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Die Debatte um die "Topographie des Terrors"

Noltze: Zuerst nach Berlin, zu einer der manchen kulturpolitischen und städtebaulichen offenen Wunden, die es dort hat, ich meine jetzt das ewige Projekt einer definitiven architektonischen Fassung für das Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors". Letzte Woche konnten Sie auch in dieser Sendung vom endgültigen Scheitern der Realisierungsaussichten für den ambitionierten, aber wohl nicht mehr bezahlbaren Entwurf des Schweizer Architekten Peter Zumthor hören. Die Bauausführung soll jetzt ganz an den Bund übergehen. Aber heute liest man im Berliner Tagesspiegel von einer Umfrage unter den Berlinern mit dem sehr entschiedenen Ergebnis, dass mehr als 90 Prozent gegen überhaupt irgendeinen Neubau sind. Frage an den Direktor der Stiftung Andreas Nachama, ist das für die "Topographie des Terrors" nicht ein alarmierendes Ergebnis?

Interview mit Andreas Nachama, geschäftsführender Direktor des Gedenkzentrums |
    Nachama: Nach zehn Jahren Bauquerelen um das Projekt ist es schon so, dass ich begreife, dass man sagt, das Gelände funktioniert ja irgendwie und komm, lasst uns jetzt einfach mal bei dem bleiben, was wir da haben!

    Noltze: Das heißt, das Provisorium, teils unter freiem Himmel, die Wände, die da aufgebaut sind, so zu belassen?

    Nachama: Naja, das kann auf der anderen Seite, wenn man dort ist, auch nicht ernst gemeint sein, den Baucontainer als Informationspavillon, ja doch eher sehr provisorische Abdeckungen der Ausgrabungen, die jetzt zugänglich sind und gar keine Abdeckung oder zugeschüttete Bodendenkmäler an anderen Stellen auf dem Gelände, das ist es natürlich sicherlich nicht und das ist wahrscheinlich auch nicht das, was diese Umfrage sagen wollte. Sondern was die Umfrage sagen wollte, war, so verstehe ich sie jedenfalls, kein Zumthor II, keinen großen Bau, der das Gelände überstrahlt sondern reine Zweckbauten, die für den Betrieb des Geländes eben notwendig sind.

    Noltze: Sie formulieren den Standpunkt, der nicht nur der ist der Berliner Bevölkerung sondern auch der Ihrige. Sie waren immer für die einfache Lösung, heißt das: kein Architekturdenkmal sondern etwas Funktionales?

    Nachama: Das ist das, was die Stiftung sich ja immer gewünscht hatte, was auch in der Ausschreibung ursprünglich mal drin stand, einen undekorierten Schuppen. Also, Funktionsarchitektur, die sich einpasst in die Notwendigkeiten, die die Besucher an dieses Gelände stellen und dass es davon einige gibt, das ist ja wohl, glaube ich, unstrittig.

    Noltze: Aus finanziellen Gründen oder auch aus grundsätzlichen, weil Architektur da vielleicht gar nicht die Rolle spielen soll?

    Nachama: Hier ist ein Gelände, das zum Sprechen gebracht werden soll und es sollte eben von Anfang an nicht überstrahlt werden durch große Architektur. Sondern es ist eben hier, Überlassenschaften, die Hinterlassenschaften dieses Dritten Reichs, hier waren die Terrorzentralen und in denen, also in diesen Ausgrabungen soll man lernen, soll sich ein Bild davon machen, wie das von hier ausging. Ich denke, das ist schon auch ein Stück Programm, das ist auch ein Stück Programm, das ja sehr gut angenommen ist. Wir haben ja zwischen 300.000, 350.000 Besuchern in den letzten Jahren mit eher steigender Tendenz und vielleicht ist es ja auch so, dass diejenigen, die hinkommen, eben nicht durch ein Tor eintreten wollen in eine großartige Architektur sondern durch diese Pforte auf dieses Gelände treten so ganz ohne Schwellenangst und sich von der Dokumentation in die Geschichte hineinversetzen und hineinleiten lassen.

    Noltze: Aber vielleicht doch noch mal zu diesem sehr deutlichen Ergebnis über 90 Prozent gegen überhaupt irgendeine Art von Neubau. Könnte es nicht auch zu lesen sein als Zeichen einer letztendlich schwindenden Akzeptanz für das gesamte Projekt in Berlin?

    Nachama: Das glaube ich eher nicht. Erstens sieht man das an den Besucherzahlen...

    Noltze: Die, die kommen, sind die, die kommen. Die, die nicht kommen, sind natürlich in der Mehrheit.

    Nachama: Ja, das weiß ich noch nicht einmal. Wenn Sie das jetzt mal über die Jahre zusammenzählen, das Projekt gibt es jetzt seit 1987. Wie viele dann in diesen vielen Jahren gekommen sind, dann würde ich schon sagen, das Projekt hat eine große Akzeptanz und es war auch so, als der kleine Besucherpavillon, den wir vorher über den Ausgrabungen als Dach über unseren Ausgrabungen hatten, als der sozusagen durch die Baustelle ersetzt wurde, dass das sehr viele von denjenigen, die gekommen sind, immer wieder bedauert haben, dass diese doch so unscheinbare Architektur, dass das verschwunden ist und das ist uns auch in den vielen Jahren der Bauzeit immer wieder gesagt worden, schade, wo habt ihr denn den Pavillon gelassen. Und das ist uns eben nicht von denjenigen gesagt worden, die nicht kommen sondern das ist uns von denjenigen gesagt worden, die dort am Ort waren und die dort hinkommen.

    Noltze: Fühlen Sie sich besser seit das Zumthor-Projekt begraben worden ist?

    Nachama: Naja, das ist so ein lachendes und so ein weinendes Auge, vielleicht ist das lachende etwas größer, weil es natürlich eine Hängepartie über viele Jahre geworden ist, die einen ja wirklich nicht mehr nach vorwärts blicken ließ und insofern betrachte ich auch die Diskussion, so wie sie jetzt in der Öffentlichkeit geführt wird als ein Stück Befreiungsschlag, kommt, lasst uns das noch mal neu denken, lasst uns noch mal neu denken, was wir da machen. Das finde ich auch ganz richtig.

    Noltze: Noch mal neu denken, Andreas Nachama, Direktor der Stiftung "Topographie des Terrors", über den Fortgang einer vielleicht ja doch nicht unendlichen Geschichte.