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Die eigene Vergänglichkeit im Fokus

Erinnerung, Vergänglichkeit, Tod – das sind die zentralen Themen von Christian Boltanski. Auch in der Ausstellung "Bewegt" in Wolfsburg, für die der französische Künstler eigens eine raumreifende Installation geschaffen hat, stehen sie im Mittelpunkt.

Von Rainer B. Schossig |
    Erinnerung, Vergänglichkeit, Tod – das sind die Themen Christian Boltanskis. Der 1944 in Paris geborene Künstler ist seit Jahrzehnten international bekannt als Sucher auf den Spuren menschlicher Existenz und gesellschaftlicher Formationen, Kunst gegen das Vergessen und Vergessen-Werden.

    Jetzt hat er speziell für die Halle des Wolfsburger Kunstmuseums eine große Installation entwickelt. Allerdings glänzte das Wolfsburger Museum in den letzten Jahren bereits mit eindrucksvollen Hallen-Ausstellungen: Etwa Olafur Eliassons "Lighthouse", Douglas Gordons poetisches "Between Darkness and Light" oder James Turrells Sinnenbetörendes "Wolfsburg Project" 2009. Womit hält Boltanski dagegen’

    Er hat an die 200 überlebensgroße, diaphane Portraits in mehreren Etagen übereinander in den hohen Raum gehängt. Geht der Blick schräg nach oben, überlagern und verdecken sich diese Fahnen mit anonymen Menschenbildern. Nur einer der Abgebildeten lebt noch: Boltanski selbst hat sich unter die Gestorbenen gemischt. Der nicht mehr ganz junge Künstler beschäftigt sich in den letzten Jahren mehr und mehr mit der Vergänglichkeit des eigenen Lebens. Freilich ist die Wolfsburger Ausstellung eine eher unbefriedigende Zwischenbilanz.

    Die Motive der Bilderfahnen sind einem Werk Boltanskis entnommen, welches das Museum besitzt: eines der großen Archiv-Bilder aus dem Jahre 1994. Es verschmilzt 1200 Porträt-Fotografien aus drei Jahrzehnten zu einem düsteren Kompendium, Männer und Frauen, Alte und Junge, Opfer und Täter, Alltag und Feiertage, Liebe, Arbeit, Freizeit und Militär. Diese Installation ist zweiter Bestandteil der Schau. In ihrer klaustrophobischen Dichte sind die nur schwach ausgeleuchteten Bilder aus Fotoalben und Archiven ungleich wuchtiger als ihre ausgedünnten Blow Ups, die wie ein lauer Aufguss der Originale wirken. Um das Unglück voll zu machen, hat Boltanski irgendwelche Ingenieure gebeten, die Bildfahnen mit aufwendiger Takelage an kleinen Laufkatzen unter der Glasdecke der Halle hin- und her zu bewegen, wie Wäsche auf der Leine. Leider handelt es sich aber nicht um echte Tücher, sondern um industrielle Textilien, die starr und leblos bleiben. Das Brummen der Mechanik ist desillusionierend, die Bewegung wird banal, die Bilder verlieren den Rest ihres Geheimnisses.

    Um die beiden zentralen Arbeiten der Ausstellung gruppieren sich wenige, eher ephemere und enttäuschende Stücke: Ein leerer Raum ist von lauten Herztönen erfüllt. Nebenan überblendet eine Diaprojektion Porträtaufnahmen des Künstlers in unterschiedlichen Altersstufen. Ein digitales Zahlenlaufwerk misst die Sekunden der bisherigen Lebenszeit Boltanskis; die Information, dass es bei seinem Tod stehen bleiben werde, verleiht dem Objekt auch keine Aura. Bleibt der schmale Japangarten im Hinterhof des Kunstmuseums, der 2007 eröffnete wurde; auch er ist nun Teil der Ausstellung. Boltanski hatte dort Stäbe mit kleinen buddhistischen Wind-Glöckchen verteilt, die leise, wie verloren klingeln.

    Angeblich will diese Ausstellung nach dem Leben ebenso wie nach dem Tod fragen. Antwort gibt Christian Boltanski nicht. Er hat einmal gesagt: Der Mensch stirbt zwei Tode: einmal den physischen, dann den immateriellen Tod, wenn auch das Bild und die Erinnerung an das Individuum verblassen. Mit der Wolfsburger Ausstellung hat er immerhin einen Teil seiner Prophezeiung verwirklicht. Der ärgerliche Minimalismus, mit dem er sich in Wolfsburg in Szene setzt, fällt seinem großen Oeuvre in den Rücken.