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Die Daumen an die Schläfen drücken

An den 15 Minuten Entspannungsübungen in der Mittagspause eines Computerzubehörlieferanten im Bundesstaat North Carolina nimmt etwa ein Fünftel der 180 Angestellten teil, vor allem Frauen. Der Betrieb bietet das "stress management program" gratis während der Mittagspause an, um, wie es heißt "dünne Haut widerstandsfähiger" zu machen, und "die Nerven zu

Von Max Bohnel |
    entlasten".

    Fast die Hälfte der US-amerikanischen Grossunternehmen bieten diese Art der Entspannungstechnik an, von Yoga und Biotraining über Atemschulung und Meditation bis zur beliebten Tiefenmuskelentspannung. Der Begriff "stressed out", auf Deutsch "gestresst", ist allerdings so sehr zur Beschreibung des alltäglichen Befindens geworden, dass Stress in der erwiesenermaßen am meisten gestressten Industrienation inzwischen zum normalen Bestandteil des Arbeitslebens gehört. Da dem auch die schwachen Arbeitnehmervertretungen nichts entgegensetzen können, bleiben der Umfang und der Aufwand für das "stress management" jedem einzelnen Arbeitnehmer überlassen. Der Trend hin zum flexiblen "mobile worker", der zuhause, auf dem Weg zum Arbeitsplatz oder sogar im Urlaub arbeitet, geht dabei einher mit den entsprechenden Antistress-Programmen - Online-Entspannung, zum Beispiel angeboten von der Internetfirma "Hypnosoft", die Selbsthypnose mithilfe einer Roboterstimme verspricht.

    "Hello, I'm the male voice. At first, I may sound a little bit unusual…"

    Der Roboter enschuldigt sich dafür, dass er so langsam spricht, aber genau das trage bei längerem Zuhören zur Entspannung bei. "Hypnosoft" bietet dieselbe Version auch von einer weiblichen Roboterstimme gesprochen an.

    "Relax your arms and legs, tell your arms and face to relax, let all your muscles and bones relax. "

    Der gestresste "mobile worker" erhält Angaben über die entsprechende Entspannungs-Webseite von seiner Firma, er kann die MP3-Datei sofort herunterladen und, in Bus, Zug oder U-Bahn, den Kopfhörer an Laptop oder IPod angeschlossen, für ein paar Minuten ganz modern entspannen.

    ""Welcome to this time of relaxation. This tape is
    designed to take you."

    Andere Webseiten liefern Bilder von Wellen, Wüsten oder Weltalls zum Ton gleich dazu. Eine Warnung vorweg: "bitte nicht beim Autofahren verwenden."

    "turn it off and wait until you get home."

    Umfragen, die von Versicherungen erhoben wurden, bestätigen, dass die meisten Arbeitnehmer den Arbeitsplatzstress als größten Stressfaktor noch vor finanziellen oder familiären Problemen wahrnehmen. Der "job stress" ist den Umfragen zufolge vor allem auf Leistungs- und Produktionsdruck zurückzuführen, gekoppelt mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust. Nicht die Psyche sei das Hauptproblem, sondern die Bedingungen am Arbeitsplatz, heißt es auch auf einer Webseite des Washingtoner Gesundheitsministeriums:

    Stressverursachende Arbeitsplatzbedingungen könnten zu Krankheit und Verletzung führen. Solche Bedingungen seien beispielsweise zu knapp bemessene Produktionszeiten und zu hohe Produktionserwartungen, die fehlende Kontrolle der Angestellten über die Arbeitsbedingungen, mangelnde Unterstützung von Vorgesetzten oder unklare Rollenverteilungen.

    Stress ist im Gegensatz zu physischen Risiken am Arbeitsplatz gesetzlich kaum definiert. Was den Umgang mit dem so genannten normalen Stress, der unterhalb der Ebene des Extremstresses etwa bei Feuerwehrleuten, Polizisten oder Soldaten bleibt, dem Gutdünken von Unternehmensführungen überlässt und damit deren Interesse, Kosten zu senken. Von daher erklärt sich auch der Trend weg von unternehmensinternen Entspannungskursen. Was aber ist mit dem ständig unter Strom stehenden Banker und dem gestressten Manager ? Ein reines Klischee, im Gegensatz zum normal gestressten Beschäftigten. Dies ergab sich im Mai diesen Jahres aus einer Studie von Wissenschaftlern der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh. Menschen mit hohen und extrem hohen Einkommen hätten einen viel ausgeglicheneren Stresshormonspiegel als der Durchschnitt, lautete das Resultat.