Die durch das standardisierte Druckbild möglich gewordene Klassifikation der Schriftdaten hat folglich entscheidende Auswirkungen auf die Denkmuster, die nun nach den Kriterien von Katalogisierung, Numerierung, Absatzbildung usw. eine sozusagen seitenweise Anordnung des Wissens vornehmen. Darüber hinaus bot jede Drucklegung Anlaß zur philologischen Korrektur der Texte, in deren Abschriften sich Unmengen von Fehlern eingeschlichen hatten. Aber diese Fortschritte des Geistes wurden schon im ausgehenden Mittelalter auch als Verfall erlebt. Die Autorin erinnert an die romantische Wiederaufnahme des Motivs in Victor Hugos Roman "Notre Dame de Paris", wo der Buchdruck als Bedrohung des an die Bilder und architekturalen Gedächtnisräume der Kathedralen gebundenen Wissens erlebt wird. Und auch der Gegensatz eines künstlerischen Stiles zur normierten Form entsteht im Zusammenhang der technischen Gleichförmigkeit.
Andererseits verdanken sich gerade die künstlerischen Aufwertungen der Individualität des Verfassers von Texten zum gefeierten Autor und des anonymen Kunsthandwerkers zum kreativen Künstlergenie jener Entstehung einer publizistischen Repräsentationsebene, die überhaupt erst die nötige Popularität schafft. Und die Autorin geht noch weiter, indem sie sich kunst- bzw. kulturgeschichtlichen Definitionen der Renaissance zuwendet und zeigt, daß die dabei zugrundegelegte Bezugnahme auf eine klassische Antike und Absetzung gegenüber einem Mittelalter erst durch die Konservierungskraft von Buchdruck und Kupferstich möglich wurde; ja, daß auch die von Autoren wie Burckhardt und Panofsky betonte Bedeutung des Humanismus sich erst dank der Kontinuität seiner verlegerischen Verbreitung durchsetzen konnte. Die Erscheinung neuer Kreativität und eines Anwachsens spekulativer Denktraditionen im 15. Jahrhundert können so im Zusammenhang des Auftretens der Print-Medien erklärt werden, ohne daß man - wie Frau Eisenstein betont - gleich eine "Mutation der genetischen Erbmasse des Menschen" beschwören muß. Die Bescheidenheit der Argumentation, die das Auftrumpfen eines neuen Monokausalismus vemeidet, zusammen mit der enzyklopädischen, Naturwissenschaften wie Künste vereinigenden Gelehrsamkeit machen das Buch zu einem Juwel, in dessen geistreichem Funkeln man lernen kann, daß medientechnische Revolutionen sich nicht erst seit hundert Jahren ereigen.