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"Die digitale Infrastruktur ist die wichtigste Lebensader"

Der Vorstandschef von Vodafone Deutschland, Friedrich P. Joussen, hat gefordert, die Internetversorgung im ländlichen Raum mit Breitbandverbindungen zu verbessern. Etwa zehn Prozent der ländlichen Gebiete haben bisher keine entsprechende Infrastruktur. Diese Gebiete sollen über Funkfrequenzen versorgt werden, schlug Joussen vor, denn in dünn besiedelten Gebieten sei es zu teuer, Kabel für DSL-Verbindungen zu verlegen. Dazu sollten Übertragungsfrequenzen aus dem Fernseh- und Rundfunkband versteigert werden.

Friedrich P. Joussen im Gespräch mit Theo Geers |
    Theo Geers: Herr Joussen - auch wenn Vodafone der zweitgrößte Mobilfunkanbieter in Deutschland ist: Viele können sich unter dem Unternehmen noch nicht ganz so was vorstellen. Stellen Sie es kurz vor, wie groß ist Vodafone?

    Friedrich P. Joussen: Vodafone ist der größte Mobilfunkbetreiber der Welt, hat also beinahe 300 Millionen Kunden. Es ist erst 20 Jahre alt, also ein sehr junges Unternehmen, und von der Marktkapitalisierung unter den Top 20 in der Welt, also schon ziemlich groß.

    Geers: Und Vodafone Deutschland?

    Joussen: Vodafone Deutschland, sagen wir gerne, ist der Größte in Deutschland, was den Mobilfunk angeht, weil wir etwas mehr Umsatz haben und wesentlich mehr Ergebnis, als die Deutsche Telekom. Bei den Kundenzahlen sind wir die Nummer zwei.

    Geers: So ein Konzern muss innovativ sein, muss Ideen voranbringen. Und jetzt sind Sie nicht nur Chef von Vodafone Deutschland, ich habe gelesen, Sie sind auch Mitglied in einem Gremium, das für Vodafone weltweit technische Entwicklungen vorantreibt. Kurz, wohin die Reise geht - also reden wir mal über die Zukunft, reden wir über die Zukunft der Technik. Wohin geht denn die Reise im Mobilfunk - oder generell in der Telekommunikation? Wie telefonieren wir in Zukunft, wie surfen wir im Internet, wie tauschen wir E-Mails aus und so weiter?

    Joussen: Nun ja, also eines ist, glaube ich, ziemlich sicher: Das ist, dass wir neben dem Mobilfunk auch im Festnetzbereich aktiv sein müssen, weil die Märkte sich immer mehr verschmelzen. Und dementsprechend haben wir jetzt ja auch Arcor, also unsere Festnetztochter, vollständig übernommen, weil wir halt glauben, dass es die Fest- und die Mobilkommunikation aus einer Hand geben sollte und geben muss.

    Auch glauben wir natürlich, dass die Dienste über jedes Netz verfügbar sein müssen, also über DSL und auch über den Mobilfunk jederzeit und überall - ich glaube, das ist das, was die Kunden wollen und was am intuitivsten für die Kunden ist.

    Geers: Bleiben wir doch mal kurz beim Kunden. Wie muss sich der normale Kunde das vorstellen, wenn er derzeit ein Festnetzanschluss hat, wenn er einen Mobilfunkanschluss hat - wächst das zusammen? Kann er Daten austauschen? Sagen Sie doch mal ein paar Beispiele.

    Joussen: Also heute ist es ja so, dass die Breitbandkommunikation immer noch im wesentlichen im Festnetz stattfindet. Aber auch das Internet wird eben auch mobil, und wenn Sie sich überlegen, dass zum Beispiel heute 70 Prozent aller verkauften PCs schon Laptops sind - Laptops also, die man mit sich herumtragen kann, dann ist doch sehr stark einzusehen und sehr stark zu vermuten, dass der Internetzugang eben auch im zunehmenden Maße mobil wird. Und das ist an und für sich der Megatrend der heutigen Zeit.

