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Die Bubi Scholz-Story

In seinem Buch "Die Bubi Scholz-Story" hat Uwe Timm versucht, das Leben der Boxerlegende nachzuzeichnen. Er ließ sich ein Jahr Zeit für die Recherche, sprach mit dessen Trainer und Manager, mit Freunden und Verwandten und schließlich mit Bubi Scholz selbst. Eine fiktive Story ist das Ergebnis dieser Bemühungen. Eine Faszination am Boxsport ist nicht die Grundlage der Geschichte. "Ich habe eher ein distanziertes Verhältnis dazu", so Uwe Timm. "Was mich daran interessiert hat, an Bubi Scholz, ist einmal, daß es ein Teil meiner Kindheits- und Jugendgeschichte ist, und daß es zugleich eine Figur ist, die in einer fast einmaligen Weise etwas über unsere Gesellschaft erzählt, eine Gesellschaft, die sehr auf Konkurrenz und Erfolg aufgebaut ist, Sieger und Besiegte kennt, sehr auf Geld aufgebaut ist, und all das hat den Bubi Scholz auch sehr interessiert, er hat das sogar verkörpert, als Boxer. Faszinierend, daß auch das Geld einen anderen Wert bekam. Er hat das Geld immer selbst vewaltet, er hatte keinen Anlageberater oder sowas, wie heute viele Sportler. Ich denke, daß er einfach eine Figur ist, die sehr viel über uns und auch über mich erzählt. In der ich mich selbst wiederfinde, natürlich in einer anderen Lebenssituation, aber der sich sehr viele Verhaltensweisen ziemlich deutlich zeigen lassen können."

Bettina Schoeller | 22.05.1998
    Der Schriftsteller ist mit dem Alltagsmythos Bubi Scholz groß geworden, wie er in der Tagespresse und in den UFA-Wochenschauen vermittelt wurde: Ein Arbeiterkind vom Prenzlauer Berg boxt sich durch das hungrige Nachkriegsdeutschland in die Riege der oberen Zehntausend. Er wird zum Idol einer ganzen Generation, denn er sieht auch noch gut aus, wird mit James Dean verglichen, die Frauen liegen ihm zu Füßen, er ist der Liebling der Presse. Sein Name wird zum Synonym für Wirtschaftswunder, zum amerikanischen Traum auf deutschem Boden. Bubi Scholz repräsentiert wie kaum ein zweiter die 'neue' Lebensform, den Mentalitätswandel, der sich in den 40ern bis 60ern in Deutschland vollzieht. Er ist einer der ersten deutschen Sportler, der sich amerikanisch kleidet, Jeans und Windjacken trägt und Cowboy-Hüte aufsetzt. Bubi Scholz im Sportwagen, einem Thunderbird. Bei seinen Kämpfen sitzt die Prominenz in der ersten Reihe: Helmut Schmidt und Harald Juhnke, Curd Jürgens und Mario Adorf. Der Berliner Boxer wird zu einem Star, der die 'neue' Lebensform in der Bundesrepublik wie kaum ein zweiter repräsentiert. So scheint es auch nicht zufällig, daß der Abstieg des Bubi Scholz mit der wirtschaftlichen Stagnation der Bundesrepublik zusammenfällt. Nach seiner Niederlage gegen den Amerikaner Johnson bei dem Kampf um den Weltmeisterschaftstitel 1964 erklärt Bubi Scholz in einer Fernsehshow überraschend seinen Rücktritt. Scholz bemüht sich, ein bürgerliches Leben anzufangen, er gründet eine Werbegesellschaft, probiert sich als Schauspieler und Schlagersänger. Er bekommt sogar eine eigene Fernsehshow: "Faust aufs Auge, Hand aufs Herz". Doch die ruhmreichen Tage sind vorbei. Der ehemalige Boxer greift immer öfter zur Flasche. Für den Autor Timm eine interessante dramatische Wende: "Ich habe versucht darzustellen, wie sehr diese Menschen in ihrer Einöde, die ja sehr reich war, in dem großen Luxus, in dem sie lebten, einen Sinndefizit erfahren. Und ich denke, das ist ja nicht so ungewöhnlich. Das ist ja weit verbreitet, man kann dieses Defizit eine Zeitlang mit Luxus, mit Drogen, mit Alkohol das überdecken. Aber man lebt am Leben vorbei."

    1984 gerät Bubi Scholz erneut in die Schlagzeilen: Nach einer Party bei Harald Juhnke beginnen die Eheleute in ihrer heimatlichen Villa einen Streit. Bubis Frau Helga flieht ins Bad. Bubi erschießt sie durch die geschlossene Türe, kann sich hinterher nicht mehr an seine Tat erinnern. Im Untersuchungsgefängnis beginnt auch die Story von Uwe Timm: "Nach allem, was ich gehört habe, und ich habe verschiedene Leute gehört und natürlich auch die Prozeßakte beziehungsweise die Berichte darüber gelesen, muß man wirklich sagen, der war nicht aggressiv. Man hat die Vorstellung, daß er die Frau geprügelt hat, aber das ist nicht richtig. Nach allem, was die Hausangestellten, die Leute, die ihn näher kannten, sagen, ist da einaml die Sicherung durchgebrannt, und das ist natürlich auch spannend. Ein einziges Mal, und da war gerade ein Gewehr da. Das ist ja oft so, daß, wenn Waffen im Hause sind, die Leute in solchen Situationen, in Hochspannung, unter Druck stehend, dann ausrasten."

    Uwe Timm schrieb zuerst das Drehbuch zu dem gleichnamigen Fernseh-Zweiteiler und hatte zunächst gar nicht vor, ein Buch daraus zu machen. "Ich habe drei Romane geschrieben, die ich später zu Drehbüchern umgearbeitet habe. Aber das ist jetzt ein Stoff, den ich von vornherein nur fürs Fernsehen schreiben wollte. Daß dann ein Verlag, der Aufbau-Verlag, der Meinung war, das zu veröffentlichen, denke ich, ist ein nettes Kompliment für das Drehbuch."

    Das Drehbuch wurde fast original als Buch übernommen. "Das ist etwas verändert worden, die technischen Sachen sind weggelassen worden. Aber ich denke, das Substantielle ist, daß die Figuren erfahrbar sind durch ihre direkte Rede, durch das, was sie sagen. Bubi Scholz spricht zu Beginn ein stärkeres Berlinerisch als später, nachdem er sozial aufstiegen ist, er macht eine Entwicklung durch."

    Anscheinend ließ sich diese Entwicklung in einem Roman schwer darstellen. Vielleicht ist Bubi Scholz als lebende Person doch zu nahe, nicht weit genug enfernt, um sterben müssen? "Ja, das kann man nicht als Roman zeigen, das war mir klar. Ich habe das mal überlegt, ich wollte mal einen Essay schreiben, über Trivialmythen, und es war mir von vornherein klar, das muß aufgelöst werden. Ich finde auch das Fernsehen oft geeigneter dafür, so etwas zu entwickeln, man hat eine gewisse Breite hat, das zu entwickeln. Bilder gehören dazu, auch dokumentarische Aufnahmen. Boxen, das ist etwas Filmisches, das ist schlecht zu beschreiben."