Heinemann: Was heißt ‚inhaltlich auseinandersetzen', wie weit geht das?
Schäuble: Inhaltlich auseinandersetzen heißt vor allen Dingen, aufzuzeigen, dass die PDS - was ja typisch ist für radikale Parteien - nur vorhandene tatsächliche oder vermeintliche Missstände oder Probleme ausbeutet, aber in Wahrheit keine verantwortlichen Lösungsvorschläge macht. Die PDS versucht ja, Missstimmungen aufzuheizen, aufzuladen, und von der Unzufriedenheit Stimmen zu bekommen, zu profitieren. Aber sie verweigert Antworten auf die Frage: Was kann denn nun eigentlich wirklich getan werden, damit es besser wird?
Heinemann: Aber das haben Sie doch bisher auch schon gesagt.
Schäuble: Ja sicher, aber wir haben eben nun auch nach den Erfahrungen der Landtagswahlen in einigen Ländern in Ostdeutschland deutlicher gesehen, dass die Sozialdemokraten - angesichts ihrer Aufgabe, sich mit der PDS auseinanderzusetzen - sehr versagt haben. Die SPD liegt heute in ostdeutschen Ländern auf Platz drei. Und deswegen haben wir gesagt, wir müssen auch diese Aufgabe stärker wahrnehmen, da die SPD so versagt.
Heinemann: Könnten Sie sich eine Zusammenarbeit im Parlament vorstellen, gemeinsame Anträge?
Schäuble: Das wird in der Regel nicht der Fall sein, denn wissen Sie: Zusammenarbeit im Parlament, die besteht natürlich darin, dass wir alle demokratisch gewählt sind und jeder - auch in ganz unterschiedlichen Rollen - ja eine gemeinsame Verantwortung hat. Aber darüber hinaus gibt es wenig Gemeinsamkeiten. Wir grenzen uns scharf ab.
Heinemann: Die Auseinandersetzung des früheren CDU-Generalsekretärs Peter Hinze mit der PDS beschränkte sich auf ‚rote Winterstrümpfe'. Gehört diese Form der Auseinandersetzung der Vergangenheit an?
Schäuble: Also, es ist ja nicht zutreffend, dass die Auseinandersetzung in den Zeiten, in denen Peter Hinze Generalsekretär war, sich darauf beschränkt hat. Das war ein ganz wirkungsvolles Wahlkampfmittel im Wahljahr 1994, das liegt jetzt auch schon fünf Jahre zurück. Aber das ist natürlich von den Menschen noch ein wenig stärker verstanden worden als ein Hinweis auf die Vergangenheit. Und das war 94 sicher richtig, aber wir sind inzwischen fünf Jahre weiter. Und deswegen sagen wir eben ganz übereinstimmend alle miteinander in der Unionsführung: Es genügt nicht. Wir können nicht nur die Menschen davon abhalten, PDS zu wählen, indem wir sagen: Das ist die frühere SED, die die Verantwortung für Mauer und Stacheldraht und Schießbefehl und die Stasi in Deutschland trägt, sondern wir müssen eben auch aktuell die Menschen davon überzeugen, dass das, was die PDS vertritt, keine gute Lösung für die Zukunft unseres Landes ist.
Heinemann: Herr Schäuble, Richard von Weizsäcker hat vor Jahren gesagt: Die PDS müsse in die Verantwortung, auch in die Regierungsverantwortung - vorausgesetzt, sie bekenne sich klar zur Deutschen Einheit. Teilen Sie heute diese Position?
