Jochen Spengler: Ab heute ist Günther Oettinger deutscher EU-Kommissar in Brüssel und zuständig für Energiefragen. Seit Mitternacht ist er nicht mehr Ministerpräsident. Heute Vormittag soll in Stuttgart der CDU-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg, Stefan Mappus, zum Nachfolger gewählt werden. Guten Morgen, Herr Oettinger!
Günther Oettinger: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Was überwiegt heute Morgen, die Trauer über den Abschied von Stuttgart, oder die Freude auf Brüssel?
Oettinger: Die Freude auf die neue Aufgabe in Brüssel und damit auch für Deutschland, auch für Baden-Württemberg. Trotzdem, ich gebe zu: ein bisschen Wehmut ist dabei, denn wenn man wie ich 26 Jahre in einem Landtag und dann in der Regierung war, kann man das nicht einfach abschließen. Da sind viele Erinnerungen, viele gute, ein paar schlechtere, da sind viele bestehende Bekanntschaften, bleibende Freundschaften. Aber ich freue mich auf die neue Aufgabe, der Blick geht nach vorne.
Spengler: Bleibt es eigentlich bei der Verabredung, dass Ihr Amtsnachfolger Stefan Mappus, der ja Hobby-Pilot ist, Sie heute noch selbst mit der Cessna nach Brüssel fliegen wird?
Oettinger: Nein, nicht heute, aber das war sein Abschiedsgeschenk. Deswegen werden wir - aber mir ist dann eine Jahreszeit im Sommer, wo man klare Sicht hat, lieber als jetzt der Nebeltag und der Tag mit Schneefall - irgendwann im Sommer gemeinsam starten und er wird mich dann an meinen neuen Dienstort bringen und wir haben unterwegs Gelegenheit, über Baden-Württemberg und die Welt zu reden, und ich kann ein bisschen was lernen über die Fliegerei.
Spengler: Und Sie haben weder Flugangst, noch Misstrauen in Herrn Mappus?
Oettinger: Beides nicht, nein.
Spengler: Sind Sie schon umgezogen?
Oettinger: Nein. Ich bin bisher in dem Gästetrakt unserer kleinen Vertretung in Brüssel gewesen, suche jetzt in aller Ruhe mit meiner Lebensgefährtin nach einer Wohnung in Brüssel und will dann von Montag bis Freitag in Belgien sein, aber am Wochenende bleibe ich in Deutschland und somit bleibt auch Stuttgart mein privater Heimatort.
Spengler: Herr Oettinger, ursprünglich hätte die Kommission im November im Amt sein sollen. Dann hat sich Tschechien ziemlich viel Zeit gelassen, dann kamen die langwierigen Parlamentsanhörungen, jetzt können Sie mit dreimonatiger Verspätung loslegen. Benötigen Sie noch Einarbeitungszeit?
Oettinger: Ich glaube, jeder braucht dies. Energie ist für mich zwar kein Fremdwort und wir haben ja auch in der Landes- und Bundespolitik mit Fragen der Energiesicherung, des Energiemixes, der Energiegenehmigung und auch der Kernkraft viel zu tun, auch das Thema Stadtwerke und Privatisierung ist ein Landesthema, aber die Dimension jetzt ist neu. Die geht nach Aserbaidschan, die geht in die Türkei, die geht in die OPEC-Staaten. Ich habe da einiges vorbereitet während dieser drei Monate, aber ich bin sicher, in den nächsten drei Monaten werden wir genauso viel Neues lernen, vor allen Dingen eben auch Gesprächspartner kennenlernen, deren Argumente hören und dann darauf aufbauend die europäische Energiepolitik mit gestalten.
Spengler: Wie gehen Sie eigentlich mit dem Spott über die Englisch-Kenntnisse um?
