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Die Chemie stimmt nicht mehr

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Ralph Ahrens |
    Mensch und Umwelt besser vor Chemikalien schützen! Das forderten die Umweltminister der Europäischen Union im Juni 1999 und beauftragten die Europäische Kommission, eine nachhaltige Chemikalienpolitik zu entwerfen. Zu recht, denn das aktuelle, gut 20 Jahre alte Chemikalienrecht löst nicht alle Probleme. So reichern sich Stoffe in der Umwelt an, die Hormonsysteme stören können. Andreas Gies vom Umweltbundesamt in Berlin:

    Wenn Sie an die bromierten Flammschutzmittel denken. Wir haben da das Problem, dass es Untersuchungen zum Beispiel aus Schweden gibt, das die sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht haben in ihrer Konzentration in der Muttermilch. Wir haben das Problem auch in Deutschland. Wir haben ansteigende Konzentrationen in den Blutproben, die wir routinemäßig messen. Dieses sind Stoffe, die lange in der Umwelt bleiben, die in Produkten sind, wo man nicht eine bestimmte Quelle identifizieren kann, an der man diese Stoffe aus dem Abgasstrom zum Beispiel raus reinigen kann. Sie werden weit verteilt und sie reichern sich an in biologischem Gewebe, also auch im Menschen.

    Oder eine Form des Chroms – Fachleute sprechen vom 'sechswertigen’ Chrom – kann nach direktem Hautkontakt etwa mit Zement eine allergische Reaktion hervorrufen: die Maurerkrätze. Es bilden sich nicht nur schmerzhafte Ekzeme, sondern die Erkrankung kostet viel Geld, erklärt Reinhold Rühl von der Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt.

    Wir haben im Jahr etwa 400 Neuerkrankungen. Und wir müssen auch die alten Fälle weiterhin bezahlen. Und das kostet etwa 50 Millionen Euro. Wobei das mit Sicherheit die Spitze des Eisberges ist, weil diese Erkrankungen, das ist eine Hauterkrankung an den Händen, für viele Maurer sozusagen zum Beruf gehört und sie diese Erkrankung nicht als solche anzeigen. Das heißt, die Kosten, die dann entstehen, durch eine Behandlung dieser Hauterkrankung, wird von den Krankenkassen getragen und führt aber zwangsläufig auch zu Ausfallzeiten bei den Unternehmen. Und die Bauunternehmen sagen uns immer, dass die Kosten bei ihnen viel höher sind als wie die Kosten bei den Berufsgenossenschaften – eben aufgrund der vielen Ausfallzeiten.

    Solche Gefahren und Risiken durch Chemikalien will die EU senken. Ihre Grundgedanken dazu veröffentlichte die Europäische Kommission im Februar 2001 in einem Strategiepapier, dem Weißbuch 'Strategie für eine künftige Chemikalienpolitik’. So sollen in einem Zeitraum von zwölf Jahren alle rund 30.000 Stoffe systematisch auf ihre Sicherheit geprüft werden, von denen eine Firma jährlich mehr als eine Tonne in der EU herstellt oder in die EU einführt. Uwe Lahl vom Bundesumweltministerium:

    Es geht insbesondere um den Umgang mit den sogenannten alten Stoffe. Alte Stoffe, das ist das Gros der Chemikalien. Neue Stoffe werden schon seit Jahren kontrolliert und geprüft und in ihrer Umwelt- und Gesundheitsauswirkung abgeschätzt.

    Dass bei diesen Altstoffen, die schon seit mehr als 20 Jahren auf dem Markt sind, noch Datenlücken bestehen, erfüllt für Uwe Lahl fast den Tatbestand der Fahrlässigkeit.

    Im Kern will ich damit sagen, dass wir eine höhere Prüfungsintensität beim Zulassen von Rasierapparaten oder Fönen oder sonstigen Elektrokleingeräten haben als wir das haben bei den Stoffen, die in Mengen von mehreren tausend Tonnen beispielsweise pro Jahr in die Umwelt gegeben werden – seit Jahren schon. Und mit denen auch der Konsument tagtäglich umgeht. Und dieses Auseinanderklaffen von Wissen – und Wissen ist die Voraussetzung für Handeln – dieses Auseinanderklaffen müssen wir ändern.

