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Die Deutschen schreien. Beobachtungen von einem, der aus dem Land des Lächelns kam.

Wenn einer eine Reise tut..... Bei Florian Coulmas, dem langjährigen Japan-Korrespondenten für deutsche Medien, hat diese Reise zwar nur zwei Wochen gedauert. Denn solange währte das Provisorium, während dessen Florian Coulmas, seine Frau und Kinder, aus Tokyo in die ferne Heimat Deutschland zurückkehrten ohne Möbel und Einrichtung (die acht Wochen mit dem Schiff unterwegs waren), in einem reichlich leeren neuen Heim in einem Kaff am Niederrhein verbrachten. Zwei Wochen für die kulturelle Akklimatisierung. Eine kurze Zeit, aber lang genug, um den Zurückgekehrten einige Lektionen im Deutschsein zu erteilen. Die um so schmerzlicher waren, man mache es sich klar, als die Coulmas aus dem Land des Lächelns und der Höflichkeit zurückkamen, aus Japan eben.

Oliver Seppelfricke |
    Florian Coulmas hat über diese schwierige Rückkehr in das Land seiner Geburt ein 180 Seiten starkes Buch geschriebene Schon auf den ersten beiden Seiten fertigt er ein kleines Psychogramm Deutschlands an: Die Möbelpackerkommen nachmittags um drei statt wie verabredet morgens um 8, Stichwort Unpünktlichkeit; von den vier Packern sind zwei invalid, Stichwort Sparwahn und Arbeitszwang; als es Saft und Wasser gibt statt Bier, folgt das Gejaule, Stichwort Unfreundlichkeit und Unzufriedenheit; und die Schrammen am Auto, das Coulmas im Container hat transportieren lassen, will niemand gesehen haben und so weist jeder den klagenden Kunden bloß an eine andere Versicherung weiter, Stichwort Unzuständigkeit, mangelnde Hilfsbereitschaft und Verantwortungsflucht! So das Bild, das sich Florian Coulmas nach dem ersten Tag in Deutschland von diesem Land macht. Es ist wohl ein übertriebenes Bild, zugespitzt, was sonst, aber es zu überprüfen und mit dem eigenen Bild von diesem unseren Land zu vergleichen, dazu lädt die Lektüre von Coulmas Werk ein.

    Denn um sich klarmachen, dass das Eigene ganz und gar nicht normal ist, auch wenn man es gewohnt ist, dass die eigenen Sitten und Gebräuche, mit denen man ja schleichend mitgeht und sich an sie anpasst, dass all das auch ganz und gar unsittlich sein kann, dass all das, was den bundesrepublikanischen Allta somit ausmacht, auch äußerst fragwürdig sein kann, das macht Coulmas' Buch deutlich. Denn: Coulmas vergleicht Deutschland mit Japan. Ein Beispiel: In Japan übernimmt die Speditionsfirma den gesamten Umzug. Die Firma macht sich Gedanken Ober möglich Hindernisse und Unannehmlichkeiten, kümmert sich um das Nachsenden der Post genauso wie um die Absperrung der Ausladezone oder gibt Tage voraus bei den Nachbarn den freundlichen Hinweis ab, dass bald ein großes Fahrzeug die Straße behindern werde. Ob das störe? In Deutschland undenkbar?! Überall Freundlichkeit, Höflichkeit, Rücksichtnahme und Pünktlichkeit in Japan, während Coulmas in Deutschland fast immer nur dem Gegenteil begegnet ist. Die Erzieherinnen im deutschen Kindergarten findet er unprofessionell, weil sie den Kindern keine Grenzen vorgeben, sondern die Kinder diese Grenzen selbst finden lassen (was dann schwierig und fragwürdig wird, wenn diese Grenze in der unterschiedlich ausgeprägten Geduld der Erzieherinnen liegt); und auch das Menschenbild verwirrt den jüngst Zurückgekehrten, denn auf die Frage, warum sie ein kleines Kind mit Worten scharf angefahren habe, erwidert die Erzieherin: "Ich bin auch nur ein Mensch!". In Tokyo hätte man lächelnd gesagt, dass man es das nächste Mal besser machen werde, Ansporn zur Verbesserung statt Nachsichtigkeit mit einem Mangel herrscht hier vor- allein in diesem kleinen Beispiel sieht Florian Coulmas einen Unterschied in der Kultur. Deutschland banal und brachial, Japan feinsinnig und freundlich - sicherlich ließen sich auch Beispiele finden, in denen es anders herum ist. Doch sei's drum!

    Florian Coulmas Buch ist dennoch voll treffsicherer, nachdenklich machender Beobachtungen. Sie sind allesamt in den ersten Wochen in der neuen Heimat Deutschland entstanden, und sie haben Coulmas dazu angeregt, dieses Buch zu schreiben. Alltagserfahrungen eines Heimkehrers, die uns hier Lebenden einen lohnenswerten Spiegel vorhalten: Die ganze Physiognomie unserer Kultur wird darin sichtbar! Die in diesem Land so geläufigen Fäkaf Vokabeln; Unterhchtsausfall an den Schulen; Titelsucht unter Gebildeten; PC-Mangel an der Universität; Moralsucht und doppelte Buchführung; Heiliges Wochenende, Konsumkiller- die Liste der Themen, die Florian Coulmas, angeregt von seinen eigenen Erfahrungen macht, ist lang. Sein Bild von Deutschland ist düster, er ist enttäuscht über mangelnde Freundlichkeit und fehlende Leitbilder- dass man das alles auch ganz anders sehen kann, ist klar. Nicht umsonst haben solche Bücher Konjunktur und nicht umsonst liefern Coulmas Klagen genau den Stoff für jene Ethik- und Soziologentagungen, die landauf landab stattfinden, Artisten in der Zirkuskuppel der Selbstaufklärung, ratlos, Ansichtssachen eben!

    Einen schönen Hinweis verdanken wir dann doch noch dem Zurückgekehrten: Wie in einer Nussschale sieht Coulmas den deutschen Charakter in einer Hinweistafel am Rhein vereint: "Fußweg am Rhein. Kein Winterdienst. Der Oberbürgermeister" heißt es da wie in einer Art Haiku - wahrlich kein Wintermärchen, unser Land!