Oettinger: Sehr gelassen. Schauen Sie, ich habe neun Jahre Latein gehabt und fünf Jahre Englisch in der Schule. Mein Englisch ist gut. Wenn ich Gesprächspartner aus den USA, aus England hatte, hat das für die Gespräche immer gereicht. Aber ich habe in den letzten Jahrzehnten Englisch nicht täglich gebraucht. Meine Sprache war Deutsch oder Schwäbisch oder Fränkisch und jetzt kommen eben Fachbegriffe hinzu und die werde ich jetzt noch nachholen. Aber die Reihenfolge war klar: erst die Aufgabe in Baden-Württemberg ordentlich zu Ende führen - das habe ich mit dem gestrigen Tag getan -, parallel sich in die Inhalte einarbeiten und die neuen Strukturen und Köpfe in Brüssel kennen lernen - auch dies habe ich getan -, und jetzt kommt noch die englische Sprache, übrigens nicht allein Englisch. Ich will auch Französisch wieder auffrischen, denn Sprachen sind für die Kommunikationsfähigkeit in Brüssel und Straßburg eine ideale Grundlage.
Spengler: Lassen Sie uns doch mal einen Einblick nehmen. Wie verständigt man sich in so einem Kreis von 27 Kommissaren?
Oettinger: Da muss man unterscheiden zwischen den Sitzungen und der direkten Begegnung. In den Kommissionssitzungen, also im Kollegium, oder auch im Parlament, oder im Ausschuss ist Deutsch nicht nur möglich, sondern auch gewollt, ist Deutsch gleichrangig neben Englisch und Französisch eine Hauptsprache. Deswegen werden der Kommissar aus Österreich oder auch ich und andere dort Deutsch reden, so wie der Kollege aus Frankreich Französisch spricht, oder die Kollegin aus England Englisch spricht. Aber klar ist: wenn man dann im Flur sich trifft, oder einmal ein Mittagessen einnimmt, oder bei großen Konferenzen sich als Redner oder Teilnehmer aufhält, dann ist Englisch plötzlich doch die Sprache, die für alle im Mittelpunkt steht, und deswegen will ich gerade auch für die Energiethemen alle Fachbegriffe in den nächsten Wochen reinziehen, um dann neben Deutsch auch auf Englisch voll inhaltlich fit zu sein.
Spengler: Wir sprechen mit dem neuen EU-Kommissar, für Energie zuständig, Günther Oettinger. - Herr Oettinger, wofür wird diese EU-Kommission stehen?
Oettinger: Die neue EU-Kommission ist die erste, die ihre Arbeit auf dem Vertrag von Lissabon aufbaut. Das heißt, wir haben eine neue Grundordnung, neue Kompetenzen, neue Aufgaben, Abgrenzungen, ein gestärktes Parlament, eine gestärkte Kommission, und wir haben hohe Erwartungen, dass wir auf europäischer Ebene zum einen die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber Asien und Amerika und gegenüber europäischen Nachbarländern wie Russland in vollem Umfang sichern, dass wir die Folgerungen aus der Krise von Wirtschaft und Bankenwelt ziehen, neue Regeln aufstellen, und dass wir in einigen Bereichen die Europäisierung einleiten. Energie wird ein europäisches Thema, nachdem es jahrzehntelang eher ein regionales, oder maximal nationales Thema gewesen ist.
Spengler: Was ist denn da Ihr persönlich wichtigstes Anliegen?
Oettinger: Mein Anliegen ist es in meinem Dossier, dass Energie effizienter verwendet wird, dass wir die Abhängigkeit von Energieimporten aus dem europäischen Nachbarraum verringern, und dass wir den Sprung zu erneuerbaren Energien im Energiemix nachhaltig voranbringen. Und allgemein für unsere Kommission ist mein Anliegen, dass wir bei der Sicherung von Arbeitsplätzen und bei der Kompetenz unserer Wirtschaft bei Innovation und Forschung einen großen Sprung nach vorne machen, denn wir haben durch die Krise zu viele Arbeitslose und Europa ist in vielen ökonomischen Feldern nicht genügend wettbewerbsfähig gegen andere Regionen der Welt.
Spengler: Bei diesem Energiemix, den Sie angesprochen haben, welche Rolle kommt dabei der Atomenergie zu? Ich frage das, weil ja Bundesumweltminister Norbert Röttgen propagiert hat, erneuerbare Energien sind das Ziel und Atomenergie ist nur noch die Brücke.
