dann wird er nie erfolgreich sein."

    Die Geschichte der ukrainischen Brüder Vitali und Wladimir Klitschko ist so ganz anders, als diejenigen der übrigen Boxlegenden von Muhammad Ali bis Mike Tyson. Die Krone des Boxsports war bisher stets den ansonsten im Leben chancenlosen Jungs aus dem Milieu vorbehalten. Nur sie brachten die notwenige Brutalität im Ring auf. Nur der Leidensdruck der Hoffnungslosen war geeignet, die Strapazen des Aufstiegs im harten Geschäft des Boxens durchzustehen. Am Ende winkten Ruhm und Ehre und ganz viel Geld, das die harten Jungs aus der Unterwelt auch wieder ganz schnell durchbrachten, wenn sie nicht sowieso am "Schmutzigen Lorbeer" der Korruption geschnuppert hatten.

    Das Kino liebte diese Jungs und hat ihnen Hunderte von Spielfilmen und einige wenige - dafür aber großartige - Dokumentarfilme gewidmet. Das Geschehen im Ring ist nämlich gar nicht so leicht zu dokumentieren. Die Bewegungen sind schnell und man weiß nie, wo der entscheidende Schlag landen wird. Man braucht eher mehrere Kameras und ein profundes Wissen des Sports, um zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Und wenn man dann noch das Atavistische des Boxsports einfangen möchte, die vielen politischen und ästhetischen Konnotationen dabei nicht vergessen will, dann wird ein Boxdokumentarfilm eine extrem schwierige Angelegenheit.

    Inzwischen kommt hinzu, dass die Zuschauer Fernseh-Liveaufnahmen der Boxereignisse gewöhnt sind. Deren Vermarktung hat der Hamburger Boxstall Universum von Hans Peter Kohl spätestens seit der Verpflichtung der Klitschko-Brüder mit seinen Fernsehpartnern perfektioniert. Was hat ein abendfüllender Film schon zu bieten, der dagegen antritt. Ohne Boxszenen geht es natürlich nicht, aber interessant ist vor allem das, was zwischen den Faustkämpfen passiert. Wladimir Klitschko macht dem Regisseur Sebastian Dehnhardt ein ganz besonderes Kompliment:

    "500 Stunden Material hat er gehabt. Daraus dann 110 Minuten zu machen ist schon echt eine schwierige Arbeit gewesen. Uns hat es Spaß gemacht."

    Die Geschichte der Klitschko Brüder ist nicht eine dieser Geschichten vom Tellerwäscher, der Millionär wird. Es handelt sich vielmehr um äußerst kalkulierte Karrieren, die die beiden Modellathleten mit sportwissenschaftlichem Doktortitel eingeschlagen haben. Nichts dem Zufall überlassen, cool und klug jeden Schritt aufbauen, bevor man den nächsten tut, sportliche Rückschläge nicht gleich als Ende der Karriere begreifen. Mit diesem Rezept und natürlich mit ihren Fäusten sind "Dr. Eisenfaust und Dr. Steelhammer", so die großspurigen sogenannten Kampfnamen der beiden, ein unwiderstehliches Duo geworden. Sie gelten wegen ihrer Karriereschwerpunkte in Deutschland ein wenig als eingemeindete quasi deutsche Sportstars, da können sie noch so oft die ukrainische Nationalflagge schwenken.

    Die Lebensgeschichte der beiden hat aber auch einen ernsten Akzent, der im Film ausführlich beleuchtet wird: das Stichwort ist "Tschernobyl". Als kleine Jungs ließen sie ihre Papierschiffchen in Pfützen schwimmen, von denen sie nicht wussten, dass sie aus radioaktivem Wasser bestanden. Die kontaminierten Fahrzeuge, die vom Reaktor kamen, wurden im Hof des Elternhauses abgewaschen. Wladimir und Vitalis Vater arbeitete am Unglücksort. Er hat heute Krebs. Die Klitschkos sind sich sicher, dass diese Erkrankung auf den Dienst am Reaktor zurückzuführen ist. Er genießt heute beste medizinische Versorgung in Deutschland, wie seine Söhne betonen, doch wenn man ihn nach dem Unglück fragt, zeigt sich seine Verbitterung:

    "Von Beginn an hat die Regierung die Wahrheit verschleiert. Sie wollten die Situation verharmlosen. Sie sagten uns, alles sei unter Kontrolle."

    Der Film "Klitschko" fängt spektakuläre Kampfszenen faszinierend mit High-Speed-Kameras ein, zeigt aber auch die brutale Realität des Gewaltsports, der Gesichter in Fleischklumpen verwandeln kann. Einige Einsichten in die Natur des archaischen, gnadenlosen Fights und auf die Hintertreppen des Boxsports werden aber auch vermittelt. Es mag kritischere Filme zum Thema gegeben haben. Ein bisschen Hochglanzberichterstattung vom Hofe der Könige des Boxsports ist er auch. Aber "Klitschko" ist trotzdem einer der spannendsten Filme des Genres geworden, direkt aus der Ringecke der ewigen Titelverteidiger. Vielleicht wird es noch einmal andere Boxerdramen geben, aber das Drama der unbesiegbaren Klitschkos ist der Stoff, aus dem die Träume unserer Tage sind.