Dürfen wir aus diesem Anlaß noch einmal – nur einmal noch! – feststellen, was inzwischen wirklich überall hinreichend erörtert wurde? Erstens: Ein Ding wie "Werktreue" gibt es nicht. Jede Lesart eines Stücks durch jeden Regisseur ist Interpretation, ganz egal, ob die Schiller-Figuren in Bundhosen mit Rüschenhemd oder halbnackt auf die Bühne kommen. Auch die "schön gesprochene" Aufführung, und Höbel hat das am Beispiel einer Oscar-Wilde-Inszenierung von Armin Holz in Bochum zutreffend richtig gestellt, hat mit Zeitkolorit nichts zu tun, sondern mit einem sehr speziellen Kunst-Willen des Regisseurs.
Zweitens: Das "Regietheater" ist nämlich fast so alt wie Theater selbst, und natürlich hat es wesentliche Positionierungen im gesellschaftlichen Diskurs hervor gebracht; erinnert sei an die Zeit eines Claus Peymann in Stuttgart oder eines Peter Zadek in Hamburg. Die Dauer-Denunziation des Regietheaters kommt darüber hinaus ja maßgeblich von Leuten, die auf der anderen Seite den Verlust des Theaters als Plattform für gesellschaftliche Auseinandersetzungen tränenreich beweinen. Was sollten der Diskurs auf dem Theater heute aber anderes leisten als die Verständigung über eine Gesellschaft, die sich gegenüber existentiellen Themen wie "Globalisierung" oder "neue Armut" oder "die Werte der Anderen" im Wesentlichen reaktiv verhält? Warum steht eine "Medea" von Euripides wieder so häufig auf dem Spielplan, eine Schillersche "Johanna von Orléans", die beide von dem Fremden als Risikofaktor für eine Gesellschaft handeln?
Anders herum gefragt: welches Theater hätte maßgebliche Themen ohne Skandal in die Welt gebracht? Von Ibsens Seelenexhibitionismus über Gerhart Hauptmanns grausamen Naturalismus bis zu Elfriede Jelineks Anti-Irak-Kriegs-Textwüste "Bambiland" ist es nur ein kleiner Schritt, wenn akzeptiert wird, dass zeitgenössische Dramatik einer Gesellschaft bewusst den Spiegel vorhält. Für das Kotzen, Scheißen, Pissen, Vergewaltigen und Blutbaden auf der Bühne bedeutet das dann: Eine Gesellschaft, die das saubere Töten im Irakkrieg wochenlang am Bildschirm konsumiert, ohne körperliche Abwehrreaktionen wohlgemerkt, sollte die Konfrontation mit Gewalt auf der Bühne nicht einfach als "Fäkaltheater" abtun. Martin Kusejs Horwáth-Inszenierung "Zur schönen Aussicht" im Hamburger Schauspielhaus oder, gegenüber am Thalia Theater, die neue Thalheimer-Inszenierung, eine ebenfalls wüste "Rose Bernd" von Hauptmann, handeln von Kriegsschauplätzen. Und davon, wie sich das Humanum dazu verhält, im Sinne von Hauptmanns apodiktischer Frage: "Habt ihr vergessen, dass der Mensch dem Menschen das Furchtbarste ist."
Es ist nicht so, dass Theater weh tun muss, um zu wirken. Aber Theater, das weh tut, das ekelhaft ist, das uns Gewalt antut und schlechte Gefühle bereitet, nicht sehen zu wollen, weg haben zu wollen, ist kein konservativer Zug im Sinne einer Bewahrung des Guten, Wahren und Schönen. Es ist eine gefällige und gefährliche Haltung. Gefällig, weil sie Denkfaulheit voraussetzt. Weil sie ablehnt, was nicht zu begreifen ist. Schlingensief oder Castorf-Theater ist nicht unterkomplex wie "Big Brother", sondern genau das Gegenteil. Reflektiert "Big Brother" aber immer mit. Und lässt deshalb auch wirklich die Hosen runter. Und gefährlich ist diese Haltung, weil sie anti-künstlerisch ist. Kunst fragt nicht nach Gefallen, sondern nach Welterklärung und Zeitgenossenschaft. Und braucht dafür geschützte, unbedrohte Räume. Auch wenn sie sich in diesen Räumen am Ende berserkerhaft ausagiert. Wer in dieser Sphäre populistisch mit "Ekeltheater" argumentiert, setzt die Kunst aufs Spiel.
Am besten rüsten wir auch im Feuilleton also sprachlich einfach wieder ein bisschen ab und lassen statt dessen Theater "uns angehen". In welcher Weise es will. Und in welcher Weise wir wollen: über 300 Stadt- und Staatstheater und Landesbühnen gibt es in Deutschland, wir haben wirklich die Wahl. Und wenn im Mai in Berlin das Theatertreffen über die Bühne geht, dann sind dort eben nicht die "besten" Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum vertreten, wie der gelegentliche Theatergänger Lottmann im SPIEGEL von letzter Woche behauptet hat. Sondern die "bemerkenswertesten". Etwa der berüchtigte Düsseldorfer "Macbeth" von Shakespeare, inszeniert von Jürgen Gosch, der die Figuren auf ziemlich vorzivilisatorischem Niveau agieren lässt. Nur lässt sich wirklich auch nicht entscheiden, ob das Ekeltheater ist oder nicht auch eine politische Demonstration für mehr Humanität. Ein Theater-Erlebnis, auch mit sich selber, ist es in jedem Fall.
