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Die Debatte innerhalb der Sportärzteschaft verschärft sich

Innerhalb der deutschen Sportärzteschaft wird in diesen Wochen so heftig gestritten wie noch nie. Anlass sind Forschungsergebnisse von Berliner Historikern, die vor zwei Monaten Neues zu dem vorlegten, was sie "systemisches" Doping in der alten Bundesrepublik nannten. Lange als unantastbar geltende Exponenten der Sportmediziner-Zunft stützten das System.

Von Robert Kempe | 03.01.2012
    In der aktuellen Ausgabe der "Zeitschrift für Sportmedizin" distanziert sich die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin (DGSP) nun ganz ausdrücklich von einem ihrer prominentesten Mitglieder. Es handelt sich um Heinz Liesen, langjähriger Arzt der Fußball-Nationalmannschaft und der Nordisch Kombinierten. Er hatte auch kürzlich noch in Interviews dafür plädiert, Testosteron freizugeben, um bei Athleten die Regeneration zu beschleunigen. Im Deutschlandfunk legte daraufhin der angesehene Ulmer Sportmediziner Jürgen Steinacker seinem Kollegen nahe, aus der Gesellschaft auszutreten.

    Wie jetzt zu erfahren war, hat inzwischen auch die DGSP empfohlen, Liesen auszuschließen. Dafür wäre der Sportärztebund Westfalen zuständig. Dessen Vorsitzender Reinhold Weyer wollte sich zu der Causa auch auf Deutschlandfunk-Anfrage offiziell nicht äußern. Liesen gilt im zweitgrößten Landesverband der Mediziner-Gesellschaft als anerkannter Wissenschaftler. Sein Verband zieht sich offenbar darauf zurück, dass es bisher noch keinen förmlichen Präsidiumsbeschluss der DGSP für ein Ausschlussverfahren gibt. Auch wartet man noch auf angeblich vor Wochen von der DGSP angeforderte Unterlagen zu Liesen.

    Derweil fordert Liesens aktueller Nachfolger beim Deutschen Fußball-Bund eine bessere Ausbildung für Sportmediziner. Tim Meyer, Professor an der Uni-Saarland und seit 2001 Mannschaftsarzt der Nationalelf, regt an, die Zeit für Ausbildungsinhalte zu verlängern. Sportmedizin ist in Deutschland nur eine Zusatzbezeichnung. Sie ist mit gerade einmal 240 Stunden Weiterbildung zu erwerben:

    "Abgesehen davon bietet auch diese geringe Zahl von Stunden, die man dort leisten muss, relativ wenig Möglichkeiten, um Antidoping-Inhalte gründlich zu vermitteln. Man könnte also in dem Moment, wenn man die Ausbildung aufwerten würde, eine ganze Menge Inhalte aufnehmen die zum Beispiel den Antidoping-Kampf fördern würden, aber auch andere Qualifikationen für die leistungssportliche Betreuung."

    In vielen europäischen Ländern steht die Sportmedizin im Kanon der klinischen Fächer weiter oben; in 18 kann der Titel 'Sportmediziner' nur im Rahmen einer mehrjährigen Facharztausbildung erworben werden. Und Meyer sieht noch weitere Gefahren für eine unabhängige Sportmedizin in Deutschland:

    "Ein Punkt ist, dass die Honorierung für Ärzte meines Erachtens in keinem Fall vom sportlichen Erfolg abhängen darf. Und der zweite Punkt ist, dass die berufliche Existenz nicht vom Leistungssport abhängen darf. Das heißt also, ob ein Verein absteigt oder ein Spieler ein Turnier gewinnt, darf nicht damit zusammenhängen, ob der Arzt seine Familie versorgen kann oder nicht. Das muss man unbedingt verhindern, denn ansonsten schafft man strukturell Anreize zum Dopen."

    Absehbar sind solche Reformen noch nicht. Aber so viel scheint sicher: Die Debatte über die eigene Vergangenheit wird auch die über eine Neuausrichtung nicht so schnell verstummen lassen.