    Geers: Das hört sich natürlich alles fantastisch an, Herr Joussen, aber blicken wir mal kurz auf einen Teil der Deutschen, die davon möglicherweise noch abgeschnitten sind und davon nur träumen können. Es gibt einen nennenswerten Teil der Bevölkerung - man spricht von zehn Prozent, woanders habe ich gelesen drei Millionen Haushalte in über 2000 Gemeinden, die sind entweder unterversorgt oder gar nicht versorgt mit schnellen Internetanschlüssen via DSL. Ist es nicht viel dringender, da was zu tun?

    Joussen: Das ist ein sehr dringendes Thema für die Gesellschaft, denn eines ist vollkommen klar: Wenn Sie heute keinen Breitbandzugang haben, weil Ihre Gemeinde, Ihr Landkreis nicht mit DSL versorgt ist, ist das sozusagen ein Riesenthema, weil eben Industrieansiedlung nicht mehr stattfindet und weil die Menschen auch die Lebensqualität als absolut minderwertig einschätzen.

    Deshalb weiß ich, dass die Landräte und die Bürgermeister, die eben solchen Landkreisen oder Städten vorstehen, ein Riesenthema haben, wenn sie keinen DSL-Anschluss bekommen können. Und deshalb glaube ich, dass es eine der großen Aufgaben der Politik halt ist, hier Rahmenbedingungen zu schaffen, dass es hier eine Chancengleichheit gibt für diese ländlichen Gebiete.

    Geers: Wie können denn diese ländlichen Gebiete, die derzeit abgeschnitten sind, an das Internet angeschlossen werden?

    Joussen: Nun ja, ich glaube, es wird relativ schwierig, Kupferleitungen zu verlegen, denn diese ländlichen Gebiete sind eben dünn besiedelt. Das muss wohl über Funk geschehen, kann aber auch über Funk geschehen. Wichtig ist, dass es hier genügend Frequenzen gibt. Das ist eine Aufgabe der Politik, diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Und dann kann es gehen, und es kann sogar sehr schnell gehen, glaube ich.

    Geers: Sie sagten, über Kabel kann es nicht gehen, weil es zu teuer ist, Mobilfunkmasten muss man auch in relativ engen Abständen aufstellen, das kann die Lösung aber auch nicht sein, oder?

    Joussen: Doch, das kann sie eben sein, wenn man das richtige Frequenzband nimmt. Wenn man natürlich Frequenzen nimmt, die sich schwierig ausbreiten, also hohe Frequenzen nimmt, dann funktioniert es nicht. Wenn man zum Beispiel die als "digitale Dividende" bezeichneten Frequenzen aus dem Fernseh- und Rundfunkband nimmt, wo sehr, sehr viele Frequenzen frei verfügbar sind, dann funktioniert das schon, denn da sind die Ausbreitungsbedingungen physikalisch viel, viel besser.

    Geers: Was versprechen Sie denn konkret? Sie wollen sozusagen an diese Frequenzen ran, wie sieht denn dann Ihre Gegenleistung aus?

    Joussen: Nun ja, das hört sich so an, als wenn ich sie geschenkt haben wollte. So ist es eben nicht. Es gibt eine sehr klare, verlässliche Regel, die heißt: Frequenzen werden versteigert. Und über die Versteigerung wird die Werthaltigkeit der Frequenzen festgestellt. Also ich habe angeregt, einen Teil dieser Frequenzen zu versteigern in einem öffentlichen Verfahren und die Betreiber sich bewerben zu lassen - und als Rahmenbedingungen festzuschreiben, dass eben diese zehn Prozent der Haushalte zu versorgen sind. Also insofern ein sehr bewährtes transparentes Verfahren, um eben die Chancengleichheit für die ländlichen Gebiete sicherzustellen.

    Geers: Das heißt: Sie versprechen, diese Haushalte anzuschließen, drahtlos, wenn Sie diese Frequenzen bekämen. Sind Sie das allein, oder ziehen da auch andere mit?

    Joussen: Wir würden anregen, die Versteigerungsbedingungen so zu setzen, dass diejenigen, die ersteigern, wissen, dass sie es dann machen müssen. Also es soll sich niemand drauf verlassen müssen, dass wir das heute versprechen, sondern ich würde das in den Lizenzen halt so festlegen. Ich bin überzeugt davon, dass es einige Bieter geben könnte. Wir wären auf jeden Fall dabei, aber ich bin auch ziemlich sicher, dass die Deutsche Telekom dabei wäre.

