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"Die Bundeswehr hat genug Tropen-Uniformen"

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat Zweifel an der ausreichenden Vorbereitung der Bundeswehr auf den Einsatz im Kongo zurückgewiesen. Die Vorbereitungen und die Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene liefen hervorragend, betonte Jung. Der Minister sprach sich angesichts einer Bedrohung durch terroristische Angriffe außerdem für eine Debatte über mögliche Inlandseinsätze der Bundeswehr aus.

Moderation: Rolf Clement |
    Rolf Clement: Herr Minister, Deutschland feiert die Weltmeisterschaft, die Bundeswehr ist mit 7000 Soldaten in Bereitschaft engagiert. Wie oft sind Sie denn schon angefordert worden?

    Franz Josef Jung: Tatsache ist, dass 2800 Soldaten unmittelbar im Einsatz sind, das heißt ABC-Abwehr, Sanität, auch an sonstiger Unterstützung im Rahmen unseres verfassungsgemäßen Auftrages. Was ich besonders positiv finde, ist, dass wir hier eine friedlich-fröhliche Weltmeisterschaft erleben und dass die Sicherheitskräfte - das gilt sowohl für die Polizei, aber auch für unsere Soldatinnen und Soldaten - hier im Hintergrund wirken und damit ein sehr gutes positives Bild Deutschlands vermittelt wird und trotzdem sichere Weltmeisterschaften durchgeführt werden können.

    Clement: Würden Sie sich wünschen, dass die FIFA , dass das Organisationskomitee, dass Herr Blatter und Herr Beckenbauer öffentlich mal anerkennen, was die Bundeswehr tut?

    Jung: Ja, das werden sie aber auch tun, da bin ich sicher. Ich habe auch mit denen gesprochen. Ich habe sowohl mit Herrn Blatter als auch mit Herrn Beckenbauer darüber gesprochen, die in der Zwischenphase das auch schon gewürdigt haben. Aber das werden sie auch selbstverständlich öffentlich tun, denn ich glaube, es gehört einfach dazu. Ich habe das wiederholt erlebt, als der Ministerpräsident der Niederlande oder auch Repräsentanten anderer Nationen deutlich zum Ausdruck brachten, in welch positiver Art und Weise hier diese Weltmeisterschaft stattfindet, in welch herrlicher Stimmung, aber auch wie gut organisiert und wie gut gesichert. Und das gehört, glaube ich, zusammen.

    Clement: Sie waren in der zurückliegenden Woche in Bosnien, Herr Minister, und haben die deutschen Truppen dort besucht. Viele in Deutschland haben ja gar nicht mehr im Bewusstsein, dass da überhaupt noch deutsche Truppen sind. Wie haben Sie das dort vorgefunden, wie ist der Stand in Bosnien? Ist dort eine selbsttragende Stabilität erkennbar?

    Jung: Also, wir haben dort erhebliche Fortschritte erzielt. Und ich war ja auch in einem Einsatz mit einer Patrouille vor Ort, und wenn Sie einmal unmittelbar erleben, wie Ihnen die Menschen dort zeigen: Kein einziges Haus hier, wo nicht ein Verletzter oder ein Toter war - und jetzt doch eine friedliche stabile Entwicklung. Wir sind ja mit über 900 Soldaten dort noch im Einsatz, und ich denke, dass wir dort einen wichtigen Auftrag erfüllen, indem wir im gesamten Bosnien-Herzegowina hier Stabilisierungsarbeit leisten, Unterstützungsarbeit leisten, aber auch in Patrouillen unterwegs sind, um gegebenenfalls kritische Lagen vorher sichern zu können. Und das sind, glaube ich, schon noch wichtige Punkte der Stabilisierung, auch in der Perspektive jetzt für die Wahl in Bosnien-Herzegowina, die ja am 1. Oktober stattfindet. Und ich habe ja auch mit dem Hohen Repräsentanten Christian Schwarz-Schilling gesprochen, der ja eine wichtige Arbeit leistet. Ich denke und wünsche, dass auch nach den Wahlen sich der Prozess noch weiterhin gut entwickelt. Wir müssen diesem Land auch eine europäische Perspektive geben, und ich denke, dass wir dann auch darüber sprechen können, dass eine Umstrukturierung stattfindet.

    Clement: Umstrukturierung heißt - stärker hin auf Polizeikräfte? Denn es sind ja vorwiegend Polizeiaufgaben, die Sie dort noch wahrnehmen.

