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Die Elbe-Flugzeugwerke "recyceln" Linienflieger

Die Flugbranche hat zu kämpfen: Hohe Treibstoffkosten und eine schwächelnde Weltwirtschaft lasten auf den Geschäften der Airlines, deren Zahl stetig abnimmt. Mit dem Geschäftsmodell, aus ausgedienten Linienfliegern - fast - neue Frachtmaschinen zu machen, versuchen es die Elbeflugzeugwerke aus Dresden.

Von Torsten Thierbach |
    Sanftmütig setzt der tonnenschwere Airbus aus Katar auf der Rollbahn des Dresdner Flughafens auf. Die Piloten lenken den pfeifenden Vogel am Passagierterminal vorbei, hinüber zu den Hangars der Elbeflugzeugwerke.

    15 Jahre lang transportierte der A-300 Passagiere rund um die Welt. Jetzt hat er das Ende seines normalen Flugzeuglebens erreicht. Statt aufs Altenteil wird er in Dresden in eine fast 20 Meter hohe Umrüstungshalle geschoben. Hier bekommt er ein zweites Leben und wird in 72 Tagen als leistungsfähige Frachtmaschine wiedergeboren. Und dort wo einst Passagiere saßen, werden später große - bis 45 Tonnen schwere - Container stehen.

    Seine Verwandlung vollzieht sich in vier Arbeitsschritten, oder Takte, wie sie hier sagen. Jeder einzelne dauert 18 Tage. Und das Ganze beginnt so:

    "Wir räumen das Flugzeug komplett aus. Alles kommt raus. Sitze, Verkleidungen, Cockpit. Die Maschine ist am Ende des Tages komplett leer."

    Christopher Profitlich, Pressechef der Elbeflugzeugwerke Dresden, steht mitten im Umrüstungshangar. Und noch ehe der Airbus aus Katar hinter Metallgerüsten und unzähligen Montageplattformen auszumachen ist, tauchen die Einzelteile seiner Inneneinrichtung auf. Aufgereiht unterhalb der Tragflächen: Sitze, Gepäckstaufächer, Handwaschbecken. Weiter oben: lose Kabel, geöffnete Klappen. Am Rumpf des A-300 fehlen Triebwerke und Räder. Und selbst der Arbeitsplatz der Piloten ist verschwunden:

    "Es gibt Systeme in einem Frachtflugzeug, die gibt es nicht in einem Passagierflugzeug. Zum Beispiel ein Feuerlöschsystem in den Frachträumen, gab es so vorher in der Form nicht. Es gibt ja auch einen neuen Frachtraum. Dafür muss ich elektronische Systeme einbauen. Das heißt, da muss ich entsprechende Veränderungen im Cockpit vornehmen. Deshalb bau ich‘s aus, modifiziere es."

    Beim Fliegen zählt jedes Gramm, so Profitlich. Deshalb bauen Techniker überflüssig gewordene Kabel und die Fenster aus, ersetzen die Öffnungen durch erheblich leichtere Blenden. Dennoch:

    "Das Flugzeug ist optimiert für den Transport von Menschen. Und Menschen sind, egal wie wir aussehen, immer klein und leicht, im Vergleich zu den Containern, die wir später transportieren. Wenn ich jetzt einen großen, schweren Container auf diese Struktur stelle, würde die Struktur das nicht aushalten. Deshalb verstärken wir die Struktur mit stärkeren Querträgern, stärkeren Spanten. Die wiegen natürlich mehr."

    Das heißt: wenn der A-300 den Hangar als Frachter verlässt, wird er 1,5 Tonnen schwerer sein als vorher in der Passagierversion. Im Moment aber ist er fast nur eine leere Hülle. Sein Innenraum: ein halbrunder, langgezogener, leerer Gang, der an einen hellen U-Bahnschacht erinnert.
    Jetzt geht es an die Substanz des Fliegers: dort, wo einst Businessclass-Passagiere untergebracht waren, schneiden Mechaniker ein riesiges Loch in die Außenhaut. Hier bekommt das 9 qm große Frachtladetor seinen Platz:

    "Das Tor wiegt allein 640 Kilo. Die hänge ich nicht an die bestehende Struktur dran. Das heißt, ich brauche einfach Elemente, die dieses schwere Tor aufnehmen können. Deswegen haben wir zwei Drittel raugeschnitten und die durch eine obere und untere Torrahmenschale ersetzt. Das sind diese hellgrünen Stellen, die Sie hier sehen. Da wird dann später das Frachtladetor eingehängt…"

    Das Ganze in Arbeitstakt 3, bei dem der Flieger auch sein Cockpit zurückbekommt. Außerdem wird das gesamte Frachtladesystem eingebaut.

    "Sie sehen ja die Lücke, das ist ja sozusagen das Frachttor. Und durch diese Lücke wird dann der Container mit Muskelkraft in das Flugzeug geschoben. Da wir hier eine Kugelmatte sein, mit sehr, sehr leichtgängigen Kugeln. Dann können sie den Containern händig in die richtige Position drehen und dann wird er hier den Gang entlang geschoben und dann arretiert."

    Jetzt, nach etwas mehr als 50 Tagen, hat der Airbus aus Katar seine Verwandlung vollzogen. Kaum etwas ist übrig von seinem Vorleben als Passagierjet. Allein im vergangenen Jahr ist das 11 Maschinen seines Typs so ergangen. Und die Elbeflugzeugwerke haben damit einen Jahresumsatz von 200 Mio. Euro erwirtschaftet.

    Doch auf die mehr als 1.000 Beschäftigten kommen große Veränderungen zu, so Profitlich. Der Grund: der Airbus A-300 wird seit 2007 nicht mehr gebaut. Immer weniger Exemplare sind im Einsatz.

    "Wir werden wahrscheinlich die letzte Umrüstung dieses Jahr sehen. Wir haben 2013. Und das nächste Flugzeugmuster, was wir umrüsten werden, ist die A330. Die werden wir ab 2016 umrüsten."

    Konkret: zwei Jahre müssen die Elbeflugzeugwerke ganz ohne Frachterumrüstung auskommen. Aber die Zeit ist schon jetzt verplant: die Dresdner werden u.a. einen Hangar für den deutlich größeren Airbus A-330 bauen und Wartungsaufgaben für einen Auftraggeber aus Singapur übernehmen. Und schließlich fertigt das Unternehmen Bodenplatten und kugelsichere Cockpittüren für Airbus, sein drittes Standbein. Genug Arbeit also auch ohne das eigentliche Kerngeschäft, das bei dem A-300 aus Katar jetzt abgeschlossen ist.

    Der Flieger hat im Arbeitsschritt 4 sämtliche Tests bestanden und seine Zulassung als Frachtflugzeug bekommen. Die Piloten aus den Emiraten sind in Dresden eingetroffen und haben den Airbus in ihren Besitz genommen. Jetzt ist er mit laufenden Triebwerken auf der Rollbahn zurück, startbereit für sein zweites - etwa 20 Jahre langes - Flugzeugleben. Und viele der Elbeflugzeugwerker stehen vor dem Umrüstungshangar, um seinen Abflug zu sehen:

    "Wenn unsere Mitarbeiter an den Maschinen arbeiten, 72 Arbeitstage, dann entsteht da einfach eine Beziehung zu so einem Flugzeug. Und wenn das dann abhebt und in den Wolken verschwindet, dann
    schaut man schon mal ein bisschen wehmütig hinterher… Das ist mit Sicherheit ein besonderer Moment."