    Geers: Nun haben Sie schon gesagt, es hapert so ein bisschen an den politischen Rahmenbedingungen, das heißt, die Sache hängt. Und jetzt mal ganz konkret gefragt, nennen Sie mal Ross und Reiter: Woran hängt es denn, dass es nicht voran geht - an dieser Geschichte? Weil die Idee - Sie haben ja vorhin darüber gesprochen, wie wichtig es ist, diese - ich nenne sie jetzt mal - "abgehängten" Regionen endlich auch ans Internet ran zu bekommen - diese Idee ist a) nicht neu, sie ist zweitens wichtig, und trotzdem passiert nichts. Warum passiert nichts?

    Joussen: Nun, das liegt so ein bisschen an dem deutschen System. Und da, glaube ich, ist das Thema Gestaltungswillen - vor allen Dingen bedingt in diesem Fall durch die föderale Struktur - ein bisschen das Problem, denn die Frequenzen für Rundfunk, um die es sich hier handelt, sind Ländersache. Die Versorgung der ländlichen Gebiete über Telekommunikation ist aber Bundessache. Und dementsprechend ist hier keiner so ganz richtig zuständig, und ich glaube, wir brauchen so etwas wie eine "konzertierte Aktion", einen echten Gestaltungswillen der Politik, um hier diese Sache voranzutreiben.

    Geers: Also so eine Art "Aktionsbündnis für digitale Infrastruktur"?

    Joussen: Das hört sich gut an. Also, genau so etwas rege ich an, ich glaube, genau das brauchen wir. Die digitale Infrastruktur ist in einer Wissensgesellschaft die wichtigste Lebensader, und wenn wir eben zehn Prozent der ländlichen Gebiete haben, die an dieser Lebensader nicht hängen, werden die auf Dauer ausbluten. Und das ist ein großes Problem.

    Geers: Bis wann würden denn diese Regionen angeschlossen ans Internet?

    Joussen: Ich glaube, eines kann man sicher sagen: Wenn es eine Frequenzversteigerung gäbe und wenn es mehrere Parteien dann schaffen würden, Frequenzen zu ersteigern, dann würde es unmittelbar ein ziemliches Wettrennen geben darum, wer als erster in der Region ist. Denn wer als erster in der Region ist, der wird auch am meisten Geschäfte machen.

    Also sicher könnte man, glaube ich, sagen: Die Versorgung würde dann schnell geschehen, und zwar aus Wettbewerbsgesichtspunkten. Und das ist immer eine gute Basis, es müsste also nicht vorgeschrieben werden, sondern der, der als erster da ist, macht das beste Geschäft. Und das ist eigentlich eine ganz gute Basis, weil es ein gutes Anreizsystem ist für diejenigen, die dann die Frequenzen haben, schnell zu agieren und schnell in den Regionen präsent zu sein.

    Geers: Trotzdem noch mal nachgefragt: Wir haben jetzt Ende August 2008. Wann wäre denn dann möglicherweise in Ostsachsen oder wo auch immer das schnelle Internet verfügbar, drahtlos oder wie auch immer?

    Joussen: Also, ich glaube, ganz konkret ist das ein bisschen schwierig zu sagen, weil natürlich eine Netzplanung vorhergehen muss. Es handelt sich auch um ein Projekt, wo es einige hundert Millionen an Investitionen erfordert. Dementsprechend ist das schon eine Sache, die nicht in wenigen Monaten passieren kann, aber wenige Jahre sollten doch ausreichen. Also, es ist jetzt nicht eine Infrastrukturaufgabe, die sich über zehn Jahre erstreckt. Das kann schon schneller gehen. Es muss halt nur die Entscheidung gefällt werden. Ich glaube, das Wichtigste ist - wie häufig - Planungssicherheit. Wenn man Planungssicherheit hat, kann man Investitionsmittel genehmigen. Man kann sie einsetzen. Ich glaube, das ist das wichtigste, was wir derzeit brauchen.

