Traduttore traditore - der Übersetzer muss ein unglücklicher Mensch sein, denn seit Urzeiten wird er als Verräter beschimpft. Zu Recht? Vermutlich. Jedenfalls ist er zumindest ein kleiner Verräter, muss wohl auch einer sein. Denn den absoluten Wortsinn, die einzige, die vornehmste Bedeutung des Originalwerks wird er nie übertragen können - weil es diesen Sinn schlicht nicht gibt. Man kann sich auf eine ungefähre Wiedergabe festlegen, nie aber hoffen, die einzig richtige zu finden. Denn schon das Originalwerk ist einfach zu vieldeutig. Und so wäre die Übersetzung eine ziemlich hilflose Kunst, stünde ihr nicht die Philologie, die Wissenschaft von Literatur und Sprache, zur Seite. Die kann zwar auch nicht die absolute Übertragung garantieren, wohl aber, so der in Münster lehrende Romanist Christoph Strosetzky, Leiter der Münsteraner Tagung, den Übersetzern beratend zur Seite stehen.
"Ich denke, wenn man wissen will, was Philologie heute ist, muss man immer sich überlegen, was die Geschichte der Philologie ist, was sie früher mal war. Und man muss dann unterscheiden, auf der einen Seite ist es eben die Beherrschung der Sprache, und auf der anderen Seite hat es viel zu tun mit dem Wissen. Und da muss man nun die Frage stellen, wie die Ideen heute in der Philologie platziert sind, wo man doch sehr häufig die Philologie doch einfach mit den Sprachfertigkeiten in Verbindung setzt. Und ich denke, man sollte nicht das Formale zum Primären machen, es war schon immer so in der Geschichte der Philologie, dass die Kunde, der Gegenstandsbereich etwa des Altertums oder der fremden Kultur - Spanien, Frankreich -, dass das im Mittelpunkt stand und nicht etwa das Übersetzen. Das Übersetzen war Mittel zum Zweck, und wenn man nun das Übersetzen zum Zweck macht, dann muss man sich überlegen, ob nicht etwas ganz Wichtiges, Kostbares wegfällt."
Die Idee als Zentrum der Philologie. Nicht zufällig entwickelte sich die moderne Philologie aus der Bibel-Exegese, der Disziplin, in der es wie in keiner anderen auf den Geist des Buchstabens ankam. Auch im Humanismus kam es in der Auseinandersetzung mit den antiken Schriftstellern darauf an, den Wortsinn exakt zu erfassen. Heute hingegen, im Zeitalter des Kulturrelativismus, haben wir kaum mehr Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass man die Welt auf ganz verschiedene Weise sehen kann. Insofern haben die Übersetzer große Aufgaben vor sich - werden die aber, so der Hispanist und Literaturwissenschaftler Dietrich Briesemeister, wohl nie restlos befriedigend abschließen können.
"Heute stehen wir in einer großen Auseinandersetzung über die Bedeutung des ‚Kulturtransfers’, wie man dem entsprechenden Fremdwort davon redet, wobei sehr viel mehr als die sprachliche Übersetzung oder Umsetzung gemeint ist, und in diesem Sinn hat ja auch die Übersetzung eine große Zukunft – wenngleich wir, wenn wir im Blick auf die Frankfurter Buchmesse schauen, auch die begrenzten Möglichkeiten der Verbreitung von Übersetzungen, literarischen Übersetzungen zugeben müssen."
Man kann die Geschichte der Übersetzung auch als Verfallsgeschichte erzählen. Das hängt mit den Rhythmen des modernen Buchmarkts zusammen: Die einzelnen Titel bleiben immer kürzer in den Regalen stehen, werden meist nach ein paar Monaten schon durch neue ersetzt. Da müssen Übersetzer sich beeilen, können auf Feinheiten und Nuancen oft kaum achten - und sind darauf, so der in Alicante lehrende Philologe Miguel Angel Vega Cernudo, auch kaum mehr vorbereitet.