    Jung: Ja, natürlich. Wir haben einen Auftrag der zivil-militärischen Zusammenarbeit, Ich habe ja auch mit meinem Kollegen, dem bosnischen Verteidigungsminister gesprochen. Hier sind zwischenzeitlich, und das finde ich auch sehr gut, gesamtstaatliche Strukturen entwickelt worden, gerade im Bereich der Verteidigung. Wir werden jetzt ein entsprechendes Konzept verabschieden von rund 10.000 Soldaten. Wir leisten dort auch Unterstützung, was Ausbildung und was auch militärische Unterstützung anbetrifft, so dass dieses Land - und das ist ja auch unser Ziel - selbst in der Lage ist, für seine Sicherheit zu sorgen. Und wenn dieses Land jetzt in eine demokratische friedliche europäische Entwicklung geht, dann halte ich das für einen sehr guten Weg. Es braucht allerdings noch weiterhin Unterstützung, gerade auch im Bereich ziviler-militärischer Zusammenarbeit.

    Clement: Haben Sie den Eindruck mitgenommen, dass sich dort - was andere berichten - die Stimmung radikalisiert, dass gerade im Vorfeld des Wahlkampfs die Ethnien sich wieder zu sehr auf sich besinnen, also die Serben, die Kroaten und die Bosniaken, dass sie sich zu sehr auf sich besinnen und zu sehr nur noch nach ethnischen Kriterien ihre Kandidaten aussuchen und wählen?

    Jung: Also, den Eindruck habe ich nicht. Es gibt dort vereinzelte Aktivitäten, aber ich muss sagen: Natürlich hat ein solcher Wahlkampf, das ist ja auch bei uns immer so der Fall, wirkt der sich im Vorfeld aus, dass Reformprozesse nicht mehr mit der Intensität zu Ende geführt werden, wie es notwendig wäre. Und deshalb schaut zur Zeit ein bisschen die politische Struktur dort auf diesen Wahltermin - 1. Oktober. Aber ich muss sagen, ich war ja nun auch vor Ort und habe mit den Menschen dort gesprochen. Das war mir ein ganz wichtiger Punkt. Wie wichtig und wie gut die Arbeit der Bundeswehr dort eingeschätzt wird, wie gut auch das Ansehen Deutschlands ist durch unsere Arbeit unserer Soldaten und wie der Wunsch ist, dass auch weiterhin erkennbar wird, dass hier die Europäische Union Verantwortung übernimmt, das spürt man sehr in der Bevölkerung. Und ich glaube, wir müssen gemeinsam darauf hinwirken, dass hier eben nicht separatistische Entwicklungen Platz greifen, sondern dass hier eine Entwicklung voranschreitet einer demokratischen friedlichen Situation für dieses Land.

    Clement: Ein anderer Wahltermin beschäftigt Sie zur Zeit auch, Herr Minister Jung, nämlich der Wahltermin im Kongo. Wir haben diese Woche lesen können, dass es Ausrüstungsdefizite noch gibt, dass zu wenig Tropenuniformen da sind oder sie zu spät geliefert werden, dass die Soldaten nicht richtig ausgebildet auf die Situation in Zentralafrika dort hingeschickt werden. Was sagen Sie dazu?

    Jung: Also, ich kann nur sagen, derartige Vorwürfe muss ich mit Nachdruck zurückweisen, denn sie stimmen mit der Realität mitnichten überein. Ich war sowohl in Merzig bei unserer Luftlandebrigade, die ja ein großes Kontingent darstellt, die hervorragend ausgebildet sind, die hervorragend ausgerüstet sind - Konzept "Infanterie der Zukunft" -, und die auch mit einer guten Motivation in diesen Auftrag gehen. Das gilt genau so für den Bereich der Sanität. Ich war bei unseren schnellen Einsatzkräften in Leer, wo ich das Gleiche festgestellt habe. Und deshalb kann ich nur sagen, dass eine solche öffentliche Debatte schädlich ist, weil sie mit der konkreten Situation nicht übereinstimmt. Und ich füge hinzu: Ich habe mich auch beim Operations Headquarter, auch bei unserem General Viereck, der der Operations Commander ist, sachkundig gemacht. Die Vorbereitungen laufen sehr gut. Wir haben mittlerweile hier in Potsdam 18 europäische Nationen, denn die Türkei unterstützt die Mission ja ebenfalls. Es werden noch zwei europäische Nationen hinzukommen, Zypern und Slowenien. Wir haben jetzt in Potsdam 139 Soldaten, es werden 150 sein. Auch die Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene läuft hervorragend. Und ich habe den Eindruck, dass wir in eine gut vorbereitete Mission hier gehen. Und ich hoffe und wünsche, dass wir die demokratischen Wahlen so absichern können, dass es eben zu keinen Gewaltexzessen kommt und wir in einer friedlichen Entwicklung dort diese Wahlen gewährleisten können.

    Clement: Also, die Bundeswehr hat genug Tropenuniformen?

    Jung: Die Bundeswehr hat genug Tropenuniformen, sie ist auch gut ausgerüstet und sie ist auch gut ausgebildet.

    Clement: Herr Minister, wenn man im Zusammenhang mit dem Kongo-Einsatz nach Zweibrücken schaut, das war ein Verband, der eigentlich dort hin sollte mit dieser eigenartigen Aufnahmefeier im Unteroffizierskorps ...

    Jung: Ich kann direkt einen Zusammenhang herstellen, aber es gab auch diese Vorgänge vor einigen Jahren, wo es Ausbildungen gab, die - ich sage es mal salopp - zu hart gewesen sind, die einfach dann auch unmenschlich geworden sind.

    Clement: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Ausbildung von den Verbänden, die in die Einsätze gehen, und einer vielleicht übermotivierten Ausbildung und vielleicht Exzessen, die dann sich in solchen Dingen wie Zweibrücken entladen? Muss da nachgesteuert werden?

    Jung: Nein, den Eindruck habe ich nicht. Ich denke, das sind hier Einzelfälle, die im Zusammenhang mit Wetten und einer alkoholischen Situation entstanden sind. Die können unter gar keinen Umständen akzeptiert werden. Das wird auch voll und ganz aufgeklärt und es wird auch hart durchgegriffen, weil ich denke, dass eine solche Situation nicht akzeptiert werden kann und wir werden unsere Maßnahmen dort entsprechend ergreifen.

    Clement: Nur, es muss ja irgendwo eine psychische Situation geben, bevor man so etwas macht.

    Jung: Man kann es nicht verstehen, aber manchmal wirken Alkohol und entsprechende Gesamtsituation und ein Wettabschluss, der offensichtlich hier stattgefunden hat, zu solchen Situationen. Es kann nicht akzeptiert werden und es wird auch hart durchgegriffen.

    Clement: Wenn man die vier Monate Einsatzzeit, beginnend am Wahltag, und die Vor- und Nachbereitungszeit dazu nimmt, sind das sieben Monate. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ein zweites Kontingent für den Kongo auszubilden?

    Jung: Nein, wir haben eine klare Situation jetzt, dass wir am 18. Juli alle Kräfte vor Ort haben werden. Der Einsatzzeitraum beginnt ja mit dem 30. Juli und von da an laufen diese vier Monate, so dass ich denke, dass wir sowohl mit dem klaren Mandat der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrates, auf die vier Monate, also mit dem klaren Bundestagsmandat hier unseren Auftrag sachgerecht mit diesem jetzt vorgesehenen Kontingent erfüllen können.

    Clement: Können Sie sich eine Lage vorstellen, wo Sie sagen müssen, wir müssen verlängern?

    Jung: Ich möchte hier jetzt nicht spekulieren. Ich gehe von diesen vier Monaten aus. Das will ich noch mal sagen, wir haben nicht den Auftrag, und das muss man deutlich machen, den Kongo zu befrieden oder den Kongo zu stabilisieren. Wir haben den Auftrag, diese demokratischen Wahlen abzusichern. Die sind konkret begrenzt auf diesen Zeitraum und deshalb nehmen wir den Auftrag innerhalb dieser vier Monate wahr.

    Clement: Sie haben in der Haushaltsdebatte diese Woche, Herr Minister, davon gesprochen, dass im Jahr 2007 auf die Bundeswehr, auf die Sicherheitspolitik in Deutschland eine ganze Reihe zusätzliche Herausforderungen zukommen. Welche sind das?

