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Die Entdeckung des Himmels

Wolken faszinieren - Wer sich Hafenbilder von Caspar David Friedrich bis Jongkind anschaut, und sich auf das besondere Verhältnis von Wasser und Wolken konzentriert, verfällt auf Hegelsche Dialektik: denn meist treffen große, fast übergroße Flächen polarisierend aufeinander, und während das Wasser als Fläche die reichsten Spiegelungseffekte hat, die sich an den Schiffen und Booten, aber auch an Stadt-Silhouetten abarbeiten, sind die Wolken nur sich selbst. Was hier These und Antithese ist, mag dahingestellt bleiben, aber dass die Synthese eine neuartige "Reflektion" sein soll, die sowohl über das sich selbst genügsame Denken wie über die reine Spiegelung hinausgeht, das ist sicher.

Von Matthias Sträßner |
    Wolken sind etwas Faszinierendes, nicht erst, seit Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1815 Luke Howards Wolkentypen studierte, und anschließend von Caspar David Friedrich einen Wolkenatlas erbat, der wie ein Satz Schraubschlüssel die genannten Wolkenklassen abbilden sollte. Der Maler weigerte sich bekanntlich.

    Aber die Auseinandersetzung von Goethe und Caspar David Friedrich findet auf einer neuen Ebene statt, und eben diese macht diese Ausstellung deutlich. In der theologischen Tradition waren Wolken, zumal in barocker Umgebung, Thron, Architektur und vor allem Zeichen. Christliche Votivbilder nehmen Wolken als stabilisierendes und aufbauschendes Podest für den dargestellten Heiligen, gegebenenfalls auch als Passepartout oder sogar als Lichtloch.
    Anders etwa bei Shakespeare: der sieht in den Wolken Proteus-Naturen, stetig im Wechsel begriffene transitorische und dynamische Wesen, die er von seinem Dramenpersonal reichlich kommentieren lässt: von Drachen-. Bären und Löwen-Erscheinungen, von Zitadellen und Felsen wird beispielsweise in Shakespeares "Antonius und Cleopatra" gesprochen, wenn die Menschen ahnungsvoll zum Himmel schauen.

    Aber etwa gegen 1800 kommt es zu einer neuen Begegnung zwischen Ästhetik und Wissenschaft, für die vor allem der Name des englischen Forschers Luke Howard steht. Dieser veröffentlichte 1803 seine Abhandlung über die Veränderung der Wolken, unterschied diese je nach Form als Feder-, Häufchen- oder Schichtwolken, gab ihnen die lateinischen Namen Cirrus, Cumulus, Stratus und Nimbus, und er fügte der Veröffentlichung auch Tafeln bei, welche die angesprochenen Typen in schematisierter Form zeigten. Die Nomenklatur Howards fand sofort in ganz Europa Verbreitung, und hat seine Gültigkeit im wesentlichen bis heute bewahrt, mag die eine oder andere Untergruppe auch hinzugekommen sein. Zu den Lesern Howards gehörte auch Goethe, der schon zu Zeiten der Italienischen Reise ausführliche Wolkenstudien unternommen hatte, mit dem Erscheinen von Howards Werk aber ausschließlich dessen Werk und Typisierung nicht nur propagierte, sondern sogar bedichtete. Mit Howards Arbeit treten auch in der christlichen Glaubenssprache Wolken und Himmel auseinander.

    Mit diesem Punkt setzt die Ausstellung ein, um von hier noch einmal vor- und zurückzublicken. Zurückzublicken: denn natürlich lässt sich eine neue Sicht des Himmels schon in der niederländischen Landschaftsmalerei von Jacob van Ruisdael ablesen, dessen Wolkendramen eine Energie, Differenzierung und Stimmigkeit aufweisen, die später noch John Constable in Bewunderung ausbrechen lassen. Oder sie wird in den Traktaten von Pierre-Henri de Valenciennes erkennbar, der damit endgültig eine Gleichstellung der Landschafts- und Wolkenmalerei mit der Historienmalerei erreicht.