    Geers: Was werfen Sie denn der Politik vor bei der aktuellen Hängepartie in Sachen digitale Kluft und dem Schließen dieser digitalen Kluft?

    Joussen: Na ja, das Riesenproblem, das wir haben, ist, es gibt eigentlich genug Kapital, es gibt Geld, es gibt Gelder für Investitionen, aber es fehlen absolut die Rahmenbedingungen. Also, wir haben ein großes gesellschaftliches Problem, was die digitale Kluft ja ist. Jetzt bräuchte es nur die Planungssicherheit, dass wir die Frequenzen tatsächlich in einer Versteigerung - wir wollen sie ja nicht geschenkt - bekommen mit entsprechenden Rahmenbedingungen, damit wir investieren können. Und das passiert nicht, sondern das Problem dümpelt vor sich hin.

    Geers: Was halten Sie davon?

    Joussen: Na ja, ich denke schon, es ist ein Skandal, dass wir ein Riesenthema in der ländlichen Versorgung derzeit nicht adressieren.

    Geers: Ist denn diese digitale Kluft, über die wir jetzt gesprochen haben, nicht vielleicht auch ein Beispiel generell dafür, dass man hierzulande vielleicht noch nicht so ganz verstanden hat, dass Infrastrukturausbau vielleicht nicht nur aus Straßen, Schienen oder Kanälen besteht?

    Joussen: Ich glaube, dass man das hierzulande sehr wohl verstanden hat. Ich bin sogar sehr sicher, dass das so ist. Eigentlich verstehen wir in Deutschland in der Gesellschaft sehr gut, wie wichtig es ist, feste Regeln zu haben, eine gute, verlässliche Infrastruktur zu haben, gute verlässliche Ausbildung zu haben. Das ist eigentlich eine Stärke des Standortes. Eigentlich glaube ich, dass wir also gute Voraussetzungen haben, das zu machen.

    Ein bisschen eine Schwäche des Standortes ist, dass wir ein bisschen wenig Gestaltungswillen haben, wenn es darum geht, unsere eigenen wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen. Denn hier, glaube ich, könnte man schon noch einiges mehr machen. Es liegt, wie gesagt, hier auch vielleicht auch ein bisschen an der föderalen Struktur. Aber ganz grundsätzlich glaube ich, dass das Thema Gestaltungswillen der Politik im Bereich der Wirtschaft ein bisschen ausgeprägter sein könnte.

    Geers: Sagen Sie einmal Beispiele.

    Joussen: Nehmen wir mal zum Beispiel auf der positiven Seite, da gibt es, glaube ich, in ganz wenigen Ländern eine solche Transparenz was die Regeln angeht. Wenn es darum geht, Frequenzen zu vergeben, wenn es darum geht, Investitionssicherheit zu schaffen. Ich glaube, als Unternehmer fühle ich mich hier ausgesprochen wohl, wenn es um die Transparenz und Zuverlässigkeit geht. Und das ist natürlich sehr förderlich für Investitionen. Auf der anderen Seite, wenn es um das Thema 'emotionale Nähe' geht, den Gestaltungswillen der Politik in die Wirtschaft hinein, aber auch den Gestaltungswillen der Wirtschaft in der Gesellschaft, also auch da meine ich, wäre ein bisschen mehr Patriotismus möglicherweise hier und da angebracht, und nicht zu sagen: Na ja, die Regeln sind hier nicht in Ordnung, dann gehe ich halt. Ich glaube, bei dieser emotionalen Nähe bin ich sehr wohl der Meinung, da könnten wir schon einiges mehr machen.

    Zum Beispiel: Ist es nicht wirklich wichtig, einen Standort in Deutschland zu haben? Wie viele deutsche Manager sitzen in internationalen Konzernen? Wie viele internationale Manager werden hier ausgebildet und entwickeln emotionale Bindung in Deutschland? Ich glaube, das sind so ein paar Beispiele, die hier für mich ganz oben stehen.