"Seit den 1970er Jahren mussten wir uns in Spanien auf den Eintritt in die Europäische Union vorbereiten. Und das hieß auch, dass die ersten größeren Übersetzerstudien begründet wurden. Sie waren von Anfang an sehr pragmatisch, auf ökonomischen Erfolg ausgerichtet. Denn die Übersetzungen mussten schnell geleistet werden, und so erfreulich das einerseits auch war, so sehr litten die Arbeiten doch darunter, dass sie sehr oft ohne das entsprechende kulturelle Hintergrundwissen erstellt wurden. Das für die Übersetzung fremder Werke ebenfalls nötige Hintergrundwissen wurde meistens überhaupt nicht vermittelt. Genau das braucht es aber: ein nicht nur instrumentales, sondern auch ein kulturelles Wissen."
Die europäische Kulturgeschichte kennt aber auch Übersetzer, die ihre Quellen bewusst nicht kenntlich machten. Der französische Humanist Michel de Montaigne, geboren 1533, gehört dazu. In seinem Hauptwerk, den "Essais", gab er seine Übersetzungen oft als solche nicht aus – und stürzte, so Jean Balsamo, Herausgeber der neuen französischen Montaigne-Ausgabe, seine Leser darüber in ein gewaltiges philologisches Verwirrspiel.
"Der interessanteste und auch der komplizierteste Aspekt von Montaignes Werk ist dessen große Heterogenität. Montaigne bediente sich der unterschiedlichsten Quellen, vor allem lateinischer und italienischer Autoren. Oft gab er diese Quellen nicht an. Er zitierte aus vorhanden Übersetzungen, ohne sie kenntlich zu machen. So ergeben sich Passagen, in die, ohne dass der Leser es bemerkt, drei, vier, fünf verschiedene Autoren eingehen. Er betrieb ein gewaltiges intertextuelles Spiel, in dem zwar auch er, Montaigne, mitmischt, aber auch andere Autoren, etwa Seneca und Cicero. So suchen seine Texte zwar Authentizität, pflegen aber auch die Imitation, die Imitation in Form einer Übersetzung mit Varianten, die seinen eigentlichen, seinen eigenen Stil bildet."
Doch den Übersetzer Montaigne trieb nicht die Lust am Spiel - sein Motiv war ein anderes, konstitutiv nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Kultur seiner Zeit.
Balsamo: "Er nennt seine Quellen aus zwei Gründen nicht: Erstens, weil er ein vornehmer Mensch, ein Edelmann war. Als solcher wollte er mit seiner Bildung nicht prahlen, das verbot ihm sein kultureller Stand. Vor allem aber lebte er in einer Zeit, die sich kulturell überwiegend noch über die Nachahmung der Antike konstituierte. Es gab damals, im 16. Jahrhundert, noch keine große eigene Tradition. Und über die klassischen Autoren entwarf er sich als Schriftsteller. Er griff Sätze und Sentenzen etwa Senecas auf. Und indem er sie neu kombinierte, schuf er nicht etwa Seneca – er schuf sich selbst: Montaigne."
Am Anfang war das Wort. Das gilt, zumindest partiell, auch noch in der Neuzeit. Immer noch schafft sich der Mensch, indem er sich ein Image zulegt. Und auch, wenn er dazu kaum mehr zu Seneca greift, die Strategie bleibt dieselbe: Er beruft sich auf Vorbilder, auf Texte, die ihm wichtig sind, ganz gleich, ob sie nun aus der eigenen Sprache oder einer fremden stammen. Und damit diese Texte ihn beeindrucken können, braucht es gute Übersetzer. Denn auch sie müssen den Leser fesseln, umgarnen, zumindest überzeugen. Insofern, so Christoph Strosetky, gründet auch das Übersetzerhandwerk zuletzt auf sprachlicher Strategie.
"Übersetzung heute, in einem Vortrag wurde gesagt: Rhetorik. Rhetorik ist eine Übung, die man machte, die Amplifikation, die Paraphrase von Texten, auch da geht man von einem Text aus, verändert ihn, so wie wenn man ihn übersetzte, und in beiden Fällen spielt die Rhetorik eine große Rolle. Sie müssen nämlich sowohl beim übersetzten Text als auch beim paraphrasierten Text überzeugen."
