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Die DAF: Tourismus, Autos und Kriegswaffen

Sie war mit 25 Millionen Mitgliedern die größte Massenorganisation in der NS-Zeit. Die DAF - Die Deutsche Arbeitsfront. Trotz unzähliger Detailstudien über den Nationalsozialismus ist die DAF bisher nicht umfassend erforscht worden. Der Potsdamer Zeithistoriker Rüdiger Hachtmann wollte das mit seiner Analyse ändern.

Von Otto Langels | 13.08.2012
    "Vor allen Dingen, meine Herren Unternehmer, Sie sollen Führer sein, Sie wollen das auch. Führer sein heißt, wirklich die Kompanie führen. Wir machen aus dem Arbeiter, aus diesem Proleten und Proletarier, den er sich selber nannte, machen wir einen deutschen Arbeiter voll Pflichterfüllung, das machen wir."

    Robert Ley, Reichsleiter der Deutschen Arbeitsfront, nach der Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch SA-Trupps am 2. Mai 1933. Die Nationalsozialisten zerschlugen die Arbeiterverbände und ersetzten sie durch eine eigene Organisation, die DAF.

    Die Deutsche Arbeitsfront gründete populäre Einrichtungen wie das Tourismusunternehmen Kraft durch Freude mit preiswerten Urlaubsreisen auf großen Passagierdampfern. Sie baute Massen-Seebäder wie Prora auf Rügen und stampfte Industriebetriebe wie das Volkswagenwerk aus dem Boden. Bis 1945 wurden in Wolfsburg zwar nur gut tausend zivile Pkw hergestellt, aber die Produktion des Käfers konnte das NS-Regime als großen Propagandaerfolg verbuchen, erläutert der Autor Rüdiger Hachtmann:

    "Das Volkswagenwerk hat deswegen ein so positives Image gehabt, weil damit das Versprechen, vormalige Luxusgüter zu Massenwaren, die auch für einfache Menschen erschwinglich seien, weil dem einfach eine gewisse Realitätstüchtigkeit auf die Art und Weise quasi gegeben wurde; und das tatsächlich auch realistisch zu sein schien, dass dann, wenn keine Kriege geführt würden, also nach dem sogenannten Endsieg, auch – jedenfalls für die deutschen Volksgenossen – das möglich sein würde, sich ein Volksprodukt wie diesen Volkswagen auch tatsächlich anzuschaffen."

    Mit dem Begriff des "volksgemeinschaftlichen Dienstleisters" findet Hachtmann eine kurze und prägnante Charakterisierung für die Deutsche Arbeitsfront.

    Rüdiger Hachtmanns grundlegende Darstellung widmet sich nur am Rande den Freizeit- und Konsumversprechen der Organisation. Sein Interesse gilt dem Wirtschaftsimperium der DAF, das die Nationalsozialisten aus der geraubten Konkursmasse der Gewerkschaften aufbauten. Die DAF konfiszierte Versicherungen wie die Volksfürsorge und den Deutschen Ring, die Arbeiterbank, Wohnungs- und Siedlungsbaugesellschaften sowie Konsumgenossenschaften und Verlage und bündelte sie in einem Mischkonzern von schließlich 200.000 Arbeitern und einem Jahresumsatz von zwei Milliarden Reichsmark. 1939 beschäftigte die DAF nach Hachtmanns Recherchen rund 50.000 hauptamtliche Funktionäre, doppelt so viele wie die NSDAP.

    "Wenn man sich die Wachstumsraten anschaut, wird man für die meisten DAF-Unternehmen feststellen können, dass sie zumindest schneller expandiert sind, dass sie ihre Marktanteile zum Teil ausweiten konnten, ohne zu irgendwelchen politischen Zwangsmitteln oder Ähnlichem zu greifen."

    Obwohl die DAF während der Nazi-Zeit zu den Großunternehmen des Landes zählte, ist ihre Geschichte bislang kaum erforscht. Mit seiner umfassenden, fundierten Analyse schließt Rüdiger Hachtmann diese Lücke. Allerdings macht der wissenschaftliche, mitunter sperrige Stil des Autors das Buch nicht immer zu einer leichten Lektüre.

    Es gelingt dem Autor jedoch, die Struktur der Organisation anschaulich nachzuzeichnen: An der Spitze der DAF stand mit Robert Ley ein Mann, der als "Reichstrunkenbold" verschrien war, ein "alter Kämpfer", NSDAP-Mitglied seit 1924, der sich selber als "fanatischer Apostel" Hitlers bezeichnete. Unter ihm ersetzten zunächst verdiente NSDAP-Mitglieder ohne große Fachkompetenz in vielen Firmen die alten Führungskräfte. Gleichwohl hielt sich die DAF mit ideologisch motivierten Angriffen auf die privatwirtschaftliche Konkurrenz zurück.

    "Gerade die Existenz dieser parteinahen Konzerne, wie das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront eines gewesen ist, zeugt davon, dass die Nationalsozialisten das Prinzip des Privateigentums an Unternehmen und auch das Prinzip der klassischen Konkurrenz nicht aufheben wollten, sondern im Gegenteil extensiv auch für die eigenen politischen Ziele nutzen wollten."

    Hachtmann beschreibt eingehend, wie die DAF nach 1939 den Siegeszug der Wehrmacht nutzte, um in den besetzten Gebieten durch ein skrupelloses Vorgehen ausländische Firmen zu übernehmen, neue Märkte zu erschließen, zahllose Fremdarbeiter zu rekrutieren und in vielen Branchen den Betrieb auf die Produktion von Kriegswaffen umzustellen.
    Die wirtschaftliche Expansion der Deutschen Arbeitsfront stärkte die Position ihres Reichsleiters Robert Ley innerhalb des nationalsozialistischen Machtgefüges.

    "Wichtig ist, dass in dem Zeitraum etwa von 1938 bis '43 die Deutsche Arbeitsfront und ihre Führung auf den politischen Bühnen eine ganz große Rolle gespielt hat. Das hing damit zusammen, dass die DAF mit Abstand die mitgliederstärkste Massenorganisation des Dritten Reiches gewesen ist, mit 1942 schließlich 25 Millionen Mitgliedern, und gleichzeitig damit auch die finanzstärkste Organisation gewesen ist."

    Der enorme politische Einfluss, den Rüdiger Hachtmann der DAF und insbesondere Robert Ley zuschreibt, bleibt in seiner Darstellung jedoch vage. Zwar konnte die Arbeitsfront Machtanspruche rivalisierender Reichsministerien abwehren, aber der Autor hebt selber hervor, dass Leys Imperium im Wettbewerb um lukrative Aufträge nicht immer triumphierte und dass die polykratischen Strukturen des NS-Regimes eine ökonomische Monopolisierung verhinderten. Und in der Gunst Hitlers stand Ley stets hinter Goebbels oder Speer zurück.

    Die Deutsche Arbeitsfront ging mit dem NS-Regime unter, doch ihre Spuren reichten, wie Rüdiger Hachtmann in einem aufschlussreichen Schlusskapitel schreibt, weit in die Bundesrepublik hinein. Es war ein fatales Erbe der DAF, so der Autor, dass die westdeutschen Gewerkschaften, statt auf überschaubare und basisnahe Konzepte der Weimarer Republik zurückzugreifen, auf Größe, Expansion und Zentralisierung setzten. Daran scheiterten letztlich gewerkschaftseigene Unternehmen wie die Neue Heimat, die Coop oder die Bank für Gemeinwirtschaft.

    Buchinfos:
    Rüdiger Hachtmann: "Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933-1945.", Wallstein Verlag, 710 Seiten, 49,90 Euro, ISBN: 978-3-835-31037-7