Oettinger: Diese Überlegung, dass die Kernkraft eine Brückentechnik ist, teile ich. Die Frage ist nur, wie lang wird die Brücke sein und wo führt sie hin. Aber jetzt zu meiner Aufgabe. Es bleibt in der Kompetenzverteilung zum ersten Sache der Kernunternehmen, der Kernkraftbetreiber, also der großen Energieunternehmen in Europa, ob sie einen Kernkraftblock betreiben, ob sie einen Antrag auf Verlängerung stellen, ob sie einen neuen bauen wollen, und dies ist in Europa Sache zunächst einmal der Eigentümer. Zum zweiten: es bleibt Aufgabe des nationalen Gesetzgebers zu entscheiden, wie man es mit Kernkraft hält. Und da muss ich akzeptieren, dass die Landkarte Europas sehr unterschiedlich ist. Wir haben 15 Nationen mit Kernkraft, zwei kommen neu hinzu, Polen und Italien, wir haben mit Frankreich ein Land, in dem nur Kernkraft im Energiemix eine Rolle spielt, und Österreich, wo Wasserkraft und erneuerbare Energien schon jetzt 60 Prozent darstellt und es kein Kernkraftwerk gibt. Deutschland liegt mitten drin und deswegen höre ich gerne in der CDU Deutschlands mit zu der Frage, aber als Kommissar halte ich mich raus und ist es Sache des Deutschen Bundestages zu entscheiden, wie lange es wie viele Kernkraftwerke in Deutschland gibt.
Spengler: Um noch mal auf die deutsche Diskussion zu rekurrieren. 32 Jahre Laufzeit hat Rot-Grün beschlossen, Röttgen sagt jetzt 40 Jahre Laufzeit reichen, die Industrie, manche Ihrer Parteifreunde hätten gerne AKW-Laufzeiten von 60 Jahren und mehr. Wie ist da Ihre persönliche Position?
Oettinger: Ich glaube nicht, dass das Geburtsdatum eines Kernkraftwerkes die Zahl der Jahre allein bestimmen darf, sondern die Frage der Nachrüstung und des Stands der Technik steht im Mittelpunkt. Ich wage einen Vergleich. Es kann sein, dass ein Auto auch nach 16 Jahren, wenn es neue Reifen hat, neue Bremsen hat, wenn es neue Kolben bekommen hat, wenn es generell ständig in Wartung und Service fit gehalten wurde, ohne weiteres die Plakette zum Fahren bekommt und umgekehrt ein Auto nach vier Jahren nicht mehr fahren sollte mit abgefahrenen Reifen, mit schlechten Bremsen, mit schlechter Einstellung der Lenkung. Das heißt, wir sollten die Zahl der Produktionsjahre von Kernkraftwerken nicht einheitlich bestimmen, sondern sollten sagen, was ist Stand der Technik, und sollten dann den Kernkraftwerksbetreibern ermöglichen, durch Nachrüstung diesen zu erreichen, einen höchsten Stand der Sicherheit zu erreichen, und da orientiert sich die Zahl der Jahre nicht entlang des Geburtsdatums.
Spengler: Sollte denn die Industrie für eine verlängerte Laufzeit die Hälfte ihrer Gewinne an den Staat zahlen oder nicht? Röttgen sagt, das geht auf Kosten der Sicherheit, und er lehnt einen solchen Deal ab. Sie auch?
Oettinger: Nein. Die Auflagen für die Sicherheit sind das eine. Die muss der Staat im Gesetz und dann in der Verwaltung bestimmen und die Industrie muss sie einhalten. Aber jeder Euro, der bei abgeschriebenen Kernkraftwerken, die länger laufen dürfen, mehr erlöst wird, sollte in der Tat zu mindestens 50 Prozent für öffentliche Aufgaben bereitstehen, im Wesentlichen für die Forschung und die Markteinführung und Unterstützung von erneuerbaren Energien. Ich halte diese Aussage in der Koalitionsvereinbarung für völlig richtig und die wird mit Sicherheit auch umgesetzt.
