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"Die eine und die andere!

Mich konntest du nicht. Deshalb hängst du an mir Deshalb sitzt du heute wieder hier. Weil du mich damals nicht zerstören konntest. Das lässt dir keine Ruhe. Das wird dir keine Ruhe lassen bis zum Schluss.

Von Sven Ricklefs |
    Sie gehen aufeinander los, die eine und die andere, noch einmal gehen sie aufeinander los: die gechasste Kulturjournalistin und die gescheiterte Pensionswirtin in der Unwirtlichkeit des Oderbruchs. Und mit diesem Aufeinander los tun sie das, was sie schon zweimal in ihrem Leben getan haben, sie verletzen sich, reißen sich Wunden und reißen sich dabei letztlich um eine Beute, die jedes Mal ein anderer Mann ist. Mit 24 taten sie dies und mit 30, jetzt sind sie 60: und was damals passierte, passiert jetzt wieder: die andere wird der einen diesen Mann ausspannen, diesen Mann von dem man nur einmal den nackten Hintern sieht.

    Nachdem du deine Spiele verloren hast und ich alle meine Spiele verloren habe, bleiben nur wir beide übrig für eine letzte Partie.

    Das wirkt wie ein Dreiecksverhältnis, bei dem der patriachale Mittelpunkt durch Abwesenheit glänzt, das kommt daher wie ein letztes Endspiel zweier altgewordenener Hyänen, die ihre Selbstvergewisserung unmittelbar aus der Existenz der anderen ziehen, bloß: dieses Endspiel wird kein Ende haben. Es ist als hätten die beiden ihren Dialog schon viele Male durchgespielt und so können sie, wenn sie wollen, sich fragen: Unterbrechen wir?, um frisch erneut das Spiel zu eröffnen, das als Konflikt eine Schlaufe an die andere heftet. Und: trennen werden sich diese beiden biestigen Bestien nun nie mehr.

    Wie so oft bei Botho Strauß bietet sich auch das neue Stück zunächst als eine Art Intellektuellenboulevard an. Dabei finden sich bei dieser Uraufführung zwei Münchner Heroinen auf dem Laufsteg der gegenseitigen Erniedrigung, zwei Schauspielerinnen, die sich in Virtuosität und Manierismus in nichts nachstehen: und so dürfen Cornelia Froeboess und Gisela Stein nach allen Regeln der Regie-Kunst von Dieter Dorn Krallen zeigen und tun dies auch mit sichtbarem Genuss.

    Jede von uns beiden wird versuchen, die andere zu erledigen, bevor die eigenen Kräfte sie verlassen.

    Doch hieße Botho Strauß nicht Bothos Strauß würde das Stück auf dem Niveau einer Zimmerschlacht zweier verblühter Durchschnittsgescheiterter in der depressiven deutschen Stillstandsatmosphäre unserer Gegenwart verbleiben. /Als Kontrast zur nur noch um sich selbst kreisenden eigenen Generation der 60jährigen schickt Strauß zwei Endzwanziger auf die Bühne. Die Tochter der einen und der Sohn der anderen haben den gleichen Vater haben. Sie umkreisen sich in halbinzestuöser Weise, ohne dass sie wirklich zueinander können oder wirklich wollen. Dabei zeichnet Strauß das Bild einer Verlorenheit, die gar nicht mehr zuläßt, im Gefühlssumpf jener Paare zu versinken, die bisher bei diesem Autor auf der Suche nach dem jeweiligen Gegenüber nur auf Passanten trafen. Nein, diese hier wissen gar nicht mehr, was sie suchen oder wogegen sie sich abgrenzen sollen, kaum noch wissen sie, wie ihnen geschieht und können höchstens von sich sagen: ich bin eine unzerstörbare Puppe.

    Sieh ihn dir an, er hat Blut im Blick.

    Er kann nichts dafür. Ein ganz weicher Junge. Aber einer mit kaputtem Raumgefühl. Wenn du ihm zu nahe kommst, würgt er dich, einfach weil es ihm zu eng wird.

    Es ist dieses kaputte Raumgefühl, das in München Juliane Köhler und Jens Harzer in einer fast könnte man sagen unbeholfenen Anmut vermitteln, ein kaputtes Raumgefühl, das sich als seismographischer Eindruck aus diesem Stück heraustragen lässt.

    Und es ist dieser Eindruck, der ebenso leise daherkommt wie er eindeutig den keifenden Biesterkrieg der Mütter aus dem Zentrum zum Rand drängt. Dabei spannt Autor Strauß wieder einmal seinen vollen Bildungshorizont auf, der ihn ebenso zeitgerecht wie manchmal auch verkopft daherkommen lässt und der den Mythos und die Metaphysik ebenso einbezieht wie etwa Visionen der Gen- oder Nanotechnik. Dass dabei das Stück immer geerdet bleibt, ist sicherlich der Inszenierung von Dieter Dorn zu verdanken, der sich einmal mehr als textgenauer Arrangeur und Verwalter eines Strauß Stücks zeigt und zugleich auch als Garant dafür, dass Botho Strauß' theatrale Neuheiten noch immer zum Ereignis werden.