Der Übersetzer als Stratege, als Künstler, als Rhethoriker. Wäre er keiner, hätte er, zumindest als literarischer Übersetzer, den Beruf verfehlt. Den absoluten Sinn der Vorgabe wird er ohnehin nicht einfangen können – denn den gibt es ja nicht. So kann er mit dem Sinn oder besser Vielsinn des Werkes spielen. Und schöpft er das ästhetische Potential der eigenen Sprache aus, wird er den Leser ästhetisch verführen. Mehr braucht es im Grunde auch gar nicht. Denn was das Ganze soll, das denkt sich der Leser im Zweifel schon selber.
"Ich denke, wenn man wissen will, was Philologie heute ist, muss man immer sich überlegen, was die Geschichte der Philologie ist, was sie früher mal war. Und man muss dann unterscheiden, auf der einen Seite ist es eben die Beherrschung der Sprache, und auf der anderen Seite hat es viel zu tun mit dem Wissen. Und da muss man nun die Frage stellen, wie die Ideen heute in der Philologie platziert sind, wo man doch sehr häufig die Philologie doch einfach mit den Sprachfertigkeiten in Verbindung setzt. Und ich denke, man sollte nicht das Formale zum Primären machen, es war schon immer so in der Geschichte der Philologie, dass die Kunde, der Gegenstandsbereich etwa des Altertums oder der fremden Kultur - Spanien, Frankreich -, dass das im Mittelpunkt stand und nicht etwa das Übersetzen. Das Übersetzen war Mittel zum Zweck, und wenn man nun das Übersetzen zum Zweck macht, dann muss man sich überlegen, ob nicht etwas ganz Wichtiges, Kostbares wegfällt."
Die Idee als Zentrum der Philologie. Nicht zufällig entwickelte sich die moderne Philologie aus der Bibel-Exegese, der Disziplin, in der es wie in keiner anderen auf den Geist des Buchstabens ankam. Auch im Humanismus kam es in der Auseinandersetzung mit den antiken Schriftstellern darauf an, den Wortsinn exakt zu erfassen. Heute hingegen, im Zeitalter des Kulturrelativismus, haben wir kaum mehr Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass man die Welt auf ganz verschiedene Weise sehen kann. Insofern haben die Übersetzer große Aufgaben vor sich - werden die aber, so der Hispanist und Literaturwissenschaftler Dietrich Briesemeister, wohl nie restlos befriedigend abschließen können.
"Heute stehen wir in einer großen Auseinandersetzung über die Bedeutung des ‚Kulturtransfers’, wie man dem entsprechenden Fremdwort davon redet, wobei sehr viel mehr als die sprachliche Übersetzung oder Umsetzung gemeint ist, und in diesem Sinn hat ja auch die Übersetzung eine große Zukunft – wenngleich wir, wenn wir im Blick auf die Frankfurter Buchmesse schauen, auch die begrenzten Möglichkeiten der Verbreitung von Übersetzungen, literarischen Übersetzungen zugeben müssen."
Man kann die Geschichte der Übersetzung auch als Verfallsgeschichte erzählen. Das hängt mit den Rhythmen des modernen Buchmarkts zusammen: Die einzelnen Titel bleiben immer kürzer in den Regalen stehen, werden meist nach ein paar Monaten schon durch neue ersetzt. Da müssen Übersetzer sich beeilen, können auf Feinheiten und Nuancen oft kaum achten - und sind darauf, so der in Alicante lehrende Philologe Miguel Angel Vega Cernudo, auch kaum mehr vorbereitet.
"Seit den 1970er Jahren mussten wir uns in Spanien auf den Eintritt in die Europäische Union vorbereiten. Und das hieß auch, dass die ersten größeren Übersetzerstudien begründet wurden. Sie waren von Anfang an sehr pragmatisch, auf ökonomischen Erfolg ausgerichtet. Denn die Übersetzungen mussten schnell geleistet werden, und so erfreulich das einerseits auch war, so sehr litten die Arbeiten doch darunter, dass sie sehr oft ohne das entsprechende kulturelle Hintergrundwissen erstellt wurden. Das für die Übersetzung fremder Werke ebenfalls nötige Hintergrundwissen wurde meistens überhaupt nicht vermittelt. Genau das braucht es aber: ein nicht nur instrumentales, sondern auch ein kulturelles Wissen."