    ... um Arbeiter, Verbraucher und die Umwelt zu schützen. Die künftige Chemikalienpolitik soll aber auch Innovationen fördern und so die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken. Die Europäische Kommission ist jetzt dabei, diese beiden gegensätzlich scheinenden Aspekte unter einen Hut zu bringen. Das ist nicht einfach: Seit Monaten streiten sich bereits innerhalb der Kommission die Generaldirektion Umwelt und die Generaldirektion Unternehmen über wichtige Details, etwa darüber, welche Prüfungen Firmen für welche Chemikalien durchführen müssen, welche Stoffgruppen – ähnlich wie bei Pflanzenschutzmitteln – einer Zulassung bedürfen und welche Daten die Industrie offen legen muss. Uwe Lahl.

    Wir haben eine hoch komplexe Materie. Der Verordnungsentwurf wird nach unserer Kenntnis 500 Seiten umfassen. Das ist also eines der größten Werke, die zumindest auf diesem Sektor Umweltpolitik geschaffen worden sind, weil die Frage kompliziert ist, weil wir so viele Stoffe haben, weil die Stoffe unsere Wirtschaft bis ins Detail durchdringen. Und wenn wir eine Regelung treffen, müssen wir sie einerseits treffen mit dem Schutzziel Umwelt, Gesundheit. Auf der anderen Seite dürfen wir die Wirtschaft nicht paralysieren. Wir dürfen die Wirtschaft nicht in ihrem ureigensten Feld behindern. Und diesen Weg zu finden. Das geht letztlich nur durch einen hohen Detailierungsgrad in den entsprechenden Regelungen.



    Im Mittelpunkt der Debatte steht 'REACH’. Diese Abkürzung steht für 'Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals’ und bezeichnet das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene neue Anmelde-, Bewertungs- und Zulassungsverfahren. Mit ihm will die Kommission die Wirtschaft stärker in die Verantwortung nehmen. Firmen sollen etwa, bevor sie 'besonders gefährliche’ – also etwa krebserregende Stoffe – einsetzen, nachweisen müssen, dass durch ihren Einsatz weder Mensch noch Umwelt gefährdet werden.

    Neu ist auch, dass Hersteller die Verwendungszwecke ihrer Chemikalien definieren und dafür eine Risikobewertung inklusive – falls nötig – Risikominderungsmaßnahmen vorlegen müssen. Andreas Ahrens vom Hamburger Institut für Ökologie und Politik nennt ein Beispiel:

    Derjenige, der einen Lack herstellt für den Verbraucher, für die Anwendung in Innenräumen, der wird zukünftig eine Risikobewertung machen müssen dafür. Das heißt, er wird genau sich überlegen müssen, wie hoch wird meinetwegen die Belastung in einem 30 Quadratmeter Raum sein, wenn mein Kunde seinen Raum damit streicht. Wie viel flüchtige Stoffe sind da drin, wie viel wird er davon einatmen – und, na ja, im schlechten Fall, wie oft muss er das Fenster aufmachen, damit er keine Gesundheitsschäden erleidet.

    Das kommende Anmelde-, Beurteilungs- und Zulassungssystem könne es sogar schaffen, das Vertrauen in Chemikalien wieder herzustellen, hofft Walter Sterzel von Henkel in Düsseldorf.

    Das sehe ich auch tatsächlich als eine Chance, die das Weißbuch allen Beteiligten bietet. Ich denke, worum es uns hier geht – und die Industrie hat ja immer in allen ihren Kommentaren als ersten Satz gesagt, wir begrüßen prinzipiell die Initiative des Weißbuchs –, worum es uns geht, ist: Dass man es mit Augenmaß macht.

    Doch ob die Kommission einen Verordnungsentwurf vorlegen wird, mit dem die Industrie zufrieden ist, bezweifelt der Bundesverband der Deutschen Industrie. Klaus Mittelbach befürchtet das Schlimmste:

    Es droht der Verlust an Produktion in Deutschland. Es droht der Verlust an Wertschöpfung in Deutschland. Es droht der Verlust an Arbeitsplätzen im erheblichen Ausmaß. Es droht der Verlust an Leistungsfähigkeit des Standortes Deutschland. Und das in erheblichem Ausmaß, weil Stoffe ein ganz zentraler Punkt in den Produktionsketten in Deutschland sind.

    Der Industrievertreter beruft sich auf die Studie 'Wirtschaftliche Auswirkungen der EU-Stoffpolitik’, welche die Unternehmensberatung Arthur D. Little in Wiesbaden für den BDI erstellt hat. Basierend auf Einzelbeispielen wurden volkswirtschaftliche Szenarien errechnet: Danach könnte die künftige Chemikalienpolitik allein in Deutschland bis zu 2,4 Millionen Menschen den Arbeitsplatz kosten.

    Die Stichhaltigkeit dieser Studie wird aber von Andreas Ahrens kritisiert:

    Aus Fallstudien ein Modell aufzubauen, was dabei hilft, das System besser zu verstehen und die Stellgrößen im System zu verstehen, also einfach zu gucken, wenn ich an dem oder dem Faktor drehe, entstehen die und die Kosten dabei, auch eine gute Idee. Der dritte Schritt, der dann aber gemacht worden ist, aus diesem Modell eine Hochrechnung zu machen für die gesamte Wirtschaft – und zwar eine statische Hochrechnung für die nächsten zwölf Jahre zu machen – und dann mit Riesenarbeitsplatzverlusten und -wirtschaftsverlusten Stimmung zu machen, das ist genau der falsche Schritt gewesen.

    Und Uwe Lahl aus dem Bundesumweltministerium ergänzt

    Das Entscheidende, was ich als Mangel sehe, nicht nur dieser Studie, sondern der gesamten Diskussion über die neue Chemikalienpolitik, ist, das gar nicht hinreichend darüber nachgedacht wird, welche positiven Effekte von diesen neuen politischen Randbedingungen ausgehen. Es ist nämlich nicht nur so, dass Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz und Umweltschutz gestärkt werden. Es werden natürlich auch die Branchen gestärkt, die innovative Produkte, neue Stoffe, sicherere Stoffe, sicherere Anwendungen auf den Markt bringen. Es werden in dem Sinne auch Strukturen ein Stück weit aufgebrochen. Und gerade der Mittelstand wird hier große Chancen haben in diese sich verändernden Strukturen hinein zu brechen und seine auch wirtschaftlichen Erfolge und Vorteile zu suchen.

    Dennoch: Die Befürchtungen der Wirtschaft haben einen rationalen Kern. So wird das Prüfen der Chemikalien nach Schätzungen der Europäische Kommission über etwa zehn Jahre verteilt rund 3,5 Milliarden Euro kosten. Chemieunternehmen werden sich in Anbetracht dieser Zusatzkosten natürlich überlegen, welche Produktionen sich noch rentieren, betont Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie:

    Die Unternehmen rechnen damit, dass sie die Registrierkosten und die Testkosten ungefähr in einem Zeitraum von fünf Jahren wieder zurück verdienen müssen über die Produkte. Und sie müssen sehr sorgfältig abwägen, ist die Preissteigerung des Produktes, die mit diesem Aufwand verbunden ist, wenn ich die Kosten über fünf Jahre verteilen, lässt sich die noch am Markt durchsetzen oder lässt sie sich nicht mehr durchsetzen. Und für jedes einzelne Produkt ist diese Entscheidung neu zu treffen und neu zu prüfen. Und wir haben Umfrageergebnisse, dass bis zu 40 Prozent der Stoffe vor allem im kleinen Volumenbereich, also unterhalb 100 Tonnen pro Jahr, aufgrund solcher Entscheidungen wegfallen werden.

    Solche Chemikalien werden jedoch oft eingesetzt, um gezielt Produkteigenschaften zu verändern. Etwa in der Lackfabrik Büchner in Brüggen bei Mönchengladbach. Geschäftsführer Gernot Büchner erklärt:

    Viele Eigenschaften unserer Produkte resultieren aus Additiven, die in ganz kleinen Mengen eine hervorragende Wirkung erzeugen. Es gibt zum Beispiel Stoffe, die in ganz geringen Mengen, a) das Glanzverhalten verändern – und zwar positiv verändern –, oder b) ein anderes Verlaufsverhalten erzielen, so dass sie also viel schönere Oberflächen bekommen. Und in vielen Fällen können Sie damit Haftprobleme, die so auf bestimmten Untergründen haben, positiv beeinflussen.

    Fehlen diese Zusatzstoffe, werden auch – wenn kein Ersatz verfügbar ist – die Produkte vom Markt verschwinden. Und Gerd Romanowski ergänzt, der Wegfall von Stoffen werde die Entwicklung und Einführung neuer Produkte behindern, denn ...

    ... die meisten Innovationen in der Chemieindustrie und in den weiterverarbeitenden Branchen beruhen nicht darauf, neue Stoffe in den Verkehr zu bringen, sondern die beruhen darauf, für bekannte Stoffe neue Anwendungen zu finden. Und wenn ich durch ein überzogenes REACH-System und durch überzogene Prüf- und Registrieranforderungen dazu beitrage, dass das Portfolio verfügbarer Stoffe eingeengt wird und nicht mehr zur Verfügung steht, dann schränke ich damit auch automatisch Innovationsspielräume ein.

    In einigen Firmen könnten sich die Kosten dramatisch auswirken – etwa in der Chemiefabrik Zschimmer & Schwarz in Lahnstein, die aus chemischen Rohstoffen spezielle Hilfsmittel für weiterverarbeitende Industriezweige wie Leder-, Textil-, Kosmetik- und Keramikindustrie herstellt: Von mehr als eintausend Produkten, die die Chemiefabrik innerhalb der EU verkauft, könnten sich nur noch 200 rentieren, und der Gesamtumsatz würde dabei von rund 130 auf etwa 80 Millionen Euro sinken, so Geschäftsführer Erhardt Fiebiger: Die Schwere des Problem liegt darin, dass wir eine Vielzahl von Produkten produzieren, was naturgemäß bei Spezialchemikalien der Fall sein muss, da diese ja doch in geringeren Mengen im Markt sind. Und da in unseren Formulierungen eine Vielzahl von unterschiedlichen Komponenten enthalten sind, dann in geringerer Gesamtmenge pro Jahr. Dadurch wird sich die Kostenbelastung auf das dann zu vertreibende Produkt sehr stark auswirken, so dass diese Produkte nicht mehr marktfähig sind. Denn Erhardt Fiebiger fürchtet, dass viele Anwendungen seiner Chemikalien durch die Risikobewertungen der Hersteller nicht abgedeckt und damit auch nicht mehr erlaubt sein werden. Er steht dann wie viele andere Unternehmer auch vor einem Dilemma: Entweder er führt eine eigene Risikobewertung durch – das kostet Geld und Zeit und kaum ein kleiner Betrieb hat das dafür notwendige Wissen. Oder aber er geht zum Hersteller und bittet ihn, die Risikobewertung doch so zu erweitern, dass die auch seine Einsatzgebiete abdeckt; dabei kann es aber passieren, dass er Teile seines wichtigsten Kapitals, nämlich das Wissen, wo man welche Stoffe erfolgreich einsetzen kann, preisgeben muss.

    Hier eine vernünftige Lösung zu finden, wird eine der schwierigsten Aufgaben sein, glaubt Andreas Ahrens:

    Das System, mit dem die Zweckbestimmung eines Stoffes quasi definiert und registriert wird, dass muss so ausgelegt werden, dass es genug Raum lässt, neue Anwendungen zu erfinden, solange man nicht dabei ein neues Risikoniveau erreicht. Und da muss Flexibilität im System sein, sonst könnte tatsächlich das Problem entstehen, dass neue Anwendungen zu erfinden relativ hohen Aufwand bedeutet.

    Die Flexibilität hat für Andreas Ahrens jedoch Grenzen: Etwa dann, wenn ein gefährlicher Stoff zwar sicher in geschlossenen Industrieanlagen eingesetzt werden kann, aber dann doch jemand auf die Idee kommt, ...

    ... dass man damit auch ganz prima Haushaltsreinigungsmittel machen kann. Dann ist das natürlich was, was neu registriert werden muss als Anwendungszweck. Und das ist auch richtig so, dass da an der Stelle sozusagen die Neuerfindung behindert wird: Weil es ist eine Neuerfindung, die zu höheren Risiken führt.

    Auch die Europäische Kommission denkt über praktikable Lösungen nach: Eventuell bekommen kleine und mittlere Betriebe die Möglichkeit, von Herstellern nicht abgedeckte Verwendungen einfach und schnell nachmelden zu können – ohne eigene oder nur mit einer kleineren Risikobewertung.

    Zudem fürchtet die Wirtschaft, dass die neuen anspruchsvolle Regeln, die nur in der EU gelten, zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber Konkurrenten aus den USA, aus Osteuropa oder aus Südostasien führen. Erhardt Fiebiger von Zschimmer & Schwarz nennt ein Beispiel:

    Ein T-Shirt, das entsprechend mit diesen Chemikalien hergestellt worden ist, als Einfuhr in die EU, ist von den Regelungen des Weißbuches nicht betroffen. Sondern im Weißbuch sind nur Dinge betroffen, die echte Chemikalien darstellen. Und insofern ist völlig klar – und das gilt nicht nur für die Textilindustrie, sondern für eine Vielzahl anderer Industrien auch, beispielsweise Lederindustrie, Keramikindustrie –, hier wird es ein Abwandern geben müssen.

