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Die Cartoon-Spreu des "New Yorker" in einem Band

Der Cartoonist Matthew Diffee, dessen Werke regelmäßig im "New Yorker" veröffentlicht werden, hat eine bizarre Auswahl von Cartoons getroffen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind nie im "New Yorker" erschienen, obwohl sie auf dem Schreibtisch des zuständigen Redakteurs landeten.

Von Shirin Sojitrawalla | 01.06.2012
    In jeder Ausgabe der Zeitschrift "The New Yorker" finden sich zwischen 15 und 20 Cartoons, gezeichnet von rund 50 Cartoonisten, die dem Magazin Woche für Woche zehn ihrer Arbeiten anbieten. Die wollen ausgesucht werden, weswegen man sich beim New Yorker einen eigens dafür abgestellten Redakteur leistet. Der freilich entscheidet nicht allein, welcher Cartoon ins Blatt kommt und welcher nicht.

    Die Aufgabe ist heikel; auch in Deutschland sind es ja oft die Karikaturisten, die mit gnadenlosem Zeichenstrich den Unmut der Leser auf sich ziehen, sei es der Österreicher Gerhard Haderer im Stern oder das deutsche Zweigestirn Greser&Lenz in der FAZ. Das liegt nicht immer daran, dass sie skrupelloser vorgehen als ihre schreibenden Kollegen, sondern lässt sich meist schlicht damit begründen, dass sie intensiver wahrgenommen werden als manch ein nebenstehender Artikel. Einem Bild ist die Aufmerksamkeit der Leser sicher.

    Matthew Diffee, einer der erfolgreichsten amerikanischen Cartoonisten, der auch regelmäßig im New Yorker veröffentlicht, hat nun eine bizarre Auswahl von Cartoons getroffen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind nie im New Yorker erschienen, obwohl sie auf dem Schreibtisch des zuständigen Redakteurs landeten.

    Die Gründe, weshalb sie nie erschienen, bleiben im Dunkeln. Und doch kann sich der Betrachter des Eindrucks nicht erwehren, es habe bei nicht wenigen schlichtweg qualitative Gründe. Manches kommt auch arg bieder schlüpfrig daher, anderes wiederum auch zu obszön, mehr als frauenverächtlich oder so gar nicht politisch korrekt. Dabei erweisen sich die meisten der Cartoons eher zum Schmunzeln als zum Lachen. Aber zum Glück gibt es Ausnahmen.

    Eine der besten stammt von Pat Byrnes. Vorwegzuschicken ist, dass es einen Textilhersteller namens "Guess", zu Deutsch unter anderem "Rate mal!" gibt. Auf besagtem Cartoon sieht man eine junge Frau, die ein kurzes Leibchen über dem wogenden Busen trägt, worauf der Labelaufdruck "Guess" prangt. Ein Mann im Anzug und schütteren Haaren kreuzt ihren Weg, hält überlegend und stirnrunzelnd einen Finger an die Lippe und tut, was die Aufschrift ihm abverlangt: raten, schätzen. Unter dem Cartoon steht dann bloß die Körbchengröße: 80 C?. Angekommen?

    Nun gut, mit Cartoons im Hörfunk ist das so eine Sache. Doch auch nicht alle der in diesem Buch versammelten Zeichnungen offenbaren ihre Pointen gleich, manche wollen regelrecht gelesen werden, die meisten sind schnell vergessen.

    Diese nicht: Zwei Frauen, die man hierzulande wohl Tussis nennen könnte, Sonnenbrillen im gut geföhnten Haar, sitzen im Café. Die eine zückt ihre Brieftasche und unten drunter steht: "Dein Mann hat letztes Mal gezahlt, jetzt ist meiner dran." Der Cartoon stammt zum Glück von einer der wenigen weiblichen Zeichnerinnen im Buch: Marisa Acocella Marchetto.

    Doch um es deutlich zu sagen: Den größten Teil der in diesem Band versammelten Werke hat man im New Yorker nicht vermisst.
    Der vollmundige Titel des Buches hatte da ganz andere Erwartungen geweckt.

    Matthew Diffee: Die besten Cartoons, die der New Yorker nie druckte.
    Verlag Liebeskind
    92 Seiten, 18,90 Euro