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Die Dritte Generation

Als die israelische Autorin Yael Ronen in Tel Aviv am Theatereingang palästinensische Soldaten die Ausweise der israelischen Zuschauer kontrollieren ließ, da gingen viele Besucher aus Protest nach Hause. Ihre neue Arbeit "Dritte Generation" hat Yael Ronen gemeinsam mit deutschen, israelischen und palästinensischen Schauspielern erarbeitet. Nun war das Ergebnis erstmals zu sehen, und zwar beim Festival "Theater der Welt" in Halle.

Von Eberhard Spreng | 01.07.2008
    Zwölf junge Männer und Frauen sitzen im Halbkreis auf der kleinen Bühne - wie in einer Psychogruppe, einem Workshop. Seit Wochen leben sie zusammen und arbeiten in Israel und Berlin an einem gemeinsamen Erbe, das jeder von ihnen anders erlebt. In die Familiengeschichten der 4 jungen Palästinenser, Juden und Deutsche hat sich der Holocaust, die Besiedlung Palästinas durch jüdischen Siedler, der Krieg von 1948 eingeschrieben, Ereignisse, die keiner von ihnen erlebt hat und die doch ihre Gefühlswelt beherrschen, als Schuldgefühl, Vorurteil und als palästinensisch-israelische Konflikt fortbestehen. Sie aus dem Unbewussten zu holen, macht sich das Projekt "Dritte Generation" zum Ziel. Es sind individuelle Erinnerungen, mit denen die Aufführung beginnt, Kurz-Szenen, plakativ bebildert. Mit einer schier unglaublichen, frechen Ungefangenheit und Geistesschärfe steuert Yael Ronen ihre Equipe ins Zentrum der Tabus, mit den Waffen von Kabarett, Kalauer, und Satire.

    "Der Ausgangspunkt waren persönliche Erfahrungen, mit denn sich jeder erst einmal vorstellt. Aber schnell werden daraus allgemeine Ansichten und Positionen. Diese präsentieren sich wiederum in einer Form der Satire, des Kabarett. Wir hatten für diese Arbeit wenig Zeit. Wir mussten schnell zu einer Art Aufführung kommen und deshalb brauchten wir ein einfaches Werkzeug der Vermittlung. "
    Mit einer verklemmten, verdrucksten Entschuldigungsrede beginnt der Schaubühnenakteur Niels Bormann die erste verblüffende Etappe dieses "Work in Progress".

    In diesem Spiel mit dem Klischee ist ihm, dem Deutschen, das Skizzenhafte dieses Vergangenheitsbewältigungstheaters suspekt, Publikumsreife nicht vorhanden. Er, sowie sein deutscher Mitspieler Karsten Dahlem, der in Magistermanier einen jungen Palästinenser mehrfach auf die Bühne zitiert und wieder abgehen lässt, sind noch in ihrem verqueren Gedenkperfektionismus Karikaturen des unangenehmen deutschen Musterschülers, gefangen in vergeblichen Kompensationsversuchen angesichts eines auch das Verhältnis von Palästinensern und Israelis prägenden Verbrechens.

    "Im Allgemeinen wird der Holocaust im Verhältnis von Israelis und Palästinensern als politisches Instrument missbraucht. Wir haben in unserer Workshoprecherche herausgefunden, dass jeder sich selbst gerne als Opfer definiert und große Schwierigkeiten damit hat, sich als Täter zu begreifen oder immerhin als einer, der Verantwortung trägt."

    Wenn drei Akteure auf der Bühne stehen, und in schnellem Wechsel die nationale Mahnmaldiskurse zum Beispiel von Yad Vashem, im einst ausgebombten Dresden der DDR-Zeit und des belagerten Palästina zitieren, wird der bequeme Opportunismus karikiert, mit dem man sich im Rahmen identitätsstiftender Erinnerungsrituale in die Opferrolle schleicht. Wenn der israelisch-palästinensische Konflikt in die Metapher einer unglücklichen Ehe gefasst wird, deren unlösbare Probleme ein amerikanischer Therapeut behandeln soll, ist Weltgeschichte, genauer der Camp-David-Prozess auf urkomische Art und Weise in eine bühnenwirksame Metapher gefasst. Wenn aber eine Palästinenserin einen furiosen Monolog über die vielfältige Abfolge von Akten der Vertreibung, des Verbrechen, des Terrors und der Militäreinsätze immer wieder mit den Worten "wir wollen nichts vergleichen" interpunktiert, ist in dieser rhetorischen Floskel ein erster Ausweg aus dem Knoten einer beklemmenden gegenseitige Verstrickung angedeutet: Geschichte entsteht immer wieder neu, es gibt keinen historischen Mechanismus, der die Beteiligten zwänge, den Holocaust bis in die Ewigkeit in einer Serie der Untaten fortzuschreiben oder eigenes Tun mit ihm zu begründen, egal wie attraktiv es erscheint, seine nationale Identität in der Operrolle, in der jüdischen Shoah, in der palästinensischen Naqba zu begründen. Aus Yael Ronens furioser Skizze soll einmal ein Theaterstück werden; hoffentlich behält es die blitzgescheite Unmittelbarkeit und Frechheit, mit der das 12-köpfige Ensemble ein erdrückendes Erbe annimmt.

    Dass sich in Halle an dieses erfrischende Kabarett dann auch noch Joel Pommerats "Cet Enfant" aus Frankreich anschloss, das nun allerdings mit unvergleichlicher optischer Präzision und suggestiver Kraft die Vorurteile, Erwartungen und das tiefe Unverständnis vorführt, das das Verhältnis von Eltern und Kindern beherrscht - und dies eben auch über drei Generationen illustriert - machte die Halbzeit in Halle zu einem großen Glücksfall eines Theaters, das aus der Enge vorgefertigter Vorstellungen ins offene Abenteuer der menschlichen Verhältnisse führt. Anders als bei den zahllosen Aktionen auf Straßen und Plätzen der Stadt ist mit solchen Arbeiten gerade in der Enge des dunklen Theatersaal das Festivalmotto "Komm! Ins Offene" eingelöst.