Also dann: beerdigen wir nicht das Theater, sondern die Debatte. Mindestens bis Mai.
Zweitens: Das "Regietheater" ist nämlich fast so alt wie Theater selbst, und natürlich hat es wesentliche Positionierungen im gesellschaftlichen Diskurs hervor gebracht; erinnert sei an die Zeit eines Claus Peymann in Stuttgart oder eines Peter Zadek in Hamburg. Die Dauer-Denunziation des Regietheaters kommt darüber hinaus ja maßgeblich von Leuten, die auf der anderen Seite den Verlust des Theaters als Plattform für gesellschaftliche Auseinandersetzungen tränenreich beweinen. Was sollten der Diskurs auf dem Theater heute aber anderes leisten als die Verständigung über eine Gesellschaft, die sich gegenüber existentiellen Themen wie "Globalisierung" oder "neue Armut" oder "die Werte der Anderen" im Wesentlichen reaktiv verhält? Warum steht eine "Medea" von Euripides wieder so häufig auf dem Spielplan, eine Schillersche "Johanna von Orléans", die beide von dem Fremden als Risikofaktor für eine Gesellschaft handeln?
Anders herum gefragt: welches Theater hätte maßgebliche Themen ohne Skandal in die Welt gebracht? Von Ibsens Seelenexhibitionismus über Gerhart Hauptmanns grausamen Naturalismus bis zu Elfriede Jelineks Anti-Irak-Kriegs-Textwüste "Bambiland" ist es nur ein kleiner Schritt, wenn akzeptiert wird, dass zeitgenössische Dramatik einer Gesellschaft bewusst den Spiegel vorhält. Für das Kotzen, Scheißen, Pissen, Vergewaltigen und Blutbaden auf der Bühne bedeutet das dann: Eine Gesellschaft, die das saubere Töten im Irakkrieg wochenlang am Bildschirm konsumiert, ohne körperliche Abwehrreaktionen wohlgemerkt, sollte die Konfrontation mit Gewalt auf der Bühne nicht einfach als "Fäkaltheater" abtun. Martin Kusejs Horwáth-Inszenierung "Zur schönen Aussicht" im Hamburger Schauspielhaus oder, gegenüber am Thalia Theater, die neue Thalheimer-Inszenierung, eine ebenfalls wüste "Rose Bernd" von Hauptmann, handeln von Kriegsschauplätzen. Und davon, wie sich das Humanum dazu verhält, im Sinne von Hauptmanns apodiktischer Frage: "Habt ihr vergessen, dass der Mensch dem Menschen das Furchtbarste ist."
Es ist nicht so, dass Theater weh tun muss, um zu wirken. Aber Theater, das weh tut, das ekelhaft ist, das uns Gewalt antut und schlechte Gefühle bereitet, nicht sehen zu wollen, weg haben zu wollen, ist kein konservativer Zug im Sinne einer Bewahrung des Guten, Wahren und Schönen. Es ist eine gefällige und gefährliche Haltung. Gefällig, weil sie Denkfaulheit voraussetzt. Weil sie ablehnt, was nicht zu begreifen ist. Schlingensief oder Castorf-Theater ist nicht unterkomplex wie "Big Brother", sondern genau das Gegenteil. Reflektiert "Big Brother" aber immer mit. Und lässt deshalb auch wirklich die Hosen runter. Und gefährlich ist diese Haltung, weil sie anti-künstlerisch ist. Kunst fragt nicht nach Gefallen, sondern nach Welterklärung und Zeitgenossenschaft. Und braucht dafür geschützte, unbedrohte Räume. Auch wenn sie sich in diesen Räumen am Ende berserkerhaft ausagiert. Wer in dieser Sphäre populistisch mit "Ekeltheater" argumentiert, setzt die Kunst aufs Spiel.
Am besten rüsten wir auch im Feuilleton also sprachlich einfach wieder ein bisschen ab und lassen statt dessen Theater "uns angehen". In welcher Weise es will. Und in welcher Weise wir wollen: über 300 Stadt- und Staatstheater und Landesbühnen gibt es in Deutschland, wir haben wirklich die Wahl. Und wenn im Mai in Berlin das Theatertreffen über die Bühne geht, dann sind dort eben nicht die "besten" Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum vertreten, wie der gelegentliche Theatergänger Lottmann im SPIEGEL von letzter Woche behauptet hat. Sondern die "bemerkenswertesten". Etwa der berüchtigte Düsseldorfer "Macbeth" von Shakespeare, inszeniert von Jürgen Gosch, der die Figuren auf ziemlich vorzivilisatorischem Niveau agieren lässt. Nur lässt sich wirklich auch nicht entscheiden, ob das Ekeltheater ist oder nicht auch eine politische Demonstration für mehr Humanität. Ein Theater-Erlebnis, auch mit sich selber, ist es in jedem Fall.
Also dann: beerdigen wir nicht das Theater, sondern die Debatte. Mindestens bis Mai.