    Geers: Gehen wir noch mal kurz auf das Beispiel mit der digitalen Kluft zurück. Haben Sie das Gefühl, dass Sie in der Politik für solche Warnungen nach dem Motto, hier ist ein Problem, das einer Lösung harrt und eigentlich gelöst werden muss, und zwar möglichst schnell, haben Sie eigentlich das Gefühl, dass deutsche Politiker auf solche Warnrufe aus berufenem Munde gut reagieren?

    Joussen: Ja. Ich habe das Wort Warnungen nicht so gerne, weil Warnung sich immer so anhört, dass man etwas an die Wand malt ohne eine Lösung aufzuzeigen, also ein Schreckgespenst an die Wand malt. Also, die Leute, die warnen, auf die reagiere ich schon mal immer allergisch. Ich glaube allerdings, dass es keinen konzertierten lösungsorientierten Diskurs gibt. Das liegt so ein bisschen an der fehlenden emotionalen Nähe. Das Vertrauen der Wirtschaft in die Politik und der Politik in die Wirtschaft, und möglicherweise könnte man sogar sagen der Gesellschaft in beide, in ihre Eliten, ist halt durchaus erschüttert.

    Also, dementsprechend glaube ich nicht, dass es keine Kommunikation gibt, die gibt es, aber es gibt eben nicht die emotionale Nähe, das Vertrauen, das notwendig ist, dass man gemeinsam schnell zu einer Lösung kommt. Auf der Politikseite wird häufig unterstellt, dass es ein reines Gewinnstreben der Wirtschaft gibt und überhaupt keinen Patriotismus und dass es also vaterlandslose Gesellen sind, und in der Wirtschaft wird der Politik unterstellt, dass man Unterstützung im Grunde genommen nie wirklich bekommen kann, sondern dass alles so ein bisschen prozess- und regelmäßig wohl festgeschrieben wird, aber so ein wirklicher Einsatz für eine starke Wirtschaft wird halt aus Sicht der Wirtschaft vermisst. Und, wie gesagt, die Gesellschaft traut beiden ihren Eliten nicht wirklich und sagt also, die einen wollen nur wiedergewählt werden und die anderen werden viel zu hoch bezahlt. Und das ist halt ein Klima, hinter dem ein wirklich lösungsorientierter Diskurs nicht wirklich stattfindet, sondern es wird viel diskutiert und gestaltet wird halt manchmal ein bisschen wenig.

    Geers: Wie könnte denn dieser lösungsorientierte Diskurs in Deutschland in Gang kommen oder besser funktionieren?

    Joussen: Na ja, man muss halt miteinander reden. Also, insofern müsste vielleicht die Wirtschaft ein bisschen patriotischer sein und nicht sofort sagen, dann gehe ich halt ins Ausland, wenn es hier nicht funktioniert, und die Politik vielleicht ein bisschen pragmatischer, also lösungsorientiert. Wenn man dann am Tisch sitzt und erst mal miteinander redet, ehe man in der Öffentlichkeit redet, dann wird was draus.

    Geers: Geht es hier manchmal zu starr zu in Deutschland?

    Joussen: Ja, das könnte man vielleicht so sagen. Wie gesagt, eine der Stärken ist vielleicht auch ein bisschen die Schwäche, dass wir sehr regelbasiert sind. Wir sind ausgesprochen klar in unserer Regelung. Wir haben für alles eine Norm. Wir sind sehr verlässlich. Wir sind ein bisschen wenig emotional und haben ein bisschen wenig Gestaltungswillen. Und das ist halt das, was komplementär, wenn wir das auch noch hätten, ausgesprochen gut wirken würde aus meiner Sicht.

    Geers: Man hat manchmal das Gefühl, so manche guten Dinge kommen von außen und sind nicht auf unserem eigenen Mist hierzulande gewachsen. Also, ich sage auch mal ein ganz anderes Beispiel, wieder in Ihrer Branche. Das I-Phone kommt aus Amerika, aber Nokia macht in Bochum die Handy-Produktion zu. Das heißt, wie ist das mit der Innovationskultur hier bei uns? Wir nehmen Produkte als modern von außen wahr und selber - was läuft bei uns?

