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Die Chemie des Schrecks

Physiologie. - Wenn in einem Schwarm Fische ein Fisch verletzt wird, dann gerät der ganze Schwarm in Panik. Die Frage: wie verbreitet sich die Nachricht, dass ein Fisch verletzt ist? Schon 1938 wurde dieser Effekt entdeckt, was ihn auslöst, blieb unbekannt. Forscher aus Singapur untersuchten Zebrafische und konnten zeigen: eine zuckerartige Substanz aus der Haut der Fische sorgt im Aquarium mindestens genauso effektiv für Panik im Schwarm.

Von Katrin Zöfel | 15.03.2012
    Fische müssen nicht - wie wir - schnüffeln, um etwas riechen zu können. Stattdessen sorgen in ihren Nasenlöchern Flimmerhärchen für eine kontinuierlichen Sog.

    "Egal welcher Duft im Wasser ist, er wird direkt in das Riechorgan hinein gesogen. Das Naseninnere ist dicht mit Geruchssinneszellen ausgekleidet und jede Sinneszelle hat ihre eigene Direktverbindung zum Geruchszentrum im Gehirn. Je nach Duft wird dann das passende Verhalten ausgelöst. Dem Geruch eines Weibchens schwimmt das Männchen natürlich hinterher, vor dem Duft eines Raubfischs nehmen alle Reißaus."

    Suresh Jesuthasan forscht an der Nationalen Universität von Singapur. Er untersucht, wie Zebrafische Emotionen verarbeiten und was ihr Verhalten steuert. Ganz besonders interessiert ihn, wann und warum die Tiere ängstlich reagieren. Fünf Jahre lang rätselte er, welches Signal in einem Aquarium dafür sorgt, dass alle Fische eines Schwarms panisch reagieren, wenn ein Tier verletzt ist. Dieses Signal wurde zwar vor gut 70 Jahren schon beschrieben und trägt seither den Namen "Schreckstoff", aber was chemisch betrachtet dahinter steckt, war nicht eindeutig geklärt. Sicher war allerdings, dass es eine Substanz aus der Fischhaut sein musste.

    "Wir hatten einfach Glück: Eher durch Zufall haben wir gesehen, dass die Panikreaktion der Fische stärker wird, wenn man Fischhautstücke erhitzt, bevor man sie ins Aquarium gibt. Es gibt nur wenige Substanzen, die durch Hitze nicht zerstört sondern aktiviert werden. Unter anderem gilt das für langkettige Zuckerverbindungen, weil sie in der Hitze zerfallen. So entstehen mehrere aktive, kleine Bruchstücke. Wir haben dann nachgeschaut, welche Zuckerverbindungen in der Fischhaut vorkommen, haben sie isoliert und getestet. Unter anderem fanden wir Chondroitin, und tatsächlich: dieser Zucker löst bei den Zebrafischen die angeborene Panikreaktion aus."

    Chondroitin ist ein Gemisch aus Zuckerverbindungen, also in der Zellmatrix, die die Zellen umgibt und stabilisiert. Als nächstes nutzte der Forscher eine Besonderheit von Zebrafischen für sich aus: Junge Tiere sind fast völlig transparent, selbst ihr Gehirn kann man detailliert von außen unter dem Mikroskop erkennen. Wenn man die Zebrafische genetisch so verändert, dass Nervenzellen hell fluoreszieren, wenn sie aktiv sind, dann lässt sich das, was im Gehirn geschieht, live mitverfolgen. Für Suresh Jesuthasan hieß das: er konnte überprüfen, ob Chondroitin tatsächlich in der Nase als eigener Duft erkannt wird und wo diese Information im Gehirn ankommt. Er legte also junge, lebende Zebrafische in einer Petrischale unter sein Mikroskop und gab reines Chondroitin ins Wasser.

    "Man sieht, wie ein bestimmter Teil des Geruchszentrums im Gehirn hell fluoresziert; deutlich erkennbar ist, dass nicht irgendwelche Nervenzellen reagieren sondern genau die, die nur durch Chondroitin angeregt werden."

    Außerdem war unter dem Mikroskop zu sehen, dass vom Geruchszentrum aus Signale an weitere Hirnbereiche gingen, und zwar an die, die das Fluchtverhalten steuern. Der Wissenschaftler Ron Stoop von der Universität von Lausanne in der Schweiz beschäftigt sich ebenfalls mit Angst und ihrer Regulation im Gehirn – allerdings vor allem bei Mäusen und Ratten. Die Studie an Zebrafischen findet er trotzdem spannend.

    "Mir gefällt diese Studie, weil sie so umfassend ist. Sie klärt, woraus der Schreckstoff besteht, wie er von den Fischen wahrgenommen wird und wie verschiedene Teile des Gehirns reagieren."

    Nicht zuletzt, könne man auch von Fischen einiges über Angst bei Nagern lernen, denn viele Mechanismen seien ähnlich. Suresh Jesuthasan aus Singapur sieht allerdings noch einige offene Fragen. Er sagt:

    "Wir wissen, das wir nur einen Teil der ganzen Geschichte klären konnten. Chondroitin allein nämlich wirkt nicht so stark, wie ein vollständiger Mischextrakt aus Fischhaut. Es müssen also noch andere Stoffe eine Rolle spielen. Außerdem wüssten wir natürlich gerne, was genau die Tiere nach der Panik wieder beruhigt, also welches Signal ihnen sagt: 'Es ist alles OK, die Gefahr ist vorüber.'"