Archiv


Die Druckerpresse

Wer kennt sie nicht, die typische Medienschelte: daß seit dem Siegeszug der audiovisuellen Kommunikationsformen, seit Film und Fernsehen nicht mehr gelesen werde, die Buchkultur und damit das abendländische Wissen zugrunde gehe. Dabei wird oft vergessen, daß eben diese Buchkultur sich selbst einer Medienrevolution und damit dem Einschnitt technischer Innovationenen verdankt. Marhall McLuhan hat in seinem Standardwerk über die Gutenberg-Galaxis an diesen historischen Zusammenhang erinnert und mit dem Namen zugleich ein Verfallsdatum eingeschrieben. Denn spätestens seit Alan Turings Erfindung der diskret-seriellen Rechenmaschine, die heute als handliches Nachfolgemodell des Personal Computers in fast allen Haushalten steht, befinden wir uns in einer anderen Galaxie, die nicht weniger kulturprägend ist: nur eben für eine andere Kultur. Elizabeth Eisenstein, die sich seit über 30 Jahren mit den Anfängen jener Gutenberg-Galaxis beschäftigt, hat sich dieser speziellen Fragestellung zugewandt: nämlich der Beziehung von Technologie und Kultur im Zusammenhang des historischen Wandels von Kommunikationsprozessen. Ihre für ein Allgemeinpublikum geschriebene Kurzfassung der Forschungsergebnisse zum revolutionären Einschnitt des Buchdrucks in der frühen europäischen Moderne ist jetzt auf Deutsch unter der etwas reißerischen Berufung einer "Kulturrevolution" erschienen. Die knapp und sachlich gefaßte Darstellung bemüht sich im typisch angloamerikanischen Stil eines Understatements um die Berücksichtung möglichst vieler Aspekte, um Antworten zu geben auf die Frage: wie nämlich der Buchdruck die schriftliche Kommunikation innerhalb der Gelehrten-Gemeinschaften verändert hat.

Michael Wetzel |
    Ausdrücklich wird damit der Bereich einer bildungsgeschichtlichen Veränderung der Moderne durch die Alphabetisierung anhand des publizistischen Marktes ausgeklammert. Aber die Autorin verweist auch auf die Bedeutung des Mediums für die Verfestigung politischer Machtsysteme und vor allem für die Entstehung eines Nationalbewußtseins. Dies gilt insbesondere für Deutschland, dessen Sprache sich erstmals durch eines der frühesten drucktechnischen Massenprodukte, nämlich Luthers Bibel-Übersetzung, standardisieren und verbindlich durchsetzen konnte. Und dennoch verweist Elizabeth Eisenstein zurecht auf das Paradox, daß dieselben Historiker, die die Erfindung des Buchdrucks als wichtigstes Ereignis der menschheitlichen Kulturgeschichte feiern, ihr in ihren Periodisierungen keinen Platz einräumen. Dieser Leerstelle nimmt sich das Buch an, indem es zunächst im ersten Teil die Veränderung des kulturellen Bewußtseins durch den Übergang von der handschriftlichen Kopie zur Drucktechnik untersucht und im zweiten Teil das Geschichtsbewußtsein von Renaissance bzw. Neuzeit auf die Speicherfähigkeit des Gedruckten zurückführt. Man vergißt im Rückblick auf frühere Epochen der europäischen Geschichte und die Quellenlage unseres Wissens darüber sehr schnell, daß es selbst für jene Zeitabschnitte, die schon als verbürgte Schriftkulturen angesehen werden, keine Publikationen in strengen Sinne vor Erfindung des Buchdrucks gibt. Die von mittelalterlichen Mönchen angefertigten Kopien betreffen einerseits nur die Vervielfältigung von religiösem Schriftgut für den klerikalen Bereich und stellen andererseits keine verläßliche Referenz auf Bücher als Originale her. Denn die uns heute vertraute Ordnung des Buchstäblichen nach Seiten, Kapiteln, ja selbst Titelseiten, wurde erst durch den Druck anstelle der individuellen Anordnung des Kopisten eingeführt.

    Die durch das standardisierte Druckbild möglich gewordene Klassifikation der Schriftdaten hat folglich entscheidende Auswirkungen auf die Denkmuster, die nun nach den Kriterien von Katalogisierung, Numerierung, Absatzbildung usw. eine sozusagen seitenweise Anordnung des Wissens vornehmen. Darüber hinaus bot jede Drucklegung Anlaß zur philologischen Korrektur der Texte, in deren Abschriften sich Unmengen von Fehlern eingeschlichen hatten. Aber diese Fortschritte des Geistes wurden schon im ausgehenden Mittelalter auch als Verfall erlebt. Die Autorin erinnert an die romantische Wiederaufnahme des Motivs in Victor Hugos Roman "Notre Dame de Paris", wo der Buchdruck als Bedrohung des an die Bilder und architekturalen Gedächtnisräume der Kathedralen gebundenen Wissens erlebt wird. Und auch der Gegensatz eines künstlerischen Stiles zur normierten Form entsteht im Zusammenhang der technischen Gleichförmigkeit.

    Andererseits verdanken sich gerade die künstlerischen Aufwertungen der Individualität des Verfassers von Texten zum gefeierten Autor und des anonymen Kunsthandwerkers zum kreativen Künstlergenie jener Entstehung einer publizistischen Repräsentationsebene, die überhaupt erst die nötige Popularität schafft. Und die Autorin geht noch weiter, indem sie sich kunst- bzw. kulturgeschichtlichen Definitionen der Renaissance zuwendet und zeigt, daß die dabei zugrundegelegte Bezugnahme auf eine klassische Antike und Absetzung gegenüber einem Mittelalter erst durch die Konservierungskraft von Buchdruck und Kupferstich möglich wurde; ja, daß auch die von Autoren wie Burckhardt und Panofsky betonte Bedeutung des Humanismus sich erst dank der Kontinuität seiner verlegerischen Verbreitung durchsetzen konnte. Die Erscheinung neuer Kreativität und eines Anwachsens spekulativer Denktraditionen im 15. Jahrhundert können so im Zusammenhang des Auftretens der Print-Medien erklärt werden, ohne daß man - wie Frau Eisenstein betont - gleich eine "Mutation der genetischen Erbmasse des Menschen" beschwören muß. Die Bescheidenheit der Argumentation, die das Auftrumpfen eines neuen Monokausalismus vemeidet, zusammen mit der enzyklopädischen, Naturwissenschaften wie Künste vereinigenden Gelehrsamkeit machen das Buch zu einem Juwel, in dessen geistreichem Funkeln man lernen kann, daß medientechnische Revolutionen sich nicht erst seit hundert Jahren ereigen.