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Die einzig Wahre

Die Liebe war schon immer ihr Verhängnis. Ob Eugen Henderson aus "Der Regenkönig", Moses Herzog aus dem Roman "Herzog" oder Benn Crader aus "Mehr noch sterben an gebrochnem Herzen": die Helden der Romane Saul Bellows hatten kein Glück mit den Frauen.

Denis Scheck |
    Seit er Mitte der 40er Jahre zu schreiben begann, sind seine Liebesgeschichten eher Katastrophenschilderungen, Protokolle unerwiderter Leidenschaften, Berichte von Schlachten ohne Sieger. Veteranen im Liebeskampf sind alle von Bellows Romanhelden. Sie haben "keine Schmerzen", wie Henderson in "Der Regenkönig" einmal sagt, "nur Seelenqualen". In ihrem Inneren klagt eine Stimme, die sich trotz allen Ablenkungen der Außenwelt immer wieder Gehör verschafft. "Ich darbe, ich darbe, ich darbe!" sagt diese altertümelnde Stimme, und um sie - wenigstens zeitweilig - zum Verstummen zu bringen, mußten Bellows Figuren weite Reisen unternehmen, ins tiefste Herz Afrikas vordringen wie Henderson oder bis in die Antarktis wie Benn Crader, der Botaniker mit dem gebrochenen Herzen, dem selbst dies noch nicht weit genug war, um sich von seinen Liebesblessuren zu kurieren.

    Im letzten seiner großen Romane, 1989 erschienen unter dem programmatischen Titel "Mehr noch sterben an gebrochnem Herzen", stellte Bellow denn auch die überfällige Frage: "Wenn man von der Liebe so dezimiert wird und überall ihre Verheerungen sieht, warum nicht vernünftig sein und frühzeitig aussteigen?"

    Zehn Jahre später gibt Saul Bellow Antwort auf diese Frage. Romane schreibt er mittlerweile keine mehr. Bellow konzentriert sich auf die entschlackte Form der Novelle, jenes Genre, das nach deutschem Verständnis auf die Schilderung einer "unerhörten Begebenheit” hinausläuft. In "Ein Diebstahl” und "Bellarosa Connection” hatte Bellow unter Beweis gestellt, daß er, dessen Stärke nie in makellos aufgehenden Plots, im kunstvollen Schürzen aller Handlungsfäden lag, inzwischen knapp und ökonomisch wie nie zu schreiben versteht. Die Erwartung an seine neue Novelle "Die einzig Wahre" darf also hoch gespannt sein.

    Der 83jährige Saul Bellow erzählt eine Liebesgeschichte, ebenso absurd in ihren Prämissen wie genial in ihrer Konstruktion. Harry Trellman, Held und Ich-Erzähler der Novelle, wollte sich auf das Spiel mit den leidbringenden Leidenschaften gar nicht erst einlassen. Er hat die Verheerungen der Liebe gesehen und war so vernünftig, frühzeitig auszusteigen. Er hat im Laufe seines über sechzigjährigen Lebens keinen einzigen Fehler gemacht außer dem einen: nicht um seine erste Liebe zu kämpfen, die einzige Frau, die er je begehrte.

    Der Preis für Trellmans Enthaltsamkeit ist hoch. Mehr und mehr fühlt er sich mit zunehmendem Alter von der wirklichen Welt entfremdet. "Für die Mehrzahl meiner Mitmenschen", überlegt sich Bellows zugeknöpfter Held, "saß mir das Messer meistens sehr locker."

    Aus dem "erstklassigen Beobachter" droht so ein Misanthrop zu werden, ja schlimmer noch, ein bloßer Voyeur, ein Vampir, der sich an den Liebesqualen seiner Mitwelt weidet. Trellman weiß um die Gefahr, in der er schwebt, und er weiß auch um die Wurzel allen Übels - seine erste Liebe: "Sie befällt dich mit siebzehn, und wie Kinderlähmung kann sie dich, wiewohl sie im Herzen und nicht im Rückenmark wirkt, zum Krüppel machen."

    Spät, doch nicht zu spät, entschließt sich Bellows Held, seiner Liebe für die seit dem zwölften Lebensjahr von fern angehimmelte Amy nachzugeben. Aus der Mitschülerin von einst ist inzwischen eine zweimal geschiedene Mittelstandsmatrone geworden, doch nicht für Harry Trellman: "Andere Frauen waren Schemen", gesteht er sich ein. "Sie, und nur sie, war real."

    Eingebettet hat Saul Bellow seine Geschichte von Romeo und Julia im Rentenalter in eine Handlung, die zwischen Traualtar und Grabesrand im heutigen Chicago spielt, jener gehaßten, geliebten Heimatstadt Bellows, in der er in den zwanziger Jahren aufwuchs und die der Schauplatz der allermeisten seiner Romane ist. Und natürlich wimmelt auch das jüngste Werk des Ironikers Bellow von zeitkritischen Seitenhieben auf all das, was in Clintons Amerika schiefläuft. Seine Charaktere sind immer auch Typen, die für mehr als ein individuelles Schicksal stehen: sie alle sind "ganz durchschnittliche Leute", doch ihnen fehlt just das, was Bellow schon immer eingeklagt hat: "die edleren Motive". So beschreibt er denn in seiner neuen Novelle den Tanz ums goldene Kalb, und daß es ein Totentanz ist, liegt nicht nur am vorgerückten Alter des Autors. Die Zeitdiagnosen Bellows sind schon seit Jahren immer galliger ausgefallen, der Blick auf seine Figuren immer mitleidsloser - zum Gewinn seiner Leser: "Sie waren mittelmäßige Produkte unserer Massendemokratie", heißt es da an einer Stelle, sie "vermochten keinen besonderen Beitrag zur Geschichte der Menschheit zu leisten und gaben sich damit zufrieden, Geld anzuhäufen oder Frauen zu verführen, zu kopulieren als die degenerierten Kinder des Eros ..."

    Sein neues Buch werde "von Menschen, Liebe, Wahnsinn und all den anderen Dingen handeln, die uns so vertraut sind", hatte Bellow 1996 angekündigt. Der Nobelpreisträger hat Wort gehalten.