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Die Büchse der Pandora

Präsident Obama hat die Büchse der Pandora geöffnet, sagen seine Kritiker. Die Veröffentlichung geheimer Memoranden, die juristische Rechtfertigungen für CIA-Foltermethoden in der Ära Bush lieferten, bedeutet für sie eine Schwächung der USA im Kampf gegen den Terrorismus. Die Befürworter hoffen, dass das Image der USA wieder in Ordnung gebracht wird.

Von Jens Borchers |
    Fran Townsent ist entsetzt. Die ehemalige Heimatschutzberaterin von Ex-Präsident Bush hält die Freigabe der Folter-Memoranden für einen groben Fehler:

    "Sie zu veröffentlichen, die betroffenen Mitarbeiter öffentlich zu demütigen, die Möglichkeit einer Untersuchung durch den Kongress - das wird unsere Geheimdienstleute risikoscheu machen."

    Robert Baer ist keineswegs entsetzt. Er hat 20 Jahre für die CIA gearbeitet, an vielen düsteren Orten dieser Welt. Baer sagt, die Obama-Regierung muss noch viel mehr Dokumente über die Folterungen durch amerikanische Geheimdienste offenlegen.

    "Wir haben internationale Verträge gebrochen. Jetzt sitzt eine amerikanische Journalistin in Teheran im Gefängnis. Was sollte die Iraner davon abhalten, sie mit der Waterboarding-Methode zu foltern, bis sie gesteht eine Spionin zu sein?"

    Seit Wochen gibt es jeden Tag neue Schlagzeilen. Kabelfernseh-Sender wie CNN, MSNBC oder Fox bemühen täglich Experten, selbst ernannte Fachleute, Politiker oder schlichte Ideologen vor die Kameras, um die Diskussion zu führen. Leute wie Richard Kerr zum Beispiel. Er war stellvertretender CIA-Direktor unter Bush Senior und als solcher dafür zuständig, den Rechtsstaat USA zu schützen. Seine Position:

    "Wenn ich vor der Entscheidung stünde, durch - nennen wir es mal extreme Maßnahmen - einen Anschlag wie den vom 11. September zu verhindern: Ich würde es tun. Als Präsident würde ich es tun, als CIA-Direktor würde ich es empfehlen. Für das Gemeinwohl."

    Die Frage ist: Heiligt der Zweck - Schutz der Amerikaner - die Mittel, also Folter? Da meldet sich sofort Ex-Vizepräsident Dick Cheney zu Wort, der erstens meint Waterboarding ist keine Folter und zweitens auf angebliche Erfolge verweist:

    "Die Dokumente, die den Erfolg dieser Methode beschreiben, wurden nicht veröffentlicht. Es gibt sehr präzise Berichte darüber, was wir dadurch gewonnen haben. Die sind nicht freigegeben worden."

    Cheney behauptet immer wieder: Die harschen Verhöre hätten Informationen geliefert, mit denen groß angelegte Terroranschläge verhindert wurden. Das ist bisher nicht mehr als eine vollmundige Behauptung, Belege gibt es nicht.

    Aber auch Obamas neuer Geheimdienstchef, Dennis Blair, schrieb vergangene Woche ein Memo an seine Mitarbeiter. Darin stand unter anderem, dass die angewandten Befragungsmethoden "hochwertige Ergebnisse" gebracht hätten. Als dieses Memo veröffentlicht wurde, fehlte dieser Satz. Offensichtlich wollte Blair die "Ergebnisdebatte" in der Öffentlichkeit nicht führen.

    Die angeblichen Erfolge durch Folter-Verhöre werden von einem bestritten, der dabei war. Ali Soufan gehörte zu dem Geheimdienstteam, das vor sieben Jahren den mutmaßlichen Top-Terroristen Abu Zubaydah an einem geheimen Ort verhörte. Erst mit den üblichen Befragungstechniken, dann wurde Waterboarding angewandt. Also die Methode, die die Regierung Obama ganz klar als Folter bezeichnet. Der FBI-Agent schreibt in einem Beitrag für die "New York Times":

    "Es wurden keine verwertbaren Informationen durch die verschärften Verhörmethoden aus Abu Zubaydah herausgebracht, die man nicht auch mit ganz regulären Mitteln bekommen hätte."

