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Schiewerling: Regelung bringt Lohnniveau nicht durcheinander

Der CDU-Politiker Karl Schiewerling sagt, dass entgegen der Meinung von Dieter Hundt keineswegs eine einheitliche Arbeitgeberposition zum Mindestlohn bestünde. Das deutsche Handwerk könne sich sehr wohl einen branchenspezifischen Lohn vorstellen, so der Sozialpolitiker.

Karl Schiewerling im Gespräch mit Mario Dobovisek | 31.10.2011
    Mario Dobovisek: Wieder also ein Sinneswandel der CDU-Führung, dieses Mal den Mindestlohn betreffend, nach jahrelangem Kampf dagegen. Eine Kommission der Tarifpartner soll gemeinsam eine bundesweit gültige Lohnuntergrenze festlegen, heißt es. Noch im November könnte der Bundesparteitag der CDU darüber entscheiden.
    Am Telefon begrüße ich den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling. Guten Tag, Herr Schiewerling!

    Karl Schiewerling: Schönen guten Tag!

    Dobovisek: Vielleicht können wir gleich den Vorwurf oder die Skepsis der SPD aufgreifen. Ist das nur ein Placebo?

    Schiewerling: Nein, so würde ich das nicht sehen. Die Debatte, die wir in der Union führen, ist schon eine wichtige zentrale Debatte. Sie knüpft übrigens daran an, was einer der Gründungsväter der Sozialen Marktwirtschaft, Professor Müller-Armack, der immerhin lange Zeit Staatssekretär bei Ludwig Erhard war, gesagt hat, dass gegen einen Mindestlohn nichts einzuwenden ist, solange wie der Gleichgewichtslohn nicht gestört wird.

    Dobovisek: Warum haben das Ihre Parteifreunde bisher anders gesehen?

    Schiewerling: ... , weil Müller-Armack nichts gesagt hat, ob er damit einen staatlich festgesetzten Mindestlohn meint, oder einen von den Tarifpartnern. Wir haben ja unter CDU-Kanzlern jede Menge Mindestlöhne eingeführt nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz. Wir haben etwa sechs Millionen, fünf Millionen Menschen, die im Augenblick nach einem Mindestlohn arbeiten, der ein branchenspezifischer ist und der im Entsendegesetz festgelegt wurde.
    Um was es jetzt geht, ist, dass wir dort, wo die Tarifpartner nicht stark sind, dort, wo man nicht zu gemeinsamen Tarifen kommt und wo es zu Verwerfungen kommt, eine Lohnuntergrenze bekommen, die aber nicht vom Staat festgesetzt wird, sondern die von den Tarifpartnern maßgeblich gefunden wird. Und wer dann sonst noch der Kommission angehört und da mitwirkt, wird sich ja dann zeigen. Nach meinen Vorstellungen müsste das dann die Wissenschaft sein, neben den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, und die Regierung. Und die sollten sich dann für die Regionen, in denen es keine Lohnuntergrenze gibt, in denen es keine Tarifverträge gibt, auf eine entsprechende Lösung verständigen.

    Dobovisek: Helfen Sie uns doch noch mal bitte dabei, das ein bisschen zu sortieren. Wir haben auf der einen Seite die Tarifpartner, die sich ja ohnehin miteinander verständigen, wenn es um Tarifgespräche geht. Jetzt soll eine Kommission dann eventuell richten, dass die Tarifpartner sich nicht haben einigen können. In der Kommission wiederum sitzen dann aber die Tarifpartner. Also wie soll es dann da zu einer Einigung führen?

    Schiewerling: Nehmen Sie die großen Branchen, in denen die Frage einer Lohnuntergrenze überhaupt keine Rolle spielt, nehmen Sie den ganzen Elektro- und Stahlbereich, nehmen Sie den ganzen Bereich, der von der IG mitbestimmt wird, also der ganze Bereich Energie, Bau et cetera, überall dort gibt es funktionierende Tarifverträge. Die Menschen, die dort arbeiten, sind von dieser Frage überhaupt nicht betroffen. Jetzt geht es um die Frage, dass wir Regionen in Deutschland haben, wo es keine flächendeckenden Tarifverträge gibt, Branchen, in denen man sich schwer tut, zu auskömmlichen Löhnen zu kommen und wo es Verwerfungen gibt, und genau in diesen Branchen soll dann eine allgemeine Lohnuntergrenze ihre Wirkung entfalten. Und ich halte das für überhaupt nicht widersprüchlich, dass dann auch die Gewerkschaften, die für diese Branche prinzipiell zuständig sind, und die Arbeitgeber, die in dieser Branche vertreten werden, bei der Findung von solchen Lohnuntergrenzen dann entsprechend mitwirken. Wie das zu organisieren ist, darüber wird ja im Augenblick auch diskutiert. Aber ich glaube, dass dies möglich ist, sodass wir dann letztendlich deutschlandweit zu einer solchen Untergrenze kommen.

    Dobovisek: Was, wenn keine Einigung erzielt wird in der benannten Kommission? Kommt dann der gesetzliche Mindestlohn?