    Jung: Ja, wir stehen ja bereits jetzt ab dem 1. Juli 2006 schon in der NATO Response Force, also der schnellen Einsatztruppe der NATO, mit 6600 deutschen Soldaten. Dies ist eine Verpflichtung, die wir eingegangen sind, bevor ich beispielsweise dieses Amt angetreten habe. Und ich halte es für dringend notwendig, dass wir in der öffentlichen Diskussion darüber sprechen - diese Einsatztruppe soll innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig sein - weil ich schon will, dass auch ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit besteht im Hinblick auf unsere Sicherheitsanforderungen und auch unsere Verpflichtungen, die wir dort international eingegangen sind. Wir haben des weiteren dann die EU Battle Group - auch innerhalb von fünf Tagen einsatzfähig -, die ab 1. Januar 2007 steht, wo wir mit 1200 hier in der Verpflichtung sind. Das heißt im Klartext: Auf uns, auf die Bundeswehr kommen hier weitere Aufgaben, weitere Anforderungen zu, die wir auch wahrnehmen werden. Aber ich denke, wir müssen über die Sicherheitspolitik mehr auch öffentlich debattieren, damit auch die Bevölkerung in einen solchen Prozess mit einbezogen wird, denn die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland, damit die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, ist ein essentielles Gut, und das kann man aus meiner Sicht nicht in Geheimoperationen erledigen.

    Clement: Haben Sie denn ausreichend Mittel, um die Anforderungen der NATO Response Force, der NATO Eingreiftruppe oder der EU Eingreiftruppe, der Battle Groups, auch wirklich erfüllen zu können? Ich meine damit einmal die Frage, sind die Entscheidungsmechanismen, wenn es denn mal zu einem schnellen Einsatz kommt, so flexibel, so schnell verfügbar, wie Sie sich das wünschen, dass Sie die Anforderungen überhaupt erfüllen können, also Parlamentsbeschluss zum Beispiel?

    Jung: Also, ich hoffe: Ja, denn das war ein Punkt, den wir auch diskutiert haben und gesagt haben, das Parlamentsbeteiligungsgesetz, das ja besteht - wir brauchen ja dafür immer das Mandat -, gewährleistet das. Und ich hoffe auch, dass dann so zeitig die Entscheidung des Bundestags herbeigeführt werden kann. Gegebenenfalls muss das in Sondersitzungen passieren, denn schnell einsatzfähig innerhalb von fünf Tagen kann hier besondere Herausforderungen bedeuten. Und dort müssen wir, glaube ich, auch noch unsere Erfahrungen sammeln.

    Clement: Wie sieht es mit den finanziellen Mitteln aus, um solche Einsätze zu haben, auch um Bereitschaft und Ausrüstung jetzt schon so vorzuhalten, dass sie innerhalb von wenigen Tagen in den Einsatz kann?

    Jung: Also, wir haben ja gerade in dieser Woche den Haushalt 2006 beschlossen und ich finde, das ist jetzt eine gute finanzielle Grundlage, auch für diese Einsätze zu gewährleisten. Ich will aber deutlich darauf hinweisen, dass beispielsweise die Opposition, die ja Streichungsanträge gestellt hat, teilweise bis über zwei Milliarden, dass die hier völlig unrealistisch im Hinblick auf die Anforderungen von den Soldatinnen und Soldaten von der Situation ausgeht. Denn Tatsache ist, wir können nicht immer mehr Einsätze leisten, nicht immer mehr auch internationale Verantwortung wahrnehmen, auch immer mehr gefordert sein, beispielsweise in Deutschland - wir haben gerade über die Weltmeisterschaft gesprochen - und haben nicht die notwendige Grundlage, um das zu gewährleisten. Das ist ein entscheidender Punkt. Und deshalb bin ich dankbar, dass wir den Haushalt auf einer stabilen Grundlage in dieser Woche verabschieden konnten.

    Clement: Sie haben mal gesagt, ich glaube, kurz nach Amtsantritt, als wir uns an diesem Sendeplatz schon mal getroffen haben, dass Sie Auslandseinsätze nicht aus Ihrem Etat bezahlen wollen, sondern dazu zusätzliche Mittel aus anderen Etats haben wollen. Was ist denn daraus geworden?

