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Die Entdeckung der Landschaft

In der schwäbischen Hauptstadt sind Meisterwerke der niederländischen Kunst zu sehen, Landschaften, in denen man versinken kann: Polder, Strände, Wald, gefrorene Seen, Flussläufe, weite Ebenen, manchmal sogar Gebirge. Hier ist nachzuvollziehen, wie im 16. und 17. Jahrhundert in der Malerei ein Wandel vonstatten ging: weg vom religiös überformten Motiv, hin zur sichtbaren Welt.

Von Christian Gampert |
    Man kann in diesen Landschaften versinken. Polder, Strände, Wald, gefrorene Seen, Flussläufe, weite Ebenen, manchmal sogar Gebirge - hier ist, in relativ großzügig gebauten, aber dennoch intimen Kabinetten, die langsame Wendung der Malerei vom religiös überformten Motiv zur sichtbaren Welt nachzuvollziehen. Das kundige Kuratorenteam um Elsbeth Wiemann will sehr Vieles nebeneinander erzählen, und seltsamerweise gelingt das auch: einerseits zeigt die Ausstellung, dass es - trotz der Spaltung der spanischen Niederlande Mitte des 16.Jahrhunderts in einen südlichen, katholischen, und einen calvinistischen, holländischen Teil - weiterhin eine gemeinsame Maltradition gab; nur war bei den katholischen Flamen, die für den Klerus weiterhin religiöse Themen malten, die Hinwendung zur Landschaft weniger ausgeprägt als bei den holländischen Protestanten, die wegen des Bilderverbots in den Kirchen sich Stilleben, Portrait, Genrebild und eben der Landschaft zuwandten und damit ein goldene Zeitalter auch der Malerei einläuteten.

    Zweitens belegt die Ausstellung maltechnisch die Entwicklung von der Weltlandschaft, die noch von göttlicher Ordnung erzählt und die am schönsten von dem ganz altmeisterlich arbeitenden Joachim Patinier repräsentiert wird, zur Überblicks- und dann Panoramalandschaft, die sich perspektivisch in die Weite öffnet. Zwar ist auch hier der Mensch immer noch klein, er geht unter in Gottes übermächtiger Natur, aber Gott ist eben nur noch indirekt vorhanden - und die technisch versierten Künstler konzentrieren sich auf die Evokation einer Stimmung, einer Atmosphäre, sie empfinden jedes Wolken-Detail eines nahenden Gewitters nach und jede Beleuchtungs-Feinheit eines Sonnenuntergangs im Wald.

    Und trotzdem sind die einzelnen kompositorischen Haltungen, die hier dargeboten werden und die Entwicklung vom typisierenden Manierismus zum Realismus repräsentieren, in sich abgeschlossene Weltauffassungen - und man weiß nicht, ob man die bläulich schimmernden, vom Vorder- bis zum Hintergrund die Szene naiv, lupenhaft präzis zeigenden biblischen Arbeiten des "Meisters der weiblichen Halbfiguren" (aus der Mitte des 16.Jahrhunderts) nicht doch den großen Panoramen des Jan van Goyen, Philips Koninck oder Jacob von Ruisdal gleichstellen sollte, die ein Jahrhundert später den fahlen Himmel weit aufziehen über einer endlosen Fläche und uns erzählen, dass dieses Land dem Meer abgerungen wurde und nun im Dunst brütet.

    Öl auf Holz, so malte van Ruisdal. Manchmal winkt noch ein abgestorbener Baum als Vanitas-Motiv, und drohend geht der Mond unter bei Adriaen Brouwer, aber die Hinwendung zur Wirklichkeit ist im 17.Jahrhundert Programm: Cornelis Hendricks-Vroom ziseliert in seinen Flussläufen jedes Blatt penibel aus, und in den virtuosen Winterlandschaften des Hendrick Averkamp mischen sich Handwerker, Bürger und Patrizier auf dem Eis - in der Kälte sind sie alle gleich.

    Aber Flamen malten auch Gebirge, und dies nicht nur aus der Phantasie - Roman Zieglgänsberger vom Kuratorenteam hat das recherchiert:

    " Roland Savery, der Künstler, ist an den Prager Hof berufen worden von Karl IV., und dem wurde dann vom Kaiser eine Reise durch Südtirol gesponsert. Er ist da dann längere Zeit gereist, über ein Jahr hinweg, und hat vor Ort ganz viele Zeichnungen des Gebirges angefertigt und des Waldes, und diese Zeichnungen sind dann direkt in seine Bilder eingeflossen. "

    Die Ausstellung geht zunächst chronologisch vor (Joachim Patiniers "Marter der hl. Katharina" von 1515 ist das erste Bild), um sich dann thematisch aufzufächern nach Panoramen, Eislandschaften, Wäldern, Flüssen, Gebirgen und Seestücken. Es gibt sogar skandinavische und brasilianische Landschaften - und nebenbei eine Menge feinster Radierungen. Beeindruckend aber ist, dass hier eine Fülle zu Unrecht unbekannter Meister präsentiert wird: Josse de Momper, Jan van de Cappelle, Kornelis Vroom, Hendrik Averkamp können es mit den Breughels und Ruisdals allemal aufnehmen - man muss sie nur anschauen!