    Joussen: Interessant ist, dass auch hier, glaube ich, eine relativ klare Stärke wieder bei uns liegt, dass unsere Menschen in Deutschland sehr gut ausgebildet sind, und das in der Normenbreite. Die Universitäten sind in der Breite gut, die duale Ausbildung ist in der Breite hervorragend. Es gibt nirgendwo bessere Handwerker als hier. Spätestens, wenn Sie einmal in England gelebt haben, wie ich das einige Zeit habe, wissen Sie, was gute deutsche Handwerksarbeit wirklich ist und auch wert ist. Allerdings haben wir in Deutschland manchmal eine gewisse Skepsis gegenüber Eliten, gegenüber Andersdenkenden, gegenüber Leuten, die überdurchschnittlich sind, ob sie überdurchschnittlich gestalten wollen oder ob sie eben einfach ein bisschen ungewöhnlich sind. Und deshalb glaube ich, in der Breite sind wir sehr gut, in der Spitze manchmal nicht ganz so gut. Diejenigen, die wirklich Spitze sind und anders sind, die finden in anderen Kulturen häufig mehr Anerkennung und ein besseres Klima, um ihre Ideen umzusetzen.

    Also, die Individualisten, diejenigen, die wirklich etwas anders sind und sich exzentrisch innerhalb der Gesellschaft bewegen, also nicht ganz in der Mitte der Gesellschaft stehen, sondern eine Gesellschaft auch mal voranbringen können, die finden häufig in anderen Kulturen ein etwas besseres Klima. Und ich glaube, wir müssen uns das leisten können, ob in der Politik oder in der Wirtschaft, Eliten zu haben, denn das sind hinterher diejenigen, die, wenn sie mit dem nötigen Patriotismus sich auch als Deutsche verstehen und nicht darauf stolz sind, dass sie nur in Amerika studiert haben oder so, dass sie dann eben auch tatsächlich die Gesellschaft voran bringen können.

    Geers: Ja, zu so einem Klima gehört ja manches andere noch. Stichwort Eliten, wir haben zum Beispiel eine Debatte über Managergehälter hierzulande. Ist das auch typisch deutsch?

    Joussen: Nein, die Debatte gibt es woanders auch. Und sie ist auch meines Erachtens in gewisser Weise insofern gerechtfertigt, dass man sich über die Höhe tatsächlich streiten kann. Die Lösung ist dann wieder deutsch. Die Lösung ist dann wieder, wir schaffen eine Regel und machen ein Gesetz. Und da würde ich sagen, das funktioniert halt nicht, denn wenn Sie solche Gesetze machen, dann werden die hinterher in England angestellt. Ich meine, das macht nicht viel Sinn aus meiner Sicht. Und es macht vor allen Dingen natürlich überhaupt keinen Sinn, es nur auf Manager zu beziehen, wenn Sie die Sportler angucken, die viel verdienen. Ich meine, es sind einfach Dinge, die hinterher nicht gut sind. Dass man über die Ethik der absoluten Bezüge redet, das ist nicht nur in Deutschland so, das sehe ich in anderen Kulturen auch.

    Geers: Trotzdem, es leitet über zu dem Thema zum Beispiel Gerechtigkeitslücke hierzulande. Es gibt viele Menschen, die haben das Gefühl, es geht an ihnen vorbei. Die Konzerne verdienen immer mehr und sie selbst haben Probleme, ihre Heizkostenrechnung zu bezahlen oder mit den steigenden Energiepreisen klar zu kommen. Läuft das Ihrer Meinung nach hierzulande in die richtige Richtung oder könnte da einiges anders laufen?

    Joussen: Ich glaube, es gibt eine steigende Gerechtigkeitslücke. Ich glaube, es wäre nicht richtig, das zu verneinen. Und die Frage ist jetzt wiederum, wie beherrscht man dieses Thema, dass die Gesellschaft nicht auseinander bricht. Und da ist meine Analyse, dass die Gehälter sich halt anders entwickelt haben in den letzten zehn Jahren als die Renditen aus Produktivvermögen. Und dementsprechend muss ich es halt schaffen, dass, wenn ich das verhindern will, Mitarbeiter an dem Produktivitätsfortschritt, an der Kapitaleffizienz partizipieren können.