Spengler: Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar. Viel Erfolg in Brüssel, Herr Oettinger, und danke für das Gespräch.
Oettinger: Ich danke auch und einen guten Tag!
Günther Oettinger: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Was überwiegt heute Morgen, die Trauer über den Abschied von Stuttgart, oder die Freude auf Brüssel?
Oettinger: Die Freude auf die neue Aufgabe in Brüssel und damit auch für Deutschland, auch für Baden-Württemberg. Trotzdem, ich gebe zu: ein bisschen Wehmut ist dabei, denn wenn man wie ich 26 Jahre in einem Landtag und dann in der Regierung war, kann man das nicht einfach abschließen. Da sind viele Erinnerungen, viele gute, ein paar schlechtere, da sind viele bestehende Bekanntschaften, bleibende Freundschaften. Aber ich freue mich auf die neue Aufgabe, der Blick geht nach vorne.
Spengler: Bleibt es eigentlich bei der Verabredung, dass Ihr Amtsnachfolger Stefan Mappus, der ja Hobby-Pilot ist, Sie heute noch selbst mit der Cessna nach Brüssel fliegen wird?
Oettinger: Nein, nicht heute, aber das war sein Abschiedsgeschenk. Deswegen werden wir - aber mir ist dann eine Jahreszeit im Sommer, wo man klare Sicht hat, lieber als jetzt der Nebeltag und der Tag mit Schneefall - irgendwann im Sommer gemeinsam starten und er wird mich dann an meinen neuen Dienstort bringen und wir haben unterwegs Gelegenheit, über Baden-Württemberg und die Welt zu reden, und ich kann ein bisschen was lernen über die Fliegerei.
Spengler: Und Sie haben weder Flugangst, noch Misstrauen in Herrn Mappus?
Oettinger: Beides nicht, nein.
Spengler: Sind Sie schon umgezogen?
Oettinger: Nein. Ich bin bisher in dem Gästetrakt unserer kleinen Vertretung in Brüssel gewesen, suche jetzt in aller Ruhe mit meiner Lebensgefährtin nach einer Wohnung in Brüssel und will dann von Montag bis Freitag in Belgien sein, aber am Wochenende bleibe ich in Deutschland und somit bleibt auch Stuttgart mein privater Heimatort.
Spengler: Herr Oettinger, ursprünglich hätte die Kommission im November im Amt sein sollen. Dann hat sich Tschechien ziemlich viel Zeit gelassen, dann kamen die langwierigen Parlamentsanhörungen, jetzt können Sie mit dreimonatiger Verspätung loslegen. Benötigen Sie noch Einarbeitungszeit?
Oettinger: Ich glaube, jeder braucht dies. Energie ist für mich zwar kein Fremdwort und wir haben ja auch in der Landes- und Bundespolitik mit Fragen der Energiesicherung, des Energiemixes, der Energiegenehmigung und auch der Kernkraft viel zu tun, auch das Thema Stadtwerke und Privatisierung ist ein Landesthema, aber die Dimension jetzt ist neu. Die geht nach Aserbaidschan, die geht in die Türkei, die geht in die OPEC-Staaten. Ich habe da einiges vorbereitet während dieser drei Monate, aber ich bin sicher, in den nächsten drei Monaten werden wir genauso viel Neues lernen, vor allen Dingen eben auch Gesprächspartner kennenlernen, deren Argumente hören und dann darauf aufbauend die europäische Energiepolitik mit gestalten.
Spengler: Wie gehen Sie eigentlich mit dem Spott über die Englisch-Kenntnisse um?