    Jung: Also, wir haben darüber gesprochen, dass wir über zusätzliche neue Einsätze auch dann eine Unterstützung aus den anderen Etats erbitten. Und wir haben uns auch mit dem Finanzminister verständigt, dass wir gerade beispielsweise bei dem Kongoeinsatz, dass wir zunächst zwar dies nach unserem Etat gewährleisten, dass, wenn wir aber das Gesamtvolumen nicht schaffen können, dass wir dann auch Unterstützung aus dem allgemeinen Haushalt erhalten, weil ich schon der Meinung bin, dass hier neue Aufgaben auch dann neu in die Finanzierungsüberlegungen einbezogen werden müssen. Und deshalb hoffe ich auch - wir beraten ja jetzt alsbald den Haushalt 2007 - dass diese Kriterien mit Berücksichtigung finden und wir nicht von einer Reduzierung des Haushalts ausgehen dürfen, sondern eher von einer Steigerung im Haushaltsplan, weil neue Anforderungen auch weitere finanzielle Grundlagen erforderlich machen.

    Clement: Herr Minister, in Ihrem Haus gibt es den Entwurf für ein Weißbuch. Der eine oder andere hat ihn schon, der eine oder andere hat ihn offiziell gekriegt, der eine oder andere hat ihn so bekommen. Sie wollten es eigentlich vor der Sommerpause verabschieden. Das hat nun nicht mehr geklappt. Woran hakt es?

    Jung: Also, wir haben ja in der Koalition vereinbart, dass wir im Jahre 2006 dieses Weißbuch erarbeiten und ich denke, es ist auch dringend notwendig und wichtig, denn das letzte Weißbuch ist aus dem Jahre 1994. Da waren wir weder in einem Einsatz auf dem Balkan, noch im Einsatz in Afghanistan, noch im Einsatz in Afrika, noch hatten wir eine Situation des 11. September, so dass wir eine sicherheitspolitische Standortbestimmung und auch damit Strategie aus meiner Sicht dringend brauchen, und zwar brauchen für die gesamte Bundesregierung. Wir sind derzeit in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung, und zwar zunächst Außenministerium und Innenministerium und werden es dann in den Gesamtressorts tun. Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass wir hier im Herbst zu einer guten Entscheidung kommen, dann auch - das ist mein Ziel - auch in die öffentliche Debatte kommen, das heißt, auch dann im Bundestag darüber debattieren. Denn ich halte es schon für wichtig, dass wir mehr wieder uns mit sicherheitspolitischen Fragen auseinandersetzen, auch sicherheitspolitische Standortbestimmung, wo sind unsere Wertorientierungen im Hinblick auf sicherheitspolitische Einsätze, wo sind auch unsere sicherheitspolitischen Interessen, um dort Definitionen vorzunehmen, und auch die Frage, wo müssen wir gewährleisten den Schutz Deutschlands, also den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger unmittelbar im eigenen Lande. Das sind alles Punkte, die hier neu auch zu diskutieren sind. Und deshalb bin ich ganz hoffnungsvoll, dass wir mit diesem Weißbuch auch genau dieses Ziel erreichen.

    Clement: Gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und dem Auswärtigen Amt zum Beispiel über die Interessendefinition?

    Jung: Also, wir sind hier in einer internen Abstimmung. Ich bin gerade eben mit dem Bundesaußenminister zusammen gewesen in Potsdam. Wir haben eine gute Zusammenarbeit und ich bin sehr hoffnungsvoll und optimistisch, dass wir da zu einem guten Ergebnis kommen.

    Clement: Aber ist es nicht gerade für die Diskussion, die Sie immer wieder einfordern, auch wichtig, dass Sie die verschiedenen Positionen mal darstellen, dass Sie sagen, darüber wird diskutiert?

    Jung: Wir sind eben im internen Abstimmungsprozess der Bundesregierung. Und da bitte ich um Verständnis, dass wir das jetzt auch intern debattieren. Und dann werden wir schon genug öffentliche Debatten darüber bekommen, da bin ich sehr sicher. Ich habe ja den einen oder anderen Punkt schon angesprochen und es gab ja auch sofort die notwendige Resonanz. Und ich finde es auch gut, wenn es die notwendige Resonanz gibt, wenn es auch durchaus kritische Stimmen gibt, weil nur so auch eine öffentliche Debatte bewirkt wird.

    Clement: Sie sprechen an, dass Sie einmal gesagt haben, wir müssten bei einem Terroranschlag unter Umständen den Verteidigungsfall erklären, um entsprechend reagieren zu können. Gibt es da inzwischen eine Annäherung zwischen Ihnen und der SPD, die ja zunächst einmal etwas zurückhaltend reagiert hat auf diesen Vorschlag?

