Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die dunklen Geschäfte von "König Albert"

Die Nachkriegsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland war bis zum Ende der 70er Jahre eine Erfolgsstory. Die Zahl der Mitglieder stieg von Jahr zu Jahr, Gewerkschaftsvertreter saßen in den Entscheidungsgremien der großen Konzerne, und in der Gemeinwirtschaft waren der DGB und seine Mitglieder selbst in beträchtlichem Umfang als Unternehmer aktiv. Der Skandal um den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzern Neue Heimat bereitete dem ein Ende.

Von Martin Hartwig | 08.02.2007

    "Die Kernkompetenz der Beteiligungen der BGAG liegt in gewerkschaftsnahen Dienstleistungen, vor allem in der Publikation und im Vertrieb von Fachbüchern im Arbeits- und Sozialrecht, sowie Fachinformationen für Betriebs- und Personalräte."

    So heißt es in der aktuellen Selbstdarstellung der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften (BGAG). Das Unternehmen ist klein und bescheiden geworden. Dabei war es einmal ein Riese mit Milliardenumsätzen. 1982, da hieß die BGAG noch Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft, waren unter ihrem Dach 35 Großunternehmen organisiert, darunter einige von internationalem Rang. Heute treten der DGB und seine Gewerkschaften kaum noch als Unternehmer auf. Der Rückzug aus der Gemeinwirtschaft begann 1982, nach dem eines ihrer Flagschiffe, die Neue Heimat, in die Schlagzeilen geraten war.

    "Es waren Informationen über Privatgeschäfte der Vorstandsmitglieder in einem Ausmaß, das man sich gar nicht mehr vorstellen kann, bei einem Unternehmen, das mit einem Heiligenschein eigentlich lebte, die Gewerkschaftsunternehmen, die es ja alle nicht mehr gibt in Folge dieses Skandals, haben immer geglaubt, dass sie bessere Unternehmen seien als andere."

    John Siegfried Mehnert war bis 1980 Pressesprecher der Neuen Heimat, dem damals größten Immobilienunternehmen Europas. Allein in Deutschland verwaltete der Konzern 420.000 Wohnungen, von denen er mehr als drei Viertel selbst besaß. Mit insgesamt 60 Tochterunternehmen engagierte sich die Neue Heimat in allen Bereichen des Immobilengeschäftes, national und international. Der Stein kam ins Rollen, als der gekündigte Pressesprecher Mehnert dem "Spiegel" Dokumente über die Machenschaften des Vorstandes weiterleitete. Am 8. Februar 1982 titelte das Blatt:

    "Neue Heimat - Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen"

    Auf 14 Seiten wurde detailliert von den Nebengeschäften des Vorstandes der Neuen Heimat berichtet. Im Zentrum stand "König Albert" - so wurde der Vorsitzende der Neuen Heimat, Albert Vietor, von seinen Mitarbeitern ehrfürchtig genannt. Dessen mondäner Lebensstil hatte in der Öffentlichkeit und unter Gewerkschaftern, deren Vertreter Vietor ja sein sollte, schon öfter für Irritationen gesorgt. Als bekannt wurde, mit welchen Mitteln Vietor und seine Komplizen im Neue-Heimat-Vorstand zu ihrem Wohlstand gekommen waren, schlugen die Wellen der Empörung hoch.

    "Das ist doch eine Schweinerei, die können da doch nicht mit unserem Geld rumaasen, die Gewerkschaften, dann brauch ich auch keine Beiträge bezahlen."

    Vor allem die Systematik des Betruges erregte die Öffentlichkeit. Der "Spiegel" berichtete von einer Firma, die nur zu dem Zweck gegründet worden war, Häuser billig aufzukaufen und teuer an die Neue Heimat weiterzuverkaufen. Unsichtbare Hintermänner waren vier Herren aus der Führungsebene der Neuen Heimat. Auch beim laufenden Betrieb verdienten die Manager mit. So standen hinter der Firma Tele-Term, die Tausende von Neue-Heimat-Häusern mit überteuerter Fernwärme versorgte, wiederum Vietor und andere Führungskräfte. Selbst bei den Hausantennen wurde über eine Tarnfirma Extrakasse gemacht. Der "Spiegel" bemerkte dazu süffisant:

    "In Europas größtem Wohnungsbaukonzern kümmerte sich die halbe Vorstandsmannschaft um die Installation und Wartung von Antennen."

    Obwohl der DGB sofort handelte und die Verantwortlichen entließ, war der moralische Schaden immens. Der Artikel vom 8. Februar 1982 war erst der Auftakt einer ganzen Reihe von Enthüllungen über die Neue Heimat. Allein der "Spiegel "widmete dem Konzern im Lauf der nächsten Jahre sechs Titelgeschichten. Sie alle handelten vom Abstieg des einst größten Immobilienunternehmens Europas. Der Grund dafür war nicht der Neue-Heimat-Skandal, auch wenn er der Anfang vom Ende war. Ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen hätte das wohl überstanden. Die Ursache für den Niedergang war die maßlose Expansion des Unternehmens in den 70er Jahren mitten in die erste Nachkriegsflaute des Wohnungsmarktes hinein. Bereits 1982 machte die Neue Heimat 700.000 Millionen Mark Verlust, und die Skandale weckten in der Öffentlichkeit und in der Politik wenig Bereitschaft, dem angeschlagenen Unternehmen zu helfen. Heinz Oskar Vetter, sowohl Vorsitzender des DGB als auch des Aufsichtsrates der Neuen Heimat, erklärte trotzig.

    "Wir sind Manns genug, um mit den Missständen in unseren eigenen Reihen selbst fertig zu werden, und wenn die uns trotz aller Kontrolle verborgen bleiben, die Presse sie aber aufdeckt, dann hat sie nur ihre Schuld erfüllt, aber liebe Freunde: Wir sind nicht die Hampelmänner, die nach jeder Verdächtigung in jedem x-beliebigen Blatt in selbstzerstörerische Zuckungen verfallen."

    Tatsächlich geschah jedoch genau das, denn bei dem misslungenen Versuch, die Neue Heimat zu retten, verkauften die Gewerkschaften fast ihr komplettes Tafelsilber und legten den Grundstein für das nächste Desaster, das als Coop-Skandal dann Ende der 80er Jahre Schlagzeilen machte.


    Programmtipp: "Geschichte aktuell: Strohmänner, Scharlatane und Spekulanten - Vor 25 Jahren: der Skandal um den Gewerkschaftskonzern Neue Heimat", Deutschlandfunk, Hintergrund Politik, 8. Februar, 18.40 Uhr