Oettinger: Sehr gelassen. Schauen Sie, ich habe neun Jahre Latein gehabt und fünf Jahre Englisch in der Schule. Mein Englisch ist gut. Wenn ich Gesprächspartner aus den USA, aus England hatte, hat das für die Gespräche immer gereicht. Aber ich habe in den letzten Jahrzehnten Englisch nicht täglich gebraucht. Meine Sprache war Deutsch oder Schwäbisch oder Fränkisch und jetzt kommen eben Fachbegriffe hinzu und die werde ich jetzt noch nachholen. Aber die Reihenfolge war klar: erst die Aufgabe in Baden-Württemberg ordentlich zu Ende führen - das habe ich mit dem gestrigen Tag getan -, parallel sich in die Inhalte einarbeiten und die neuen Strukturen und Köpfe in Brüssel kennen lernen - auch dies habe ich getan -, und jetzt kommt noch die englische Sprache, übrigens nicht allein Englisch. Ich will auch Französisch wieder auffrischen, denn Sprachen sind für die Kommunikationsfähigkeit in Brüssel und Straßburg eine ideale Grundlage.
Spengler: Lassen Sie uns doch mal einen Einblick nehmen. Wie verständigt man sich in so einem Kreis von 27 Kommissaren?
Oettinger: Da muss man unterscheiden zwischen den Sitzungen und der direkten Begegnung. In den Kommissionssitzungen, also im Kollegium, oder auch im Parlament, oder im Ausschuss ist Deutsch nicht nur möglich, sondern auch gewollt, ist Deutsch gleichrangig neben Englisch und Französisch eine Hauptsprache. Deswegen werden der Kommissar aus Österreich oder auch ich und andere dort Deutsch reden, so wie der Kollege aus Frankreich Französisch spricht, oder die Kollegin aus England Englisch spricht. Aber klar ist: wenn man dann im Flur sich trifft, oder einmal ein Mittagessen einnimmt, oder bei großen Konferenzen sich als Redner oder Teilnehmer aufhält, dann ist Englisch plötzlich doch die Sprache, die für alle im Mittelpunkt steht, und deswegen will ich gerade auch für die Energiethemen alle Fachbegriffe in den nächsten Wochen reinziehen, um dann neben Deutsch auch auf Englisch voll inhaltlich fit zu sein.
Spengler: Wir sprechen mit dem neuen EU-Kommissar, für Energie zuständig, Günther Oettinger. - Herr Oettinger, wofür wird diese EU-Kommission stehen?
Oettinger: Die neue EU-Kommission ist die erste, die ihre Arbeit auf dem Vertrag von Lissabon aufbaut. Das heißt, wir haben eine neue Grundordnung, neue Kompetenzen, neue Aufgaben, Abgrenzungen, ein gestärktes Parlament, eine gestärkte Kommission, und wir haben hohe Erwartungen, dass wir auf europäischer Ebene zum einen die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber Asien und Amerika und gegenüber europäischen Nachbarländern wie Russland in vollem Umfang sichern, dass wir die Folgerungen aus der Krise von Wirtschaft und Bankenwelt ziehen, neue Regeln aufstellen, und dass wir in einigen Bereichen die Europäisierung einleiten. Energie wird ein europäisches Thema, nachdem es jahrzehntelang eher ein regionales, oder maximal nationales Thema gewesen ist.
Spengler: Was ist denn da Ihr persönlich wichtigstes Anliegen?
Oettinger: Mein Anliegen ist es in meinem Dossier, dass Energie effizienter verwendet wird, dass wir die Abhängigkeit von Energieimporten aus dem europäischen Nachbarraum verringern, und dass wir den Sprung zu erneuerbaren Energien im Energiemix nachhaltig voranbringen. Und allgemein für unsere Kommission ist mein Anliegen, dass wir bei der Sicherung von Arbeitsplätzen und bei der Kompetenz unserer Wirtschaft bei Innovation und Forschung einen großen Sprung nach vorne machen, denn wir haben durch die Krise zu viele Arbeitslose und Europa ist in vielen ökonomischen Feldern nicht genügend wettbewerbsfähig gegen andere Regionen der Welt.
Spengler: Bei diesem Energiemix, den Sie angesprochen haben, welche Rolle kommt dabei der Atomenergie zu? Ich frage das, weil ja Bundesumweltminister Norbert Röttgen propagiert hat, erneuerbare Energien sind das Ziel und Atomenergie ist nur noch die Brücke.
