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Die Entdeckung des Lichts

Der unglaubliche Aufstieg des Buchbinderlehrlings Michael Faraday vom mittellosen Sohn eines Schmiedes zu einem der bedeutendsten Wissenschaftlern überhaupt steht im Mittelpunkt von Ralf Bönts Roman "Die Entdeckung des Lichts". Trotz mitreißender Passagen kann das Buch allerdings nicht überzeugen.

Rezensentin: Dagmar Röhrlich | 13.12.2009
    Eines Tages besuchte der Premierminister des britischen Weltreichs, William Gladstone, den weltberühmten Naturforscher Michael Faraday in seinem Labor in der Royal Institution und ließ sich einige Experimente vorführen. Schließlich meinte er, dass das ja alles schön und gut wäre - aber wozu sollte es nützen? Faradays Antwort: "Ich habe keine Ahnung, Sir. Aber ich bin sicher, Ihre Nachfolger werden schöne Steuern darauf eintreiben." Diese Anekdote, die bis heute nicht der Aktualität entbehrt, steht auch in Ralf Bönts "Die Entdeckung des Lichts" - einem Buch über das Leben des Faradays, die Erforschung des Lichts und über Albert Einstein als Kind.

    Der Schwerpunkt der "Entdeckung des Lichts" liegt auf der Erzählung über den - nicht nur für das Großbritannien des 19. Jahrhunderts - unglaublichen Aufstieg des Buchbinderlehrlings Michael Faraday vom mittellosen Sohn eines Schmiedes zu einem der bedeutendsten Wissenschaftlern überhaupt: Faraday erforschte in ebenso mühsamen wie ausgetüftelten Versuchen den Elektromagnetismus, entdeckte die elektromagnetische Induktion, formulierte Gesetze über die chemischen Wirkungen des Stroms, konstruierte den ersten Dynamo. Außerdem beschäftigte er sich mit dem Licht. Damals stritten sich die Naturforscher, ob Christiaan Huygens mit der Wellennatur des Lichts recht hat oder die übermächtige Autorität Newton, der erklärte, das Licht bestehe aus Teilchen. Faraday erkannte, dass es sich um elektromagnetische Strahlung handelt. Nur beweisen konnte das der geniale Autodidakt und Experimentator nicht - einerseits mangels Mathematikkenntnissen, schließlich musste er die Schule schon mit 13 Jahren verlassen, und andererseits weil sein Nervensystem durch den jahrelangen Kontakt mit giftigen Substanzen wie Quecksilber stark gelitten hatte. Sein Gedächtnis ließ ihn zunehmend im Stich.

    Ralf Bönt beschreibt den mühevollen Aufstieg des scheinbar Chancenlosen, seinen unbedingten Willen zur Erkenntnis, das langsame Vorantasten des Naturforschers, seinen geistigen Zerfall. Nach dem Vorbild von Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" stellt er Faraday in der "Entdeckung des Lichts" einen zweiten Wissenschaftler zur Seite: Im letzten Teil des Buches tritt der kindliche Einstein auf und denkt über das Wesen des Lichts nach, während seine Familie hofft, mit der Elektrifizierung Schwabings nicht Pleite zu machen.

    Der Autor Ralf Bönt hat Physik studiert und unter anderem am Cern in Genf gearbeitet. Mit seiner mitreißenden Novelle "Der Fotoeffekt", in der ebenfalls Faraday (allerdings kombiniert mit dem Physiker Heinrich Hertz ) im Zentrum steht, hatte er in diesem Jahr am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teilgenommen und nur knapp verloren. Auf dem Cover von "Die Entdeckung des Lichts" wird das Buch als Roman bezeichnet - aber dem wird das Buch nicht so ganz gerecht. Beim Lesen entsteht eher der Eindruck, dass es sich um eine lückenhafte Biografie über einen Naturforscher des 19. Jahrhunderts mit fiktionalen Elementen und diversen "Sachbucheinsprengseln" aus dem Bereich Physik handelt.

    Das Buch hat Stärken, etwa wenn Bönt erzählt, wie Faraday die Zersