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Die Eisenbahnen

Langsam setzt sich der Thalys in Bewegung. Die Signalglocke macht den Zugführer darauf aufmerksam, dass er grüne Fahrt hat. Der Führerstand in der spitz zulaufenden Nase des Zuges ist gerade groß genug für die Instrumentenkonsole und einen bequemen Schwingsessel. Von hier aus dirigiert Helmut Mund das rostrote Kraftpaket. Bis zu 12.000 PS kann er mit einem kleinen Steuerhebel freisetzen und den 200 Meter langen Zug auf 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen.

Michael Fischer |
    So schnell darf der französisch-belgische Hochgeschwindigkeitszug zur Zeit aber nur zwischen Paris und Brüssel fahren. Zwischen Brüssel und Köln hingegen sind - wegen dem schlechten Zustand der Schienen - maximal 140 Kilometer pro Stunde erlaubt. Doch schon in wenigen Jahren soll er auch dort aufdrehen dürfen. Das besondere am Thalys ist aber nicht die Geschwindigkeit allein, sagt Lokführer Helmut Mund aus Köln:

    "Wenn Sie sich hier umsehen, dann werden Sie sehen, wir haben unheimlich viele Leuchtmelder hier drauf, das hat was damit zu tun, dass wir fünf verschiedene Zugsicherungssysteme hier einbauen mussten, um grenzüberschreitend fahren zu können. D.h. wir haben zwei deutsche System drauf, Imdusi und LZB, wir haben ATB für Holland und die TBL für Belgien, wir haben das französische System KWB und wir haben das französische TWM-System, um Hochgeschwindigkeit zu fahren. D.h. die ganzen fünf Systeme mussten hier drauf untergebracht werden, das war von der Technik her eine enorme Leistung. Und dann musste der Zug angepasst werden an die verschiedenen Stromsysteme, d.h. der Zug kann vier verschiedene Stromsysteme verarbeiten, bringt unter den einzelnen Systemen zwar unterschiedliche Leistungen, kann aber überall schnell genug fahren: In Frankreich 300, in Deutschland ist er für 250 zugelassen, die Holländer haben noch gar keine Hochgeschwindigkeitsstrecke, Belgien fährt ja auch schon 300 hinter Brüssel und in Zukunft wollen wir ja auch zwischen Köln und Brüssel 250-280 oder sogar 300 fahren, je nach Ausbauzustand."

    Erstaunlich! Es gibt inzwischen zwar mit dem Euro eine europäische Währung, aber kein europäisches Eisenbahnsystem. Der Thalys ist zur Zeit der einzige Zug, der immerhin in vier Ländern - Deutschland, Frankreich, Belgien und Holland - fahren kann. Bei den meisten anderen Zügen müssen an den Grenzen zumindest die Lokomotiven und die Lokführer gewechselt werden. Zwischen Frankreich und Spanien werden sogar die Achsen ausgetauscht, oder der gesamte Zug wird umgeladen, weil die spanischen Gleise breiter sind.

    Andere Länder, andere Sitten - das gilt auch bei der Bahn, sagt Helmut Mund. Demnächst werden immerhin belgische Lokführer bis nach Köln kommen können. Deutsche Lokführer dürfen heute schon mit dem Thalys bis nach Belgien und bald auch nach Paris fahren.

    Helmut Mund: "Der Lokführer fängt ganz normal in Köln an, und bis Aachen fährt er halt auf dem deutschen System und anschließend findet der Systemwechsel statt im Bahnhof Aachen. Und dann fährt der Lokführer drei Minuten später weiter unter belgischem System und muss dann natürlich auch im Kopf umdenken. Andere Signale, wir fahren nicht mehr rechts, wir fahren dann links auf dem Gleis im Gegensatz zu Deutschland. Andere Vorschriften, andere Geschwindigkeiten, andere Fahrplanunterlagen, andere Signale, anderes Zugsicherungssystem. Und wir haben natürlich als größtes Problem die Sprache, dass wir, wenn wir jetzt über Funk irgendwelche Gespräche führen müssen, das dann auch in Französisch verstehen müssen. Wobei Funkgespräche schon als solche schwierig zu verstehen sind oft durch die Verbindung. Kommt dann natürlich die Sprache noch erschwerend hinzu."

    Die Eisenbahnen - einst Sinnbild internationaler Vernetzung - sind heute das Schlusslicht im europäischen Einigungsprozess. Unterschiedliche Spurbreiten, Stromspannungen und Sicherheitssysteme führen dazu, dass der grenzübergreifende Verkehr auf der Schiene hoffnungslos der Konkurrenz auf der Straße hinterherhinkt. Während Autofahrer und LKW-Lenker selbstredend deutschen, französischen, italienischen oder spanischen Asphalt unter die Räder nehmen können, sind die Bahnnetze trotz durchlaufender Schienenstränge technisch und administrativ voneinander abgeschottet.

    Auf die Straße übersetzt, würde das bedeuten, dass Autoreisende, bevor sie die Grenze beispielsweise zwischen Deutschland und Belgien überqueren können, die Reifen, das Fahrtenbuch und den Fahrer wechseln müssten, weil der keine belgische Fahrerlaubnis hat.

    Für die Züge bedeutet der Systemwechsel an der Grenze, dass sie Zeit verlieren - im Fall der Güterzüge Stunden und manchmal sogar Tage. Der grenzüberschreitende Güterverkehr erreicht deswegen gerade mal eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 16 Kilometer pro Stunde. Die Konkurrenz, die LKWs, sind mit 50 Kilometern immerhin drei Mal so schnell.

    Kein Wunder also, dass die Bedeutung der Bahn immer weiter zurückgeht. Seit 1970 hat sich der Anteil der Eisenbahn am Gütertransport von 32 auf 14 Prozent, der Anteil am Personentransport sogar von 10 auf 6 Prozent reduziert.

    Gleichzeitig explodiert der Verkehr auf den europäischen Straßen. Umweltverschmutzung, Lärmschädigung, endlose Staus sind die Folge. Als Ausweg aus der Misere propagieren die EU-Verkehrspolitiker die Liberalisierung der europäischen Bahnen.

    Diese Politik allerdings stößt auf heftigen Widerstand bei den Eisenbahnergewerkschaften vor allem in Frankreich, Belgien und Luxemburg, aber auch in Spanien und Italien. Schuld an der Verkehrsmisere seien nicht die Eisenbahnen, sondern der Rat der 15 EU-Verkehrsminister in Brüssel. Die Politiker hätten zu lange auf die Straße gesetzt, kritisiert der Präsident des Europäischen Verbands für Verkehr und Umwelt, Matthias Zimmermann:

    "Es ist natürlich nicht alles optimal bei den Eisenbahnen. Aber eigentlich würde ich nicht von einer Misere bei den Eisenbahnen reden, sondern von einer europäischen Verkehrsmisere, weil die Politik hat nicht den Mut, sich endlich zu den umweltfreundlicheren und effizienteren Verkehrsmitteln zu bekennen und nun eben zu investieren in die Bahn, damit sie effizienter wird, damit die Grenzübergänge besser funktionieren, dass die Technik vereinheitlicht wird, dass sie kundennäher ist, dass sie flexibler ist. Und jetzt wehren sich die Eisenbahner, weil man jetzt auf der Schiene mehr Wettbewerb machen will, statt dass man sich im Wettbewerb Schiene-Straße endlich entscheidet."

    Immerhin soll bis zum Jahr 2015 das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz der Eisenbahn auf 29.000 Kilometer ausgebaut sein. Eine Rennbahn zwischen Lissabon und Warschau, Rom und London ist im Entstehen. Sie vernetzt Europa noch enger. Das Projekt Paris-Brüssel-Köln mit Anschlüssen nach Amsterdam, Frankfurt und durch den Kanaltunnel nach London ist dabei die Keimzelle, die schon jetzt fünf Länder eng miteinander verbindet.

    Europaweit haben die Schnellzüge großen Zulauf. Sie spielen aber im Vergleich zum normalen Personenverkehr und vor allem zum Güterverkehr auf der Schiene eine nur untergeordnete Rolle. Beim ökonomisch wesentlich wichtigeren Geschäft des grenzüber-greifenden Gütertransports herrsche dagegen noch tiefstes Mittelalter, kritisiert Jürgen Schäfer von der Deutschen Bahn AG. Ein Kunde, der zum Beispiel ein Zugladung voller Güter von Hannover nach Madrid anmelden möchte, habe noch viele bürokratische Hürden zu überstehen:

    Jürgen Schäfer: "Bis zur Grenze kann ich ihm wunderbar eine Antwort geben und fahren. Nur: Ab der Grenze kommt der französische Kollege und ich muss in Frankreich den Netzkollegen anrufen und fragen: Kann ich durch. Und nach dortigen Gesetzen gibt es 100 Gründe, mir zu sagen, warum ich nicht durchfahren kann. Der einfachste Grund ist der, dass die Trasse nicht frei ist, dass einfach kein Platz da ist. Ein anderer Grund kann der sein, dass mein rollendes Material nicht dafür geeignet ist, dass die dortigen Tunnels zu klein sind oder dass meine Lokomotive nicht ausgerüstet ist dafür, weil das Stromsystem ist und der Stromabnehmer nicht hoch genug oder nicht breit genug ist. Also hier gibt es viele verschiedene Gründe."

    Um den Gütertransport auf der Schiene zu beschleunigen, wollen die EU-Kommission und die Mehrheit der EU-Verkehrsminister die meist noch staatlichen Eisenbahnmonopole liberalisieren. Dazu sollen die nationalen Eisenbahnunternehmen - nach deutschem und britischem Vorbild - aufgeteilt und privatisiert werden. Vor allem aber soll das Schienenmonopol der nationalen Bahnen aufgebrochen und die Konkurrenz der Eisenbahnbetreiber gefördert werden, sagt der Eisenbahn-Experte in der EU-Kommission, Gert Koopman:

    "Was wir vorgeschlagen haben, ist, dass im Bereich des Güterverkehrs wir eine schrittweise Öffnung des Marktes machen. Dort glaub ich, dass wir jetzt 12 Mitgliedstaaten haben, die diese Position unterstützen. Es gibt noch eine kleine Reserve, weil Frankreich, Belgien und Luxemburg dagegen sind."

    Vorschriften zur Modernisierung und zum leichteren Zugang von privaten Unternehmen zum Bahngütertransport wurden zwar bereits 1991 festgelegt. Mit der Praxis hapert es jedoch. Deswegen hat die EU-Kommission Richtlinien vorgeschlagen, mit denen der Prozess der Modernisierung und Privatisierung beschleunigt werden soll. Die Regierungen Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs wehren sich jedoch vehement dagegen.

    Der finnische Verkehrsminister Heinonen will nun seine Amtszeit als Ratspräsident der EU-Verkehrsminister nutzen, um die Abschottungen der nationalen Eisenbahnnetze aufzuheben. Auch die neue EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio will eine "vorbehaltlose Privatisierung des Schienenverkehrs" durchsetzen. Nur so könne das große Transportaufkommen in Europa bewältigt werden.

    Die Interessensvertreter der Bahnbediensteten in Frankreich, Belgien und Spanien fürchten dagegen, dass dies zum weiteren Abbau von Arbeitsplätzen führen könne. Die Angst ist berechtigt: Von 1990 bis 95 ist der Personalstand bei den EU-Bahnen um 27 Prozent zurückgegangen, sagt Sabine Trier vom Europäischen Verband der Verkehrsgewerkschaften:

    "Es gibt eine Reihe von Beispielen, wo man sehen kann, dass durch die Liberalisierungspolitik Beschäftigung verloren gegangen ist, dass die Sozialstandards und Arbeitsbedingungen sich verschlechtert haben, dass neue kleine Unternehmen, die auf den Markt gekommen sind, dadurch zu höherer Wettbewerbsfähigkeit gelangt sind, dass sie einfach die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten erheblich runtergeschraubt haben. Das hat natürlich Auswirkungen auf die bestehenden Unternehmen, so dass eine ganze Spirale einsetzt."

    In der Europäischen Union wurden bei den Eisenbahnen in den letzten 15 bis 20 Jahren rund 500.000 Arbeitsplätze abgebaut. Allein in Deutschland waren es über 200.000. Lange vor der Neustrukturierung der Bahn, die 1994 beschlossen worden war, hatte also bereits der Rationalisierungsprozess begonnen. Gert Koopman aus dem Kabinett des EU-Verkehrskommissars hält deswegen auch das Argument der Gewerkschaften für falsch:

    "Wir haben 500.000 Arbeitsplätze verloren ohne Liberalisierung. Und es ist ganz klar, dass der Marktanteil immer kleiner wird ohne Revitalisierung. Auch in Frankreich gibt es jetzt 50 Prozent weniger Arbeitsplätze als vor 15 Jahren. Dieses Argument ist wirklich nicht ein gutes Argument. Ohne Modernisierung dieses Sektors gibt es überhaupt keine Arbeitsplätze in 10-15 Jahren in vielen Bereichen."

    Konkret schreibt die EU-Gesetzgebung vor, dass die Eisenbahnunternehmend ihre Gewinn- und Verlustrechnungen für den Infra-struktur- und den Dienstleistungsbereich getrennt erstellen müssen. Außerdem sollen in einem Zeitraum von 10 Jahren wenigstens 25 Prozent des Eisenbahngeschäfts von Dritten durchgeführt werden können.

    Diese Vorgaben sind von den 15 Mitgliedsländern sehr unter-schiedlich in ihre nationalen Gesetze umgesetzt worden. Einige Länder wie Deutschland sind darüber hinaus gegangen, andere wie Frankreich und Belgien haben nur das Minimum übernommen. Sie wehren sich gegen eine wirklich Trennung der Unternehmen, weil dies der Privatisierung Vorschub leisten und Dritten Zugang zu ihrem Netz verschaffen würde, sagt der Chef der belgischen Eisenbahnergewerkschaft Jean Louis Brasseur:

    Belgien ist ein kleines Land zwischen Frankreich und Deutschland. Deren Investitionskapazitäten sind im Vergleich zu den unsrigen riesig. Das heißt, bei einer Liberalisierung können die unsere Netze einfach übernehmen. Darüber machen wir uns keine Illusionen. Falls wir also einen kommerziellen Zugang zu unseren Netzen behalten wollen, brauchen wir Mittel, um uns zu verteidigen. Schließlich ist es heute schon so, dass die Deutschen ihre Züge bis nach Brüssel fahren lassen können, ohne eine Genehmigung einholen zu müssen. Das ist der Beginn der Konkurrenz. Um einen Krieg zu vermeiden, setzen wir auf Kooperation statt Liberalisierung und Konkurrenz.

    In Belgien nehmen die Auseinandersetzungen um das total veraltete Eisenbahnsystems dramatische Formen an. Immer wieder kommt es zu spontanen Streiks, Sabotageakten und Unfällen, die fast das gesamte Netz lahm legen. Weitreichende Verkehrsprobleme sind die Folge.

    Für Jean Louis Brasseur ist der Schuldige der belgische Staat, der nicht genügend in die Eisenbahn investiere. In dieser Situation werde auch nicht die angestrebte Privatisierung helfen. Der Gewerkschafter übersieht dabei allerdings, dass es die private Konkurrenz schon gibt.

    In Deutschland zum Beispiel rangeln neben der Deutschen Bahn bereits über 100 Eisenbahnunternehmen um Strecken, Fahrgäste und Subventionen. Meist sind es städtische oder regionale Verkehrsverbünde, die nicht mehr die Bahn, sondern private Firmen als Betreiber anheuern. Deutschlandweit liegt der Anteil der Neuen inzwischen bei fünf Prozent - Tendenz steigend. Was die Bahn zu Hause an Geschäft verliert, möchte sie gerne im Ausland wettmachen. Ihr Ziel: Deutsche Züge europaweit laufen zu lassen. Das erfordere allerdings eine weitere Liberalisierung, sagt Jürgen Schäfer von der Deutschen Bahn AG:

    "Es ist für uns von zentraler Bedeutung, den Zugang auf den Netzen der anderen europäischen Nachbarn zu ermöglichen. Das ist in einigen Ländern der Fall, aber nicht in allen. Und wichtige Länder wie zum Beispiel Frankreich, Belgien, Luxemburg verwehren uns diesen Zugang. Hier ist es wichtig, einheitlich zu liberalisieren."

    Offene Märkte gibt es schon in Skandinavien und den Niederlanden, vor allem aber in Großbritannien. Dort wurde das staatliche Monopolunternehmen British Rail in 25 verschiedene Eisenbahnunternehmen sowie sechs Firmen, die die Gleise und Bahnhöfe betreiben, aufgeteilt. Sabine Trier ist von der britischen Radikalkur nicht besonders begeistert:

    "Diese Privatisierungspolitik wurde sehr, sehr hart durchgeführt und hat eigentlich letztendlich bewiesen, dass all das, was man sich versprochen hat von einer privatisierten und liberalisierten Eisenbahn, nämlich mehr Kundennähe, durch Wettbewerb größeren Service, billigere Preise, dass all dies gar nicht in Erfüllung gegangen ist, sondern eigentlich genau das Gegenteil eingetreten ist für den Passagierverkehr, dass notwendige Investitionen nicht mehr durchgeführt wurden, dass das Angebot völlig unübersichtlich geworden ist, dass diese 25 Unternehmen nicht in der Lage sind, den Kunden wirklich einen Überblick zu verschaffen, was für Möglichkeiten bestehen."

