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Die denkende Pillendose

Technik. - Wechsel- und Nebenwirkungen von Medikamenten im Auge zu behalten, das ist oft gar nicht so einfach - vor allem dann, wenn man etliche Pillen gegen die unterschiedlichsten Gebrechen einnehmen muss. Was ist zu tun, wenn ich eine Tablette vergessen habe? Kann ich eine Aspirin nehmen oder gibt das Probleme mit einem der anderen Mittel? Eine mitdenkende Pillendose könnte dabei helfen.

10.06.2002
    Von Andrea Vogel

    Eine richtige Pillendose ist Chester nicht. Eigentlich ist er nur ein Computerprogramm. Trotzdem: Chester weiß genau, welche Medikamente wir wann einnehmen müssen. Er weiß, dank guter Internet-Datenbanken, über all ihre Wirkungen, Wechselwirkungen und Nebenwirkungen Bescheid. Aber das Beste an Chester ist, dass er auch mit uns spricht über all sein Wissen. Er hört uns zu und versteht, was wir wollen. Dazu James Allen, Professor für Computerlinguistik an der Universität von Rochester:

    "Das besondere an Chester ist sein tiefgreifendes Verständnis für einen Dialog. Wir treiben wirklich eine Menge Aufwand, damit er im Detail analysieren kann, was die Person, die mit ihm spricht, tun will."

    Kann ich eine Aspirin nehmen? Auf diese Frage hin durchsucht er zunächst seine Datenbanken nach Wechselwirkungen, findet aber auch einen Hinweis auf Nebenwirkungen, etwa auf ein Medikament, das Kopfschmerzen machen kann. Darum fragt Chester nach: Haben Sie starke Kopfschmerzen? Starke? Dann sollten Sie Ihren Arzt aufsuchen. Dafür braucht Chester viel mehr als nur gute Datenbanken. Er muss in der Lage sein, Informationen zu sammeln und zu interpretieren. Einmal natürlich linguistische Informationen. Wenn er auf die Frage "Haben Sie Kopfschmerzen?" die Antwort "Ja, aber so schlimm sind sie nicht" bekommt, dann muss er wissen, dass "sie" nur die Kopfschmerzen sein können. Aber vor allem muss er die medizinische Information deuten:

    "Während des Gesprächs sammelt er immer mehr Wissen über die Person an: Könnte sie vielleicht Kopfschmerzen haben, hat sie alle Tabletten so genommen, wie sie sollte, solche Dinge. Und auf der Grundlage dieser Daten muss Chester entscheiden, wie er das Gespräch weiterführen will."

    Die Techniken, die Chester in die Lage versetzen, richtige Gespräche zu führen, sind eigentlich nicht besonders neu: seit über 20 Jahren entwickeln und verfeinern Linguisten diese Modelle. Nur: Mit diesem Ansatz technische Probleme zu lösen, eine dialogfähige Maschine zu bauen, das hielten Forscher bislang für unmöglich.

    "Das ist harte Arbeit. Mit diesen Modellen können wir wirklich Sprache verstehen, können wir "nachdenkende" Systeme bauen. Dazu müssen wir aber alles, was Benutzer tun können, jede Aktion mit allen Randbedingungen einzeln in das System eingeben. Erst dann können Maschinen versuchen, die Ziele ihrer Benutzer zu erkennen."

    Chester bekommt von seinen Entwicklern so etwas wie einen besonders ausgefeilten Sprachkurs. Er lernt jede einzelne Vokabel, die er brauchen könnte. Zusätzlich muss er aber lernen, was sie bedeutet, welche Funktion sie hat, ob noch andere Wörter in ihrem Umfeld auftauchen müssen - und natürlich, ob das Wort vielleicht eine Aktion bedeutet, die eine Folge hat. Das Verb "einnehmen" zum Beispiel: Chester muss nicht nur das Wort lernen, sondern auch, dass hier eine Person und ein Medikament beteiligt sein sollten, und dass er in seiner Datenbank nach den Folgen der Aktion suchen kann. Wort für Wort lernt er so einen ganzen Baukasten von möglichen Satz- oder Dialogteilen. Die muss er jetzt nur noch clever zusammensetzen.

    "Das ist fast wie bei Klassenarbeiten in der Schule. Einige Aufgaben testen nur, ob der Schüler wiederholen kann, was im Unterricht dran war. Aber die spannenden Aufgaben sind die: Du bekommst ein vollständig neues Problem, das Du noch nie gesehen hast. Aber Du hast das Werkzeug es zu lösen - Du musst nur all das anwenden, was Du gelernt hast. Und wie es aussieht, kann unser System so etwas leisten: Es hat eine Menge kleiner Teile und zieht mit deren Hilfe Schlüsse, die ihm völlig neu sind."

    Weitere Informationen dazu finden Sie im Internet auf James Allens Homepage