    Stück für Stück kommen immer Informationen über die "verschärften Verhörmethoden" der Regierung Bush ans Licht. Das trifft auf harte Ablehnung bei der Republikanischen Partei, die ihren Ex-Präsidenten Bush in diesen Fragen immer deckte. Und es bringt teilweise auch Demokratische Abgeordnete und Senatoren in Schwierigkeiten. Dianne Feinstein, Demokratin aus Kalifornien, leitet den Geheimdienstausschuss im amerikanischen Senat. Feinstein muss sich bei CNN im Interview fragen lassen: "Als Abu Zubaydah und Khaled Scheich Mohammed der Wasserfolter ausgesetzt wurden, haben Sie also nichts davon gewusst?" - Dianne Feinstein legt sich fest: "Das ist korrekt!"

    Aber Republikaner wie Senator John Cornyn behaupten: Wichtige Politiker der Demokraten haben genau gewusst, dass die CIA mit Wasser folterte:

    "Still da zu sitzen, das geschehen zu lassen und dann später zu fordern, dass Agenten deswegen strafrechtlich verfolgt werden sollen - mir kommt das widersprüchlich vor."

    Fakt ist: Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, eine liberale Demokratin, wusste seit 2002 vom Waterboarding und anderen "verschärften Verhörmethoden". Aus einem Geheimdienst-Briefing für Kongressabgeordnete. Nur will sie nicht mitbekommen haben, dass die CIA diese Folter schon anwandte. Fragen hat sie nicht gestellt.

    Der Präsident selbst, Barack Obama hat eine klare, eindeutige Position zum Thema Folter: "Die USA foltern nicht!" Aber Obama hat keineswegs eine klare und eindeutige Position zur Frage, ob die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Der Präsident hat sich nur in einem Punkt festgelegt: CIA-Mitarbeiter, die Gefangene der Wasser-Tortur unterzogen haben, sollen nicht belangt werden. Sein Argument: Diesen CIA-Agenten wurde vom Justizministerium der Bush-Regierung gesagt: "Es ist legal, was ihr da tut." Aber: Sollten dann nicht wenigstens die Juristen strafrechtlich verfolgt werden, die möglicherweise nationales und internationales Recht gebeugt haben. Obamas erste Antwort lautete: "Nein!" Ein paar Tage später stellt er diese Aussage selbst in Zweifel:

    "Ich würde sagen, das ist eine Entscheidung für den Justizminister, da will ich nicht im Voraus urteilen."

    Barack Obama ist in einer heiklen Position: Viele seiner Anhänger drängen darauf, diejenigen zu belangen, die Folterungen erlaubt haben. Aber für den Politiker Obama ist das gefährlich: George Bush, Condoleeza Rice, Dick Cheney, ehemalige Rechtsberater des Weißen Hauses, sie alle wussten von den Folterungen. Will Obama zulassen, dass sie im schlimmsten Fall tatsächlich vor Gericht erscheinen müssen? Will er riskieren, dass eine solche Untersuchung über Jahre hinweg die politische Auseinandersetzung bestimmt, das Land spaltet? Dann dürfte es endgültig vorbei sein mit seinem Traum, überparteiliche Lösungen für wichtige Themen zu finden.

    Schon jetzt muss sich der Präsident von den Republikanern vorwerfen lassen, dass er angeblich die nationale Sicherheit der USA untergräbt, das Ansehen des Landes beschädigt und vor allem die CIA schwächt. Bisher allerdings gibt es keine eindeutigen Anzeichen dafür, dass die CIA-Mitarbeiter den neuen Präsidenten ablehnen. Als Obama Anfang der Woche in der Geheimdienstzentrale in Langley auftrat wurde er so empfangen. Die Botschaft Obamas für die Geheimdienstler:

    "Seien Sie nicht entmutigt durch die Ereignisse der letzten Wochen. Auch nicht dadurch, dass wir anerkennen müssen dass die USA eventuell einige Fehler gemacht haben. Daraus lernen wir."

    Die Frage ist: Wollen CIA-Mitarbeiter und die amerikanische Öffentlichkeit aus diesen Fehlern lernen? Diese Frage ist noch lange nicht beantwortet.

    Es gibt etwas sehr Merkwürdiges an der Debatte darüber, ob Waterboarding Folter ist oder nicht. Die USA hatten schon mal eine extrem klare Position zu diesem Thema. Paul Begala, eine ehemaliger Barter von Präsident Clinton, erinnert in einem Fernsehstreitgespräch daran:

    "Unser Land hat japanische Soldaten exekutiert, die amerikanische Kriegsgefangene dem Waterboarding unterzogen hatten. Wir haben sie für das Verbrechen exekutiert, das wir jetzt selbst begehen."