Oettinger: Diese Überlegung, dass die Kernkraft eine Brückentechnik ist, teile ich. Die Frage ist nur, wie lang wird die Brücke sein und wo führt sie hin. Aber jetzt zu meiner Aufgabe. Es bleibt in der Kompetenzverteilung zum ersten Sache der Kernunternehmen, der Kernkraftbetreiber, also der großen Energieunternehmen in Europa, ob sie einen Kernkraftblock betreiben, ob sie einen Antrag auf Verlängerung stellen, ob sie einen neuen bauen wollen, und dies ist in Europa Sache zunächst einmal der Eigentümer. Zum zweiten: es bleibt Aufgabe des nationalen Gesetzgebers zu entscheiden, wie man es mit Kernkraft hält. Und da muss ich akzeptieren, dass die Landkarte Europas sehr unterschiedlich ist. Wir haben 15 Nationen mit Kernkraft, zwei kommen neu hinzu, Polen und Italien, wir haben mit Frankreich ein Land, in dem nur Kernkraft im Energiemix eine Rolle spielt, und Österreich, wo Wasserkraft und erneuerbare Energien schon jetzt 60 Prozent darstellt und es kein Kernkraftwerk gibt. Deutschland liegt mitten drin und deswegen höre ich gerne in der CDU Deutschlands mit zu der Frage, aber als Kommissar halte ich mich raus und ist es Sache des Deutschen Bundestages zu entscheiden, wie lange es wie viele Kernkraftwerke in Deutschland gibt.
Spengler: Um noch mal auf die deutsche Diskussion zu rekurrieren. 32 Jahre Laufzeit hat Rot-Grün beschlossen, Röttgen sagt jetzt 40 Jahre Laufzeit reichen, die Industrie, manche Ihrer Parteifreunde hätten gerne AKW-Laufzeiten von 60 Jahren und mehr. Wie ist da Ihre persönliche Position?
Oettinger: Ich glaube nicht, dass das Geburtsdatum eines Kernkraftwerkes die Zahl der Jahre allein bestimmen darf, sondern die Frage der Nachrüstung und des Stands der Technik steht im Mittelpunkt. Ich wage einen Vergleich. Es kann sein, dass ein Auto auch nach 16 Jahren, wenn es neue Reifen hat, neue Bremsen hat, wenn es neue Kolben bekommen hat, wenn es generell ständig in Wartung und Service fit gehalten wurde, ohne weiteres die Plakette zum Fahren bekommt und umgekehrt ein Auto nach vier Jahren nicht mehr fahren sollte mit abgefahrenen Reifen, mit schlechten Bremsen, mit schlechter Einstellung der Lenkung. Das heißt, wir sollten die Zahl der Produktionsjahre von Kernkraftwerken nicht einheitlich bestimmen, sondern sollten sagen, was ist Stand der Technik, und sollten dann den Kernkraftwerksbetreibern ermöglichen, durch Nachrüstung diesen zu erreichen, einen höchsten Stand der Sicherheit zu erreichen, und da orientiert sich die Zahl der Jahre nicht entlang des Geburtsdatums.
Spengler: Sollte denn die Industrie für eine verlängerte Laufzeit die Hälfte ihrer Gewinne an den Staat zahlen oder nicht? Röttgen sagt, das geht auf Kosten der Sicherheit, und er lehnt einen solchen Deal ab. Sie auch?
Oettinger: Nein. Die Auflagen für die Sicherheit sind das eine. Die muss der Staat im Gesetz und dann in der Verwaltung bestimmen und die Industrie muss sie einhalten. Aber jeder Euro, der bei abgeschriebenen Kernkraftwerken, die länger laufen dürfen, mehr erlöst wird, sollte in der Tat zu mindestens 50 Prozent für öffentliche Aufgaben bereitstehen, im Wesentlichen für die Forschung und die Markteinführung und Unterstützung von erneuerbaren Energien. Ich halte diese Aussage in der Koalitionsvereinbarung für völlig richtig und die wird mit Sicherheit auch umgesetzt.
Spengler: Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar. Viel Erfolg in Brüssel, Herr Oettinger, und danke für das Gespräch.
Oettinger: Ich danke auch und einen guten Tag!