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"Die CDU hat sich massiv verändert"

Seine Partei habe an Wiedererkennbarkeit und Akzeptanz verloren, beklagt Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates. Daran sei auch eine lange Liste von Kehrtwenden schuld. Besonders bei der überstürzten Energiewende habe die Parteiführung die Mitglieder nicht mitgenommen.

Kurt Lauk im Gespräch mit Dirk Müller | 14.11.2011
    Dirk Müller: Nach der FDP ist jetzt die CDU dran. Die Kanzlerin will sich und ihrer Partei neuen Schwung geben auf dem Delegiertenkongress in Leipzig, jener Standort, bei dem vor acht Jahren die CDU beschloss, Reformpartei zu werden, zu einer liberalen konservativen Partei. Seitdem haben die Christdemokraten immer mehr an Stimmen verloren, obwohl sie im Bund regieren. Jetzt steht das bevor, was viele Kritiker befürchten: eine weitere Sozialdemokratisierung der Union, Beispiel Mindestlohn - das war lange ein Teufelswort -, Beispiel Schulpolitik, Beispiel Familienpolitik. Die liberalen Ökonomen in der Partei bekommen, wenn sie diese nicht schon längst haben, spätestens jetzt graue Haare. Vielleicht auch Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Kurt Lauk: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Lauk, wie sieht das denn bei Ihnen aus?

    Lauk: Ja zunächst mal: Der Weg von Leipzig nach Leipzig ist für die CDU ein Weg des Verlustes an Wiedererkennbarkeit und Akzeptanz. Es gibt viel zu viele Kehrtwenden. Die Liste der Kehrtwenden ist lang, von der Energiepolitik, Wehrpflicht, Vereinfachung des Steuersystems, was damals beschlossen worden ist, kein staatlich festgesetztes Lohndiktat wurde damals gesagt, heute wird es diskutiert. Ich sage mal, die Wiedererkennbarkeit hat massiv gelitten. Viele sehen das als Veränderung in der Richtung. Nur den Menschen und seinen jeweiligen Gefühlen nachzulaufen, ist keine Markenpolitik.

    Müller: Die CDU ist demnach nicht mehr die CDU?

    Lauk: Die CDU hat sich massiv verändert. Natürlich ist zuzugeben, dass die Welt sich ebenfalls verändert hat. Insbesondere in der Finanz- und Staatsschuldenkrise sehen wir das ganz deutlich. Die hält die Welt in Atem. Auch in der Bildungspolitik ist es mit Sicherheit so, dass durch die demografische Entwicklung Veränderungen notwendig sind. An vielen Stellen im Lande – nicht an allen, aber an vielen Stellen – ist das traditionelle dreigliedrige Schulsystem nicht mehr aufrecht zu erhalten in der Praxis. Also insofern kommen schon einige Dinge auch von außen dazu, die Veränderungen notwendig machen.

    Man muss aber die Veränderungen erklären. Wie zum Beispiel es nicht zu machen ist, haben wir gesehen beim überstürzten Atomausstieg. Hier kam die Berechenbarkeit einfach zu kurz. Und wir haben noch keine Antwort darauf, wie die Arbeitsplätze in der stromintensiven Industrie, also Stahl, Kupfer, Glas, Aluminium, Karbon, Chemie, in unserem Land zu halten sind, und die Arbeitsplätze und die Industrie sind genau die Stärke in der Bundesrepublik, die uns in der Wirtschaftskrise geholfen haben und die uns im Moment in Europa so stark machen.

    Müller: Herr Lauk, jetzt müssen wir nach den Ursachen fragen. Wer ist dafür verantwortlich? Die Kanzlerin?

    Lauk: Es ist mit Sicherheit sowohl die Zeit, als auch die Führung spielen hier zusammen. Es sind ja in einigen Kehrtwenden keine falschen gemacht worden im Sinne von, dass die Zeit es nicht erfordert hat. Nehmen Sie die Schulpolitik. Auf der anderen Seite muss mehr erklärt werden, mehr kommuniziert werden und die Mitglieder müssen mitgenommen werden, und daran fehlt es.

    Müller: Sagen Sie uns was zur Führung, sagen Sie uns was zu Angela Merkel.

    Lauk: Angela Merkel ist im Moment, wenn es um die Schuldenkrise in Europa geht, in einem Ausmaß gefordert, dass man ihr Stehvermögen – das muss ich jetzt deutlich sagen – an dieser Stelle nur bewundern kann. Es sind sieben Regierungen in Europa die letzten Monate gefallen und der Druck von Deutschland auf Disziplin fiskalischer Art in anderen Ländern nimmt zu. Das ist das Positive. - In der Innenpolitik ist ein Stück weit die Mitnahme der Parteimitglieder in den genannten Themen einfach zu kurz gekommen.

    Müller: Ist sie eine Kehrtwende-Kanzlerin?

    Lauk: Eine Kehrtwende? – In vielen Punkten ist eine Kehrtwende, ich sage mal, von der Partei mit beschlossen worden, nehmen Sie die Wehrpflicht. Das hat die Fraktion beziehungsweise die Partei sauber beschlossen. Da gab es aber keinen Widerstand, das ist gelaufen, so wie es gelaufen ist.