Schäuble: Also, ich kenne das Zitat, das Sie jetzt von Richard von Weizsäcker anführen, so nicht. Ich habe noch in Erinnerung, dass er gesagt hat, man müsse sich stärker mit den Inhalten, die die PDS vertritt, auseinandersetzen. Da sind wir dann ja auch nicht auseinander. Ich halte nichts davon, dass die PDS in Regierungsverant-wortung kommt. Dort, wo sie in Regierungsverantwortung ist, in Mecklenburg-Vorpommern, auch mittelbar in Sachsen-Anhalt, gehen ja die Dinge auch besonders schlecht - auch im Vergleich der ostdeutschen Länder. Also, ich möchte die PDS nicht in Regierungsverantwortung haben, sondern wenn überhaupt im Parlament - am liebsten würde ich sie unter fünf Prozent sehen, aber solange das nicht zu erreichen ist, muss sie jedenfalls Opposition bleiben. Und sie ist ja auch stark geworden durch die Zusammenarbeit, die die SPD mit ihr seit 1994 angefangen hat. Da hat ja das Elend seinen Lauf genommen.
Heinemann: Ist die Diskussion um die PDS jetzt in der CDU die Antwort auf die Schwäche der FDP?
Schäuble: Nein, damit hat das nun überhaupt nichts zu tun. Ich sagte ja: Dass wir uns jetzt stärker mit der Frage beschäftigen hat damit zu tun, dass wir auch nicht uns darüber freuen, dass die SPD in Ostdeutschland so schwach geworden ist, dass die PDS jetzt auf Platz zwei in den Wahlen in einigen ostdeutschen Ländern gelandet ist. Und deswegen haben wir gesagt. Wir müssen stärker - angesichts des Versagens der Sozialdemokraten - den Menschen klarmachen: Das, was die PDS vertritt, das ist eben keine Lösung, weder für irgendeines der ostdeutschen Länder noch für Deutschland insgesamt. Und das ist das, was wir meinen und das wir jetzt stärker machen müssen.
Heinemann: Aber Sie vertreten doch auch gemeinsame Positionen: "Mehr Sozialstaat ‚ja', keine Schnitte im sozialen Netz" - das ist die Position der PDS. Auch die CDU tritt zur Zeit als Partei der Besitzstandswahrer auf, Beispiel: Der Protest gegen die Anpassung der Renten an den Inflationsausgleich. Befinden sich die Christdemokraten dabei nicht in schlechter Gesellschaft der Rückwärtsgewandten?
Schäuble: Also, Herr Heinemann, in der Frage sind ein paar Dinge nach meiner Meinung nicht zutreffend, so dass wir sie der Reihe nach auseinanderhalten muss. Erstens einmal: Es wird ja etwas nicht dadurch falsch, dass es ein anderer auch sagt. Wenn jemand sagt: ‚Zwei mal zwei ist vier', dann kann ich ja nicht deswegen dagegen sein, bloß weil der, der das sagt, ein schlimmer Verbrecher ist - was ich nicht von der PSD behaupten will. Zweitens: Die CDU ist nicht eine Partei der Besitzstandswahrer. Das stimmt ja gar nicht. Wir haben ja immer gesagt: Wir brauchen eine Rentenreform, damit die Renten langfristig sicherbleiben können. Wir müssen das Anwachsen der Renten in den kommenden Jahren verlangsamen. Wir haben das übrigens gemacht, das war ja Gesetz. Und einer der großen Fehler der Regierung Schröder war ja, dass man diese Rentenreform, die Gesetz war, zurück-genommen hat in der Anfangszeit der Regierung Schröder. Wogegen wir uns wehren, das ist die kurzfristige Manipulation der Rentenanpassung nach dem Prinzip ‚Renten nach Kassenlage in den nächsten zwei Jahren', ohne dass damit kein irgendwie erkennbares langfristiges Rentenkonzept verbunden ist. Wir haben immer gesagt - wir haben es übrigens auch in unserer Kritik an dieser Manipulation von Schröder und Riester, auch in dem Brief an die Rentner gesagt -: Wir kommen um eine Reform der Renten nicht herum. Das unterscheidet uns übrigens genau von der PDS. Die PDS kritisiert nur, dass irgend etwas gemacht wird. Aber sie sagt nicht, dass Reformen notwendig sind. Wir bekennen uns zu der Notwendigkeit der Reform. Wir haben bisher auch Konzepte vorgelegt und wir bieten im übrigen auch der Regierung an, darüber zu sprechen. Nur leider verweigert die Regierung Gespräche. Sie hat auch kein eigenes Rentenkonzept.
