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"Die Debatte ist etwas merkwürdig"

Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Beauftragter für den Aufbau Ost, hält es für richtig, in dem für Januar geplanten weiteren Konjunkturpaket einen Schwerpunkt auf Infrastrukturmaßnahmen im Westen Deutschlands zu legen. Im Osten sei die Infrastruktur in den vergangenen 15 Jahren relativ erfolgreich aufgebaut worden, im Westen sei aber vieles vernachlässigt worden, so der SPD-Politiker.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Zu Beginn des kommenden Jahres erst wird entschieden über ein neues Konjunkturprogramm. Wie es sich zusammensetzt, ob Steuererhöhungen dazugehören werden oder nicht, darüber dürfte in den kommenden Wochen noch kräftig gestritten werden. Und die Debatte tangiert inzwischen wieder einmal die Ost-West-Ebene in Deutschland. Während Kanzlerin Merkel mahnt, auch den "Aufbau West" nicht zu vergessen, empören sich Politiker aus den ostdeutschen Ländern.
    Am Telefon ist jetzt Klaus von Dohnanyi (SPD), ehemaliger Beauftragter für den Aufbau Ost. Ich grüße Sie, Herr von Dohnanyi.

    Klaus von Dohnanyi: Guten Tag, Frau Klein.

    Klein: Müssen wir uns jetzt gezielt dem "Aufbau West" zuwenden?

    von Dohnanyi: Ich finde, die Debatte ist etwas merkwürdig, denn was die Bundeskanzlerin gesagt hat und womit sie ja völlig Recht hat, ist, dass wir im Westen in den vergangenen 10, 15 Jahren einen erheblichen Teil der Infrastruktur-Modernisierung unterlassen haben - und zwar unterlassen, weil wir natürlich zunächst die Hauptaufgabe darin sehen mussten, die Infrastruktur im Osten aufzubauen. Und wenn man mal bedenkt, dass das, was aus dem Westen in den Osten transferiert, also übertragen worden ist an Mitteln, mindestens doppelt so hoch ist wie das gesamte Finanzschutzpaket von 500 Milliarden Euro, also wenn man das bedenkt, dann muss man doch jetzt sehen, dass man natürlich auch im Westen bei dieser Politik, nachdem im Osten die Infrastruktur wirklich relativ gut durchgebaut ist und ja der Solidarpakt II immer noch gilt für die Infrastruktur und ja nicht beeinträchtigt wird, schauen muss, was zu machen ist. Also ich finde die ganze Debatte sehr abenteuerlich. Völlig selbstverständlich, ich habe das immer gesagt: Der Westen muss opfern, während der Osten aufgebaut wird. Aber wenn im Osten die Infrastruktur einigermaßen erträglich ausgebaut ist, dann muss natürlich auch der Westen wieder in die Modernisierung hineingebracht werden.

    Klein: Was sagen Sie den Menschen in Ostdeutschland, die sich jetzt von der Kanzlerin verraten fühlen?

    von Dohnanyi: Denen sage ich, dass das Unsinn ist, und den Politikern, die das sagen, sage ich, dass sie wieder nicht wahrheitsgemäß berichten. Es ist einfach so, dass der Osten natürlich das Hauptgebiet für den Ausbau der Infrastruktur war, und wenn jetzt ein zweites Konjunkturprogramm kommt - übrigens auch das sollten die Medien ja mal begreifen, dass die Kanzlerin immer gesagt hat, es wird ein zweites Programm kommen, aber nicht sofort, man wird am 5. Januar darüber beraten und vielleicht Ende Januar oder im Februar beschließen -, es wird eben im Wesentlichen die Infrastruktur berühren: also Straßen, Schulen, Universitäten und so weiter. Wenn sie heute in die ostdeutschen Universitäten gehen, dann sind die fast alle wesentlich moderner als die westdeutschen. Das ist einfach so. Da sozusagen jetzt auch in Westdeutschland nachzuholen, das ist doch völlig selbstverständlich. Ich sehe gar nicht, worüber man da streitet.

    Klein: Herr von Dohnanyi, es gibt natürlich weiterhin ein Wirtschaftsgefälle zwischen Ost und West.