    Besonders betroffen von der Reform waren die britischen Hersteller von Eisenbahnen, sagt Andrew Foster vom Verband der Europäischen Eisenbahnindustrien. Man müsse jedoch zwischen Personen- und Güterverkehr trennen. Letzterer entwickle sich in Großbritannien sehr erfolgreich, so dass jetzt auch die Eisenbahnproduzenten wieder gute Geschäfte machten.

    Andrew Foster: In der ersten Phase der Privatisierung gab es ein großes Loch. Für drei Jahre bekamen wir keine Aufträge. Das führte dazu, dass einer der Hersteller fast pleite gemacht hätte. Aber seit wieder neue Aufträge platziert werden, steigt auch die Beschäftigungsrate langsam wieder. Das sind jetzt aber hochqualifizierte Arbeitsplätze. Im Unterschied zu früher, als die britische Eisenbahn riesige Bestellungen bei einigen wenigen Herstellern machte, bestellen jetzt 25 verschiedene Eisenbahnunternehmen kleinere Mengen bei vielen Herstellern. Es ist also nicht mehr so, dass ein Unternehmen gewinnt, während das andere verliert und seine Fabrik schließen muss.

    Um die Eisenbahn konkurrenzfähig zu machen, will die EU-Kommission nicht nur die Eisenbahnunternehmen liberalisieren. Die EU-Verkehrsplaner schlagen außerdem vor, über höhere Steuern, Mautgebühren und Dieselpreise die billige LKW-Konkurrenz teurer zu machen.

    Alle Verkehrsteilnehmer, so fordert die Kommission in ihrem "Weißbuch für faire und effiziente Preise im Verkehr", sollen die Kosten übernehmen, die sie verursachen. Dazu gehören Luftverschmutzung, Lärmschäden, Grundwassergefährdung, Klimaauswirkungen, Flächen- und Rohstoffverbrauch.

    All diese Kosten sind beim Schienenverkehr wesentlich niedriger, u.a. weil der Reibungswiderstand auf der Schiene 10 Mal kleiner ist als auf der Straße. Solche fairen Konkurrenzbedingungen müssten aber auch die unterschiedlichen sozialen Standards der Verkehrsträger berücksichtigen, fordert Sabine Trier vom Europäischen Verband der Verkehrsgewerkschaften:

    "Ein sehr, sehr großes Problem liegt durchaus darin, dass der größere Vorteil der Straße auch ganz erheblich daraus besteht, dass die Sozialbedingungen der Straße wirklich absolut unakzeptabel sind, dass Güterverkehr günstig angeboten werden kann, weil die Arbeitszeiten der Fahrer - also 16 Stunden am Tag - durchaus normal sein können, und sehr, sehr häufig auch das Problem besteht, dass diese langen Arbeitszeiten notwendig sind, um überhaupt auf ein Gehalt zu kommen im Straßenbereich, das überhaupt eine Familie ernähren kann, während im Eisenbahn-Bereich die Arbeitsbedingungen schon akzeptabel sind."

    Das findet auch Lokführer Helmut Mund. Während der Thalys im Kölner Hauptbahnhof einfährt, zieht er Resümee. Eine Reform der Eisenbahn hält er für unverzichtbar, aber nur, wenn auch gleichzeitig faire Wettbewerbsbedingungen unter den verschiedenen Verkehrsträgern hergestellt werden. Weil dies aber nur zögerlich voran kommt, fürchtet er, dass sich die Reform zum Nachteil der Eisenbahn auswirken wird.

    Helmut Mund: "Ich denke, das ist auch die große Sorge in Frankreich. Die haben ja zum Teil da sich besser gewehrt als wir hier. Ist natürlich auf Dauer nicht haltbar. Wir müssen irgendwann, Europa ist ja nicht mehr groß, quer durch Europa in 7-8 Stunden in Zukunft, wenn es so weiter geht. Und dann muss eben auch da schon weiter denken. Aber die Wettbewerbschancen müssten an sich erst einmal gleichgestellt werden."