Heinemann: Der sächsische Ministerpräsident unterstützt die rot-grüne Renten-politik. Wie beurteilen Sie Biedenkopfs Äußerungen?
Schäuble: Sie haben Biedenkopf offensichtlich falsch verstanden. Herr Biedenkopf hat seit langem gesagt, dass er diese willkürliche Manipulation der Rentenanpassung in den nächsten zwei Jahren für einen völlig unzuträglichen Vorgang hält, dass dahinter sich auch gar kein Rentenkonzept verberge. Er hat im übrigen darauf hingewiesen, dass das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Und deswegen hat er gesagt: ‚Das können wir im Bundesrat nicht aufhalten'. Aber er hat nicht gesagt, dass er das unterstützt. Biedenkopf - das ist bekannt - sagt seit langem, dass eine noch grundlegendere Reform des Rentensystems notwendig sei, als wir sie in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben. Da gibt es unterschiedliche Meinungen innerhalb der Union - das ist ja auch in Ordnung. Die Meinung vertritt Biedenkopf noch immer. Aber diese Position von ihm, die ihn auch dazu führt, dass er sagt: ‚Das, was Riester jetzt macht, das ist sowieso bedeutungs-los. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Rentenreform' - die kann man nicht missverstehen, indem man sagt, Biedenkopf unterstützt jetzt die Rentenreform von Riester. Das Gegenteil ist der Fall.
Heinemann: Kurt Biedenkopf hat in der BERLINER ZEITUNG gesagt: ‚Die Rente orientiert sich doch seit 20 Jahren an der Inflationsentwicklung, der Inflationsausgleich ändert für die Rentner sowieso nichts, deshalb sei die ganze Debatte darum für ihn kein Thema'. Hat er da recht?
Schäuble: Das kann man jetzt so interpretieren, wie es in der Öffentlichkeit zum Teil gemacht wird - dass er sagt - also unterstützt er die Reform. In Wahrheit ist es aber so, dass er sagt: ‚Das beweist, dass der Vorschlag von Riester völlig ungeeignet ist, weil da eben überhaupt kein langfristiges Konzept ist'. Es ist schon . . .
Heinemann: . . . Entschuldigung, aber es ist doch insofern ein langfristiges Konzept, als es seit 20 Jahren - wie Biedenkopf sagt - schon Gang und Gebe ist . . .
Schäuble: . . . ja Moment: Wir haben ja bisher nicht eine Rentenanpassung nach Inflationsausgleich, sondern was wir haben, ist die Nettolohn-bezogene Rente. Und Biedenkopf hat darauf aufmerksam gemacht, dass in den zurückliegenden Jahren die Rente - nach Nettolohn angepasst - sich nicht sehr viel stärker entwickelt habe. Das ist wahr, das ist zutreffend. Das hat im übrigen damit zu tun, dass die Nettolöhne und Nettogehälter auch wegen der hohen Steuer- und Abgabenbelastung eben auch nicht sehr viel stärker gewachsen sind. Aber das ersetzt ja noch kein Rentenkonzept. Wir haben gesagt: Wir brauchen einen demografischen Faktor, das heißt, wir müssen die Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung in der Rentenformel berücksichtigen. Das haben wir beschlossen. Biedenkopf hat damals gesagt: ‚Das wird zu wenig sein, das wird nicht ausreichen'. Aber Riester macht jetzt ja nur für zwei Jahre eine Manipulation der Rentenanpassung und sonst gar nichts. Und da sagt Biedenkopf in der Tat: ‚Das ist überhaupt kein Thema, denn das ist gar nichts'.