    von Dohnanyi: Das bleibt ja auch, aber wir sind ja jetzt in einem Konjunkturprogramm. Wir sind ja nicht dabei, wir können auch nicht schneller, als wir es in der Vergangenheit gemacht haben, in Ostdeutschland den Aufbau der Wirtschaft, den Aufbau insbesondere der Industrie voranzutreiben. Aber das ist kein Konjunkturprogramm. Das Konjunkturprogramm ist Infrastruktur, weil man das relativ schnell vorziehen kann, da wo sozusagen Produkte oder Projekte fertig sind und jetzt gemacht werden können. Ich weiß gar nicht, warum man so ein Durcheinander diskutiert. Es geht nicht um die Fortsetzung des Aufbau Ost. Die geschieht sowieso. Diese Fortsetzung ist unverändert Teil der Politik in ganz Deutschland und umfasst den Solidarpakt II mit vielen, vielen Milliarden noch bis zum Jahr 2019. Jetzt geht es darum, was kann man in Deutschland, um in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen, schnell tun. Da muss man sagen, ist Infrastruktur, also Schulen, Straßen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, ein ganz wesentlicher Teil, und da ist nun mal im Westen in der Vergangenheit weniger geschehen, weil wir das Geld für den Osten brauchten und dort auch ausgeben mussten. Und nun ist die Infrastruktur ... Schauen wir mal, wie viele Staus es im Bereich Frankfurt, Köln oder Stuttgart gibt und wie wenig Staus es im Bereich Dresden gibt, sage ich mal, oder auch Leipzig. Da muss man natürlich gegenwärtig dann da ansetzen, wo die Zwänge bestehen und wo die Notwendigkeiten bestehen, und das ist nun mal jetzt vorrangig dort, wo Infrastruktur lange nicht gemacht worden ist, aber nun gemacht werden kann.

    Klein: Wir stehen dennoch vor einer Art Ost-West-Neiddiskussion, die wieder aufflammt. Was machen wir damit?

    von Dohnanyi: Aber das machen die Politiker, die das der Kanzlerin so ankreiden, insbesondere natürlich Die Linke. Das machen aber auch zum Teil die Medien, indem sie das missverstehen. Ich will noch mal sagen, worum es klar geht. Die Bundesregierung steht vor der Notwendigkeit, durch ein Programm für die Abmilderung des weltweiten Abschwunges ein Programm zu machen, was möglichst schnell wirkt. Das kann sie weniger über die Industrie als in erster Linie über Infrastruktur. Infrastrukturaufbau hat im Osten über 15 Jahre relativ erfolgreich stattgefunden, und im Westen ist vieles vernachlässigt worden. Jetzt muss man gucken, wo sind jetzt die dringlichsten Dinge.

    Klein: Herr von Dohnanyi, ich frage Sie jetzt mal als Politiker, der sich auch nicht nur mit Wirtschaftsfragen beschäftigt hat. Ist dieser Neid, sage ich mal, oder sagen wir besser sind diese Spannungen, die sich aus der nach wie vor vorhandenen Ungleichheit ergeben, überhaupt zu vermeiden? Sie werden heute noch mal zitiert mit einem Satz von 1990, es sei ein beispielloser Glücksfall der Geschichte, dass die Deutschen ihre Reparationen an die Deutschen zahlen durften.

    von Dohnanyi: Ja, richtig.

    Klein: Ist diese historische Dimension ausreichend im Bewusstsein verankert?

    von Dohnanyi: Nein, das glaube ich nicht, aber das haben wir ja auch gemacht. Die Summe, wie viel für den Aufbau Ost bisher ausgegeben worden ist und natürlich im Wesentlichen vom Westen bezahlt wurde, die Summe ist ja umstritten. Einige sagen, es sei etwa 1,5 Billionen. Das wäre dann das Dreifache dieses gesamten Schutznetzes, was gegenwärtig über die Banken gespannt wird. Das muss man doch mal sehen. Das ist natürlich zum Teil durch Abmagerungen im Westen erfolgt, und ich habe diese Abmagerungen immer befürwortet und würde das auch heute noch tun, wenn es an zentralen Straßen und Schienen und Bahnhöfen im Osten fehlen würde. Aber das ist nicht mehr so. Und da wir jetzt im Augenblick nicht Industriepolitik machen, weil das viel zu langfristig wirkt, sondern kurzfristig versuchen, Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir in die so genannte Infrastruktur gehen, in alles das, was wie gesagt Schulen, Straßen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und so weiter betrifft. Da, das muss man einfach sehen, hat es im Westen in der Vergangenheit gewisse Abmagerungen gegeben, und die stehen jetzt offen.

    Klein: Und die nach wie vor vorhandene Ungleichheit zwischen Ost und West?

    von Dohnanyi: Wenn man sich umguckt, als Bundeskanzlerin oder auch als Politiker, sage ich mal, oder als Sachkundiger, wo werden wohl jetzt die großen Projekte offenstehen, die kurzfristig gemacht werden können, wird es im Westen auch solche Projekte geben, und die muss man natürlich dann heranziehen. Mehr hat die Bundeskanzlerin nicht gesagt. Ich finde die ganze Debatte äußerst merkwürdig, und ich muss ehrlich gesagt auch hinzufügen, dass diejenigen, die sich hierzu politisch äußern, offenbar sehr stark bestimmt sind von Wahlen, von Taktik und so weiter, anstatt von der Wahrheit, um die es geht.