    Und wir haben bei Vodafone da ein sehr einfaches Modell, indem wir jeden Mitarbeiter an dem Unternehmenserfolg direkt beteiligen, selbst im Tarifbereich, zusammen mit den Arbeitnehmervertretern bei uns verhandelt. Und ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Und hier müssen wir aus meiner Sicht in Deutschland ein bisschen breiter werden. In anderen Gesellschaften wie zum Beispiel wiederum in Finnland oder in den USA findet das schon etwas mehr den Weg in die Gesellschaft hinein. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, die Differenz zwischen arm und reich ist aus anderen Gründen zum Beispiel in den USA durchaus auch sehr groß. Aber ich glaube, der Weg ist der richtige, der Weg muss sein, Produktivitätsfortschritt muss sich eins zu eins niederschlagen können auch in dem Wohlstand der breiten Bevölkerungsschichten. Sonst riskiert man tatsächlich, dass die Gesellschaft da über Gebühr beansprucht wird.

    Geers: Also, Vodafone Deutschland so ein bisschen als Vorbild für andere Branchen, für andere Unternehmen?

    Joussen: Das weiß ich nicht. Bei uns, wir haben ein ausgesprochen gutes Klima im Unternehmen was die Mitarbeiter angeht. Das liegt möglicherweise daran, dass wir als Serviceunternehmen gar keine andere Wahl haben. Service, wie ich immer sage, können Sie in der Qualität nicht erstellen, dann vermessen und den schlechten Service aussortieren, sondern Service entsteht immer mit dem Kunden und im Beisein des Kunden. Deshalb liegt uns enorm viel daran, dass die Mitarbeiter spüren, wir sind Vodafone. Und wir tun alles, damit die Mitarbeiter das auch tatsächlich leben können. Und das bedeutet sowohl sehr große Freiheiten der Mitarbeiter für ihre Aktionen. Es gibt bei uns zum Beispiel keine Genehmigungsgrenzen für Gutschriften wenn es um die Kunden geht in den Callcentern, als auch bei dem Thema, wenn es dem Unternehmen gut geht, muss es den Mitarbeitern gut gehen, weil wir ansonsten den gesellschaftlichen Konsens auch bei uns im Unternehmen riskieren. Und wir sind darauf angewiesen, weil wir ein Serviceunternehmen sind. Insofern ist das bei uns nicht Gutmenschentum, sondern absolut wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg.

    Geers: Letzte Frage vielleicht, Herr Joussen: Das hebt sich deutlich ab von dem, was wir von Ihrem größten Konkurrenten in den letzten Wochen und Monaten immer hören. Da geht es um Stellenabbau, da geht es um Ausgliederung von Mitarbeitern auf schlechter bezahlte Jobs. Wie passt das zusammen - auf der einen Seite Ihr Unternehmen, das relativ glänzend dasteht, wie Sie das darstellen, auf der anderen Seite ein Konkurrent, der immer nur mit Problemen auf sich aufmerksam macht?

    Joussen: Über meinen Konkurrenten kann ich nichts sagen, das ist ein bisschen schwer. Sicherlich hat der Konkurrent auch eine etwas andere Ausgangsposition. Insofern sehen Sie es mir nach, dass ich über die Probleme bei der Deutschen Telekom und über die öffentliche Wahrnehmung bei der Deutschen Telekom hier nichts sagen kann. Für mich, wie gesagt, ist es eins der größten und wichtigsten Dinge - auch jetzt gerade bei der Integration dieses neuen Unternehmens Arcor -, dass die Mitarbeitermotivation oben ist.

    Wir wollen Mitarbeiter haben, die sich fühlen wie Vodafone. Denn letztendlich ist es so, dass, wenn der Kunde bei uns anruft oder wenn der Kunde bei uns im Shop steht und etwas über Vodafone denkt, dann denkt er darüber nach, wie der Kontakt mit dem Mitarbeiter war und nicht wie ich bin und schon gar nicht, wie Vodafone in England ist oder Vodafone global ist. Also der Mitarbeiter ist das wichtigste, was wir haben. Und dementsprechend führen wir unser Unternehmen, und das ist für mich wichtig.