Heinemann: Herr Schäuble, die Bürgerinnen und Bürger möchten zweierlei wissen. Erstens: Wie lange müssen wir arbeiten, und zweitens: Wie hoch ist unsere Rente? Wie lautet die Antwort der CDU für die heute 40- bis 50-jährigen?
Schäuble: Ja, was die Frage anbetrifft - ‚wie lange müssen wir arbeiten' - muss man zunächst einmal ganz ehrlich sagen: In einer Zeit, in der die Menschen ja länger leben - die Lebenserwartung steigt ja -, kann die Lebensarbeitszeit nicht immer weiter sinken. Sie ist ja durch längere Ausbildungszeiten schon erheblich gesunken in den letzten Jahren. Deswegen habe ich ja auch ganz offen gesagt: Wir werden mittelfristig eher mit einem höheren Renteneintrittsalter als mit einem weiteren Absinken rechnen müssen. Deswegen ist auch der Vorschlag von Herrn Riester und der IG Metall, das Rentenalter auf 60 abzusenken - um es nur mit Biedenkopf zu sagen -, ein ‚ungeheuerlicher Vorschlag'. So hat Biedenkopf das genannt. Also, das wird mittelfristig eher ein Stück weit nach oben gehen. Was wir wünschen ist allerdings, dass die Menschen selber mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten haben, dass sie selber frei entscheiden können, zu welchem Zeitpunkt sie aufhören wollen zu arbeiten, dass es auch mehr Flexibilität - zum Beispiel mit Teilzeitarbeit - gibt, Altersteilzeit. Wir haben ja solche Modelle in der letzten Legislaturperiode schon auf den Weg gebracht. Auch die werden durch die Rente mit 60 von der IG Metall und von Riester völlig abgeschnitten. Das zeigt, dass das falsch ist. Nein, wir brauchen mehr Wahlfreiheit, und das heißt natürlich auch: Wir brauchen - wenn der Rentenbeitrag nicht weiter steigen soll, was er nicht kann wirtschaftlich - dann brauchen wir einen größeren Raum für private Vorsorge. Das ermöglicht dann den Menschen auch stärkere individuelle Entscheidungen, mehr Wahlfreiheit.
Heinemann: Herr Schäuble, welche Oppositionsarbeit ist in den kommenden Monaten von der Union zu erwarten? Wird sich der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble an der Lösung der Probleme beteiligen und dabei möglicherweise auch ‚Kröten schlucken' - oder wird der Parteichef Wolfgang Schäuble vor allem den Landtagswahlkämpfern Rühe und Rüttgers zuarbeiten und die Regierung möglichst alt aussehen lassen?
Schäuble: Also, Opposition heißt immer, die Regierung unter den Druck von Kritik und einer besseren Alternative zu setzen. Das haben wir bisher schon gemacht, das werden wir auch in der Zukunft machen. Und das ist dann auch kein Gegensatz zu den Interessen der Landesverbände, die Wahlkämpfe haben. Volker Rühe und Jürgen Rüttgers - das sind ja die beiden Kandidaten der Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - drängen ja gerade auch sehr darauf, dass wir inhaltlich unsere Positionen so konkret wie möglich beziehen; insofern machen wir das alles gemeinsam. Wir haben im übrigen jetzt eine gewachsene Verantwortung im Bundesrat bei Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Das ist nicht die Rente, aber beispielsweise die Steuerpolitik. Die Regierung hat keine Mehrheit mehr im Bundesrat. Wir haben gesagt: Wir sind zur Zusammenarbeit bereit. Deswegen habe ich ja auch am Tag nach der letzten Landtagswahl in diesem Herbst der Regierung angeboten, Gespräche zu führen - was man gemeinsam machen kann, denn den Stillstand des ersten Regierungsjahres von Schröder können wir uns ja nicht noch drei Jahre leisten. Leider lehnt die Regierung bisher das ab.