    Ein weiterer Wettbewerbsnachteil könnte der Zeitfaktor sein. Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie:

    Wenn ich jetzt Produktbereiche habe mit sehr kurzen Innovationszyklen, dann kann unter Umständen die Zeitanforderung, die mit einem Registrierverfahren oder einem Zulassungsverfahren verbunden sind, dazu führen, dass ich im weltweiten Wettbewerb mit den Amerikanern, mit den Japanern ins Hintertreffen gerate und damit diese Industriezweige und Innovationen abwürge.

    Das gilt insbesondere in der schnelllebigen Elektrobranche. Wolfgang Bloch vom Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie:

    Bei uns werden Produkte innerhalb von sechs bis neun Monaten neu eingeschleust. Und diese Produkte haben dann eine Lebensdauer von vielleicht 18 bis 24 Monaten und werden dann wieder gegen neue ausgetauscht. Wir sehen hier durch die kommende Chemikalienpolitik die Gefahr, dass unsere kurzen Innovationszyklen behindert werden und dass wir mit unseren Produkten gegenüber Konkurrenten auf dem Weltmarkt um eine Produktgeneration hinten an stehen werden.

    Etwa, wenn Chemikalien, die für gewisse Bauelemente gebraucht werden, nicht sofort zur Verfügung stehen, weil sie erst registriert und zugelassen werden müssen. Chemiefachmann Arnim von Gleich vom Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen gibt jedoch zu bedenken.

    Wie heißt es immer so schön: 'Der Kaufmann jammert’. Und Geld ist natürlich ein entscheidender Punkt, Kosten sind ein entscheidender Punkt. Jeder Kaufmann weiß auch, dass er eigentlich zwei Parameter hat. Er hat Kosten und er hat gleichzeitig die Chancen für Erlöse. Und im Augenblick ist die Weißbuchdiskussion insofern schief, dass fast alle, die ökonomisch argumentieren, über die Kosten argumentieren und nicht über die Erlöse. Ich habe die Möglichkeit, meine Erlöse zu steigern, in dem ich Qualität produziere. Und ich habe die Möglichkeit, meine Kosten zu reduzieren, in dem ich effektiver produziere. Man muss immer über beide Chancen reden.

    Und sollte dabei auch über die europäischen Grenzen schauen. In Südostasien beispielsweise entstehen große Fabriken, die nicht nur regionale Märkte beliefern sollen, sondern den gesamten Weltmarkt. Der Konkurrenzdruck wird zunehmen. Andreas Ahrens hält es daher für klug, wenn sich die europäische Wirtschaft auf ihre Stärken besinnt – und da könne die Initiative der Europäischen Kommission helfen:

    Die Frage ist jetzt, wie man sozusagen REACH in einem laufenden Strukturwandel nutzt und interpretiert. Wenn man das als zusätzliche Belastung interpretiert, die sozusagen die Konkurrenzsituation Europas verschlechtert, dann wird man gegen REACH sein. Und wenn man sagt, REACH ist gerade etwas, was an dem strukturellen Konkurrenzvorteil von Europa, nämlich gut ausgebildete Arbeitskräfte, Produktionsprozesse, Dienstleistungen, die auf Wissen basieren, auf Informationen basieren, dann kann man REACH interpretieren als eine Strategie, die Europa möglicherweise gestärkt aus dem Strukturwandel hervorgehen lässt.

    Doch der weltweite Wettbewerb, betont Arnim von Gleich, ist hart:

    Wir werden zur Nachhaltigkeit nicht alle Unternehmen, nicht alle sozialen Strukturen mitnehmen können. Zum Wettbewerb und zu einer Wettbewerbsgesellschaft gehören nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Und wir können nur hoffen, dass das Weißbuch dazu führt, dass die besten gewinnen.

    Und die neue Chemikalienpolitik kommt: In wenigen Wochen will die Europäische Kommission Teile ihres detaillierten Verordnungsentwurfes im Internet zur Diskussion stellen. Dann kann jeder konkrete Verbesserungsvorschläge abgeben – letztlich um eine vernünftige Balance zwischen den Interessen der Wirtschaft und denen des Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzes herzustellen.