Die europäische Kulturgeschichte kennt aber auch Übersetzer, die ihre Quellen bewusst nicht kenntlich machten. Der französische Humanist Michel de Montaigne, geboren 1533, gehört dazu. In seinem Hauptwerk, den "Essais", gab er seine Übersetzungen oft als solche nicht aus – und stürzte, so Jean Balsamo, Herausgeber der neuen französischen Montaigne-Ausgabe, seine Leser darüber in ein gewaltiges philologisches Verwirrspiel.
"Der interessanteste und auch der komplizierteste Aspekt von Montaignes Werk ist dessen große Heterogenität. Montaigne bediente sich der unterschiedlichsten Quellen, vor allem lateinischer und italienischer Autoren. Oft gab er diese Quellen nicht an. Er zitierte aus vorhanden Übersetzungen, ohne sie kenntlich zu machen. So ergeben sich Passagen, in die, ohne dass der Leser es bemerkt, drei, vier, fünf verschiedene Autoren eingehen. Er betrieb ein gewaltiges intertextuelles Spiel, in dem zwar auch er, Montaigne, mitmischt, aber auch andere Autoren, etwa Seneca und Cicero. So suchen seine Texte zwar Authentizität, pflegen aber auch die Imitation, die Imitation in Form einer Übersetzung mit Varianten, die seinen eigentlichen, seinen eigenen Stil bildet."
Doch den Übersetzer Montaigne trieb nicht die Lust am Spiel - sein Motiv war ein anderes, konstitutiv nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Kultur seiner Zeit.
Balsamo: "Er nennt seine Quellen aus zwei Gründen nicht: Erstens, weil er ein vornehmer Mensch, ein Edelmann war. Als solcher wollte er mit seiner Bildung nicht prahlen, das verbot ihm sein kultureller Stand. Vor allem aber lebte er in einer Zeit, die sich kulturell überwiegend noch über die Nachahmung der Antike konstituierte. Es gab damals, im 16. Jahrhundert, noch keine große eigene Tradition. Und über die klassischen Autoren entwarf er sich als Schriftsteller. Er griff Sätze und Sentenzen etwa Senecas auf. Und indem er sie neu kombinierte, schuf er nicht etwa Seneca – er schuf sich selbst: Montaigne."
Am Anfang war das Wort. Das gilt, zumindest partiell, auch noch in der Neuzeit. Immer noch schafft sich der Mensch, indem er sich ein Image zulegt. Und auch, wenn er dazu kaum mehr zu Seneca greift, die Strategie bleibt dieselbe: Er beruft sich auf Vorbilder, auf Texte, die ihm wichtig sind, ganz gleich, ob sie nun aus der eigenen Sprache oder einer fremden stammen. Und damit diese Texte ihn beeindrucken können, braucht es gute Übersetzer. Denn auch sie müssen den Leser fesseln, umgarnen, zumindest überzeugen. Insofern, so Christoph Strosetky, gründet auch das Übersetzerhandwerk zuletzt auf sprachlicher Strategie.
"Übersetzung heute, in einem Vortrag wurde gesagt: Rhetorik. Rhetorik ist eine Übung, die man machte, die Amplifikation, die Paraphrase von Texten, auch da geht man von einem Text aus, verändert ihn, so wie wenn man ihn übersetzte, und in beiden Fällen spielt die Rhetorik eine große Rolle. Sie müssen nämlich sowohl beim übersetzten Text als auch beim paraphrasierten Text überzeugen."
Der Übersetzer als Stratege, als Künstler, als Rhethoriker. Wäre er keiner, hätte er, zumindest als literarischer Übersetzer, den Beruf verfehlt. Den absoluten Sinn der Vorgabe wird er ohnehin nicht einfangen können – denn den gibt es ja nicht. So kann er mit dem Sinn oder besser Vielsinn des Werkes spielen. Und schöpft er das ästhetische Potential der eigenen Sprache aus, wird er den Leser ästhetisch verführen. Mehr braucht es im Grunde auch gar nicht. Denn was das Ganze soll, das denkt sich der Leser im Zweifel schon selber.