    Schiewerling: Der gesetzliche Mindestlohn, den die Regierung alleine festsetzt oder den die Politik festsetzt, wird es mit der Union nicht geben. In jedem Fall sind die Arbeitgeber und sind die Gewerkschaften zu beteiligen und sie sollen daran mitwirken. Und ich erlebe ja auch sehr konkret, selbst in meinem Wahlkreis, in dem wir eine Arbeitslosenquote von drei Prozent haben, dass die Arbeitgeber zum Beispiel im handwerklichen Bereich und im mittelständischen Bereich sehr wohl Interesse daran haben, dass es so etwas wie eine Lohnuntergrenze gibt, und auch selbst Interesse daran haben, daran mitzuwirken, sodass ich fest davon ausgehe, dass auch im Arbeitgeberbereich in den unterschiedlichen Branchen hier ein Interesse besteht, denn im Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber gibt es, auch wenn der Herr Hundt sich entsprechend äußert, keineswegs eine einheitliche Meinung und eine einheitliche Position. Das deutsche Handwerk kann sich sehr wohl einen branchenspezifischen Lohn, eine branchenspezifische Lohnuntergrenze vorstellen, an der Arbeitgeber und Gewerkschaften mitarbeiten.

    Dobovisek: Sie sprechen die Kritik der Arbeitgeberverbände an, die ja sagen, Lohnuntergrenzen oder nennen wir es Mindestlöhne gefährden Arbeitsplätze. Das ist auch das, was die CDU bisher immer gesagt hat. Wir haben es vorhin von der Kanzlerin selbst gehört. Was hat sich daran jetzt geändert?

    Schiewerling: Eine Untersuchung, die das Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegeben hat, um mal herauszubekommen, wie die jetzt nach dem Entsendegesetz in Kraft getretenen Mindestlöhne sich auf den jeweiligen Bereich, die jeweilige Branche, für die sie gelten, auswirken. Und wir haben festgestellt, dass es dort keine Verwerfungen gibt und dass es dort zu keinen negativen Auswirkungen gekommen ist hinsichtlich der Beschäftigung von Menschen. Ganz im Gegenteil: Wir haben auch dort Aufwuchs von Beschäftigung. Und wenn wir diese Untersuchung uns anschauen und wenn wir die weiteren Branchen beobachten, die wir dort haben, stellen wir fest, dass, wie Müller-Armack gesagt hat, wir hier eine Regelung bekommen, eine Lohnuntergrenze bekommen, die das allgemeine Lohnniveau nicht durcheinanderbringt. Wenn man dem Rechnung trägt, führt das auch nicht zu Verwerfungen am Arbeitsmarkt, aber wir sichern damit für die Menschen, dass sie für einigermaßen auskömmliche Löhne arbeiten können.

    Dobovisek: Also fassen wir das noch einmal zusammen: Mindestlöhne gefährden keine Arbeitsplätze. Richtig?

    Schiewerling: Wenn Mindestlöhne das allgemeine Gleichgewicht der Löhne nicht stören, ... Also wenn sie jetzt hingehen, und legen einen Mindestlohn von 15 Euro fest, garantiere ich Ihnen, dass sie zahlreiche Branchen haben, die nicht in der Lage sein werden, dies zu erwirtschaften. Also muss die Tarifkommission, die dort gefunden wird, die Kommission, die dort zusammenkommt, mit Augenmaß und Vernunft sich den jeweiligen Bereich ansehen und muss feststellen, welcher Lohn ist wirksam und wie reagiert die jeweilige Branche in der jeweiligen Region darauf.

    Dobovisek: Aber warum gehen Sie dann nicht gleich einen Schritt weiter, Herr Schiewerling, und sagen ganz klar, in Deutschland darf niemand weniger verdienen als sieben Euro die Stunde, denn alles, was darunter liegt, ist prekär und damit kann man keine Familie ernähren?

    Schiewerling: Das wird unterm Strich von dieser Kommission letztendlich dabei herauskommen, weil letztendlich immer das schwächste Glied dann letztendlich die Untergrenze bestimmt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dann große Tarifverträge darauf einschwenken.

    Dobovisek: Fehlt Ihnen der Mut, das gesetzlich festzuhalten?

    Schiewerling: Das hat mit Mut… Die gesetzlichen Grundlagen werden ja geschaffen werden können. Wir haben übrigens ein Gesetz, was die Möglichkeiten eröffnet, dies zu regeln. Das ist das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Wenn wir dieses Mindestarbeitsbedingungsgesetz, das aus dem Jahre 1954 kommt, aber nie richtig zur Anwendung gekommen ist, jetzt noch mal genau anschauen und die Möglichkeiten, die es dort gibt, nutzen beziehungsweise sie gesetzlich neu fassen, bin ich ganz sicher, dass wir hier zu brauchbaren und vernünftigen Lösungen kommen, die dann auch für ganz Deutschland gelten.

    Dobovisek: Der CDU-Arbeitsmarkt- und -Sozialpolitiker Karl Schiewerling im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen!

    Schiewerling: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.