    Jung: Also, ich denke, wir müssen im Rahmen dieser Diskussion drei Dinge deutlich machen. Erstens: Wir können heute nicht mehr unterscheiden zwischen äußerer und innerer Sicherheit, wie das früher der Fall war. Früher waren für den äußeren Bereich Soldaten, für den inneren Bereich die Polizei. Das geht heute nicht mehr. Niemand will von uns, also sprich von der Bundeswehr, originäre Polizeiaufgaben wahrnehmen, aber wir wollen dort, wo es nicht die notwendigen Fähigkeiten gibt bei der Polizei, um die Bevölkerung zu schützen, da wollen wir helfen. Im Klartext: Wenn ein terroristischer Angriff aus der Luft erfolgt, helfen nur die Fähigkeiten der Bundeswehr. Oder wenn ein terroristischer Angriff von See erfolgt, helfen nur die Fähigkeiten der Marine. Dort brauchen wir aus meiner Sicht auch eine grundgesetzliche Klarstellung, um diese Aufgabe auch verantwortungsvoll wahrnehmen zu können. Und dann kommt der zweite Punkt: Wie ist eigentlich heute Verteidigung zu verstehen? Das heißt Verteidigung sowohl im äußeren Bereich. Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben unter Verteidigung sich damals nicht vorstellen können, dass wir in Afghanistan oder im Kongo demokratische Wahlen absichern. Deshalb hat ja auch schon mein Amtsvorgänger Kollege Struck damals darauf hingewiesen, dass heute beispielsweise Verteidigung bis nach Afghanistan reiche. Also, wir müssen heute den Verteidigungsbegriff dort anders verstehen. Und das muss in diese Debatte einbezogen werden. Das gilt im äußeren Bereich, das gilt aber aus meiner Sicht auch in dem inneren Bereich, weil heute man leider Gottes nicht mehr sagen kann, sind beispielsweise Angriffe mit ABC-Waffen, also atomaren, biologischen oder chemischen Waffen, nur noch staatlich denkbar, sondern sie sind leider auch terroristisch denkbar. Und wenn sie terroristisch denkbar sind, muss ich fragen: Wer hat die Fähigkeiten, die Bevölkerung zu schützen? Diese Fähigkeiten hat die Bundeswehr. Und deshalb muss auch in diesem Bereich dann die Bundeswehr einsatzfähig sein. Und ich glaube, hierüber müssen wir einen Konsens erzielen. Wir sind am Beginn einer solchen Debatte. Das ist eindeutig. Und ich bin auch froh darüber, dass beispielsweise das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz gesagt hat, wir entscheiden über den Fall schwerer Unglücksfall, Naturkatastrophe. Aber sie haben ja in ihrer Entscheidung ausdrücklich ausgenommen die Frage, wenn es kriegsähnliche Situationen sind oder wenn das allgemeine Wohl des Staates unmittelbar in Gefahr ist. Und das ist die Frage, wo ist dort auch dann die Grenzziehung vorzunehmen. Ist die Grenzziehung, ich bleibe bei meinem Beispiel, das mein Amtsvorgänger Leber mal erreicht hat, als bei den Olympischen Spielen in München die Botschaft ihn erreicht: Flugzeug mit Bomben auf vollbesetztes Stadion. Was ist denn dann? Und ich glaube, dann hat ein Verteidigungsminister die Verantwortung, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, 80.000 Menschen in einem solchen Stadion zu schützen. Und das ist dann die Aufgabe, die wir auch wahrnehmen müssen. Und darüber müssen wir auch debattieren und darüber müssen wir auch, wie ich finde, einen Konsens erzielen. Und ich bin aber ganz hoffnungsvoll, dass wir ihn erzielen. Nur die Wahrheit ist: Wir sind in diesen Fragen ein Stück am Anfang einer Debatte, und dann braucht es manchmal auch ein bisschen Zeit, dann dort zu einer Übereinstimmung zu kommen.

    Clement: Gibt es aus Ihrer Sicht sachliche Argumente gegen diese Position, die Sie jetzt haben, die Sie dargestellt haben?

    Jung: Es werden mehrere Argumente vorgetragen, das ist wahr. Aber ich finde, je mehr man sich intensiv mit der Frage beschäftigt und die Dinge auf den Punkt bringt, und ich versuchte sie gerade hier ein Stück zu artikulieren, werden die Menschen sehr nachdenklich und sagen, Sie haben recht, wir brauchen hier eine handlungsfähige Bundeswehr, auch wenn es um solche Anschläge geht. Wir hoffen ja alle, dass diese Anschläge nicht stattfinden, aber ich glaube, ich kann nicht einen Diskussionsprozess beginnen, wenn so ein Anschlag unmittelbar stattfindet, sondern die Diskussion muss ich vorher führen, um dann auch abwehrbereit zu sein.

    Clement: Herr Minister, noch ein letztes Thema. Es beginnen langsam die Vorbereitungen für einen NATO-Gipfel im kommenden Herbst in Riga. Eine der Forderungen, die es aus Ihrem Haus schon einmal gegeben hat, ist, dass die NATO ein neues strategisches Konzept bräuchte. Die Argumentation, die Sie gerade für ein Weißbuch angeführt haben, gilt natürlich auch für die NATO. Glauben Sie, dass die NATO dieses jetzt beginnen soll?

    Jung: Ich denke ja. Die NATO ist genau so in einem Transformationsprozess und wir brauchen auch innerhalb der NATO nicht nur die strategische politische Diskussion, sondern wir brauchen natürlich auch die Definition der Aufgaben, die die NATO in Zukunft wahrnehmen muss und wahrnehmen kann. Auch die NATO ist keine Weltpolizei. Aber es stellt sich schon die Frage, in welchen Bereichen wird die NATO auch zur Krisen/Konfliktbewältigung tätig oder wo leistet sie sogar humanitäre Hilfe, wie das in Pakistan bei dem Erdbeben geschehen ist. Das sind Fragen, die auch durchaus kritisch in der NATO diskutiert werden. Und hier, glaube ich, ist es schon richtig, dass wir einen Konsens erzielen, wie dieser Transformationsprozess, also Umstrukturierungsprozess der NATO, denn früher stand die NATO gegen den Warschauer Pakt, das haben wir alles zum Glück überwunden. Und heute gibt es eine neue Herausforderung, insbesondere durch den internationalen Terrorismus durch asymmetrische Bedrohung. Aber, was ich auch für wichtig erachte, wir machen ja beispielsweise in Afghanistan die Stabilisierungs- und Wiederaufbauarbeit auch dadurch, indem wir mehrere andere Bereiche mit zusammenführen. Ich spreche da von einer vernetzten Sicherheitspolitik, also im Klartext: Nicht nur militärisch, sondern auch zivil durch Polizei bis zur Entwicklungshilfe bis zur wirtschaftlichen Frage. Das wird mehr und mehr deutlich, auch gerade in Afghanistan. Wir müssen den Menschen dort auch eine wirtschaftliche Perspektive geben können, damit insgesamt eine stabile, demokratische, friedliche Entwicklung eintritt. Wir haben gerade in Brüssel auf der NATO-Konferenz darüber begonnen zu diskutieren und ich merke, dass doch mehr und mehr dort Übereinstimmung erzielt werden kann, dass dieses Konzept richtig ist und wir werden das in Riga fortsetzen, auch die Frage, wie wir und ob wir weitere partnerschaftliche Entwicklung eingehen, wie wir weiterhin Mitgliedschaften dort sehen, das sind alles Punkte, die alle in Riga eine entscheidende Rolle spielen werden.

    Clement: Es gibt aber Leute, die sagen, in dem Moment, wo die NATO anfängt, über ihre Grundlagen neu zu diskutieren, sind die Unterschiede so groß, dass man sich darauf nicht einigen können wird und der Laden auseinander fliegt, um es mal platt zu sagen.

    Jung: Also, den Eindruck habe ich nicht. Ich muss sagen, ich bin dort sehr, sehr optimistisch, weil gerade die letzte NATO-Verteidigungsministerkonferenz in Brüssel mich in dieser Meinung sehr bestätigt hat, das ist ein Diskussionsprozess, aber dass man sich hier zur richtigen Lösung zusammenfinden kann und zusammenfinden wird. Aber Transformation bedeutet auch, immer wieder flexibel auf neue Lagen reagieren zu können. Und diese Diskussion zu führen halte ich für notwendig und richtig. Aber ich bin ganz optimistisch, dass wir dort zu einer gemeinsamen Vereinbarung kommen. Und die NATO ist, und das will ich hier noch mal sagen, auch unser starker Anker in der Sicherheitspolitik und sie wird es auch bleiben. Und deshalb haben wir auch ein Interesse daran, dass die NATO auch in Zukunft effektiv und handlungsfähig bleiben kann.

    Clement: Herr Minister, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Jung: Sehr gerne.