    Aber der wissenschaftliche Schub, der mit Luke Howards Wolkenforschung gerade auch in die Malerei kam, war von eigener Energie. Und es gehört mit zum Faszinierendsten dieser Ausstellung, wie sich dieser Einfluß beispielhaft verdichtet: zum Beispiel in Dresden im Haus An der Elbe 33, in welchem gleich zwei Maler, Caspar David Friedrich und der aus Norwegen stammende Johan Christian Dahl ab April 1823 gemeinsam leben, um sich- bei aller persönlichen Freundschaft- doch recht unterschiedlich in bezug auf den Howardschen Himmelswink zu verhalten. Während mit Dahl eine neue fast wissenschaftliche Himmelsmalschule ans Werk geht, und der Himmel über Dresden außer durch Dahl auch noch durch Carl Gustav Carus und durch Christian Friedrich Gille akribisch dokumentiert wird, mag Caspar David Friedrich - sehr zum Ärger des Weimarer Dichterfürsten - von seinen metaphorischen Wolken nicht lassen. Hier werden Wolken und Nebel eher abstrakt wie die Dunst-Architektur einer Kathedrale behandelt, und der Meister zögert bei seinem Gemälde "Der Mönch am Meer" auch nicht, den Himmel gleich vier mal neu zu malen, und Besucher, die den Fortgang der Arbeit verfolgten, teilten mit, dass das Bild zunächst gar keinen Himmel gehabt habe. Friedrichs Frau Caroline machte denn auch Gäste des Hauses darauf aufmerksam, dass der Gatte beim Himmelmalen besser nicht gestört werde - das sei für ihn ein Gottesdienst.

    Die Ausstellung zeigt aber auch Beispiele, wie die Wolkenmalerei vor und nach der Natur zwar als Ausgangspunkt dient, dann aber von ein und demselben Maler dann doch wieder im Symbolischen und Verweisenden überwunden wird, wie bei den Skizzen und Bildern John Constables oder William Turners. Beide beginnen mit Howards Plein-air-Typologie, um dann doch wieder im Studio zu landen. Auch politisch konnte die neue Himmels-Ästhetik sein: Karl Friedrich Schinkels Schaubild "Der Brand zu Moskau", das sich ganz aktuell auf die ganz Europa erschütternden Ereignisse bezog, gewann aus der neuen Wolkenmaltechnik ein gut Teil seiner intendierten Wirkung. Die Ausstellung macht weiter an Beispielen klar, wie gerade auch Literaten wie Salomon Gessner, Adalbert Stifter, Christian Morgenstern oder August Strindberg aus ihren Wolkenmalereien interpretierbar sind.

    Die Ausstellung geht aber weit darüber hinaus: gerade der zweite Teil im Jenisch-Haus zeigt die Auswirkungen der Entdeckung des Himmels bis auf die Theaterbühne: William Hamiltons Bilder der Vulkane mit ihren Wolkenbildungen, die darstellerlosen Illusionstheater en miniature mit gemalten Wolkenkulissen für den Hausgebrauch, die schon um 1785 in London große Aufmerksamkeit erregten - sie sind genauso zu sehen, wie etwa William Turners "Skies-Sketchbook", das seine vielen Wolkenskizzen nebeneinander vereinigt wie ein Tapetenmusterbuch.

    Dass sich die strenge Vorgabe Luke Howards mit der Zeit auflöst, wird dabei nicht verwundern. Schon bei Adolph Menzel entwickelt sich ein eigenartiges Interesse für informelle Strukturen, bei den Impressionisten kommt eine eigene Licht-Philosophie dazu, und bei Emil Nolde schließlich vereinigen sich Meer und Himmel wieder zu einer gemeinsamen kosmisch- glutroten Kraftfläche . Es wird auch nicht verwundern, dass ein, wie Nietzsche es nannte: unbefriedigter religiöser Instinkt, der sich gleichwohl keine theistische Befriedigung gestatten kann, in der Malerei wieder "wolkig" wird: August Strindbergs und Ferdinand Hodlers Wolkenbilder, auch Piet Mondrians Himmel im "Leuchtturm in Westkapelle mit Wolken" sehen im Himmel jenseits der physikalischen Realität wieder einen mystischen Ort, voll von theosophischen Spekulationen, die dann wieder auf die Menschenwolken und Wolkenmuskeln in den Bildern von William Blake zurückverweisen, dies vielleicht eine der wenigen Lücken, welche die Ausstellung lässt.

    Für eine Zeit, die den Himmel fast nur noch entgöttlicht als Fläche für Kondensstreifen und Wolkenkratzer sehen mag, macht diese Ausstellung jedenfalls klar, wie verhältnismäßig jung eine wissenschaftlich-ästhetische Sicht des Himmels eigentlich ist.
    Die Ausstellung wird noch in der Berliner Nationalgalerie und im Schweizerischen Aarau zu sehen sein. Der informative Katalog kostet knapp 25 Euro.