    Müller: Energiepolitik?

    Lauk: Energiepolitik war völlig überraschend und nicht erklärt und ist bis heute nicht gelöst, denn es ist völlig unklar, wie die neue Infrastruktur, die beim Umstieg notwendig ist, überhaupt entstehen soll. Wir haben Bürgerproteste, wir haben Versammlungen, die die neue Infrastruktur einfach ablehnen. Gleichzeitig sind das oft die Leute, die sagen, wir wollen raus aus der Kernenergie.

    Müller: Und jetzt, Herr Lauk, können Sie nicht mehr gut schlafen, weil es auch noch einen Mindestlohn geben soll.

    Lauk: Der Mindestlohn ist Gott sei Dank jetzt so gestern abgerollt worden. Aber es ist schon, ich sage mal, merkwürdig, dass genau die Sozialpolitiker für die Armut, die sie selbst durch überzogene Staatsverschuldung, getrieben durch Sozialprogramme, erst hergestellt haben, jetzt den Mindestlohn fordern. Das ist schon sehr merkwürdig. Gott sei Dank wurde jetzt hier gestern im Bundesvorstand der Beschluss gefasst, der die Gesetzeslage, wie sie heute besteht, bestätigt.

    Müller: Wen meinen Sie denn, Herr Lauk, mit den Sozialpolitikern? Ursula von der Leyen, Norbert Röttgen, Karl-Josef Laumann? Gehören die dazu?

    Lauk: Da gibt es eine ganz große Koalition mittlerweile, die in dieser Frage gemeinsam agiert haben, allerdings jetzt auch gemeinsam diesen Beschluss, der die Gesetzeslage, wie sie jetzt besteht, bestätigt, wiederhergestellt haben. Insofern war es fast ein Sturm im Wasserglas, der völlig unnötig war.

    Müller: Aber dennoch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Lauk, müssen Sie demnächst darüber nachdenken, ob Sie nicht gleich dann das Original, die SPD, wählen?

    Lauk: Die SPD ist natürlich keine wählbare Partei für unsere Mitglieder im Wirtschaftsrat.

    Müller: Aber die wusste schon länger, dass der Mindestlohn richtig ist.

    Lauk: Genau das haben wir jetzt verhindert.

    Müller: Jetzt gibt es doch keinen Mindestlohn? Haben wir das falsch verstanden?

    Lauk: Nein, es gibt keinen Mindestlohn. Es gibt keinen flächendeckenden allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, und das ist gut so.

    Müller: Aber sortiert nach Regionen, sortiert nach Branchen?

    Lauk: Das haben wir ja bislang schon immer gehabt. Das ist Gesetzeslage und das haben wir schon die letzten Jahre an vielen Stellen, in vielen Lohngebieten gehabt.

    Müller: Aber es soll ausgeweitet werden?

    Lauk: Nein! Es soll nur dorthin geführt werden, dass eine Empfehlung entsteht, sich an Tarifabschlüssen - es bleibt bei den Tarifpartnern, das ist für uns ganz wichtig -, dass die Tarifpartner über die Löhne entscheiden und nicht der Politiker und der Gesetzgeber.

    Müller: ... , weil die Tarifpartner das besser können?

    Lauk: Die können das nicht immer besser, Sie kennen die zähen Verhandlungen. Aber es ist eindeutig besser als der Gesetzgeber.

    Müller: Das heißt, Sie sehen nach wie vor, dass Menschen 40 Stunden die Woche arbeiten und dennoch nicht davon leben können?

    Lauk: Diese Situation haben wir in der Republik eigentlich nicht. Sie müssen ja sehen, die Armut wird verhindert durch die ganzen Hartz-Programme. Wir haben, wenn Sie Hartz IV beispielsweise in Stundenlöhne umrechnen, 5,30 Euro für einen Alleinstehenden und 11 Euro für Verheiratete. Das sind schon Möglichkeiten, dass man die Leute daran verhindert hat, in die Armut zu fallen.

    Müller: Aber es gibt ja auch Friseure, die drei Euro verdienen. Ist das nicht ein bisschen wenig?

    Lauk: Da gibt es ein paar Lücken, die sind jetzt durch diesen Beschluss abrassiert.

    Müller: Dann reden wir noch einmal zum Schluss – wir haben nicht mehr viel Zeit – über die CDU. Erwin Teufel hat ja gesagt, wir verlieren das C in der CDU. Hat er recht?

    Lauk: Es ist ganz schwierig, in einer multikulturellen, multireligiösen Gesellschaft mit einer C-Partei zurechtzukommen. Hier muss neu darüber nachgedacht werden. Wir haben eine Broschüre jetzt vorgelegt, in der sich viele zum C äußern. Das sind aber ehrenwerte Gedanken, die sehr an der Vergangenheit sind, und nach vorne fehlt noch ein Stück weit die Perspektive.

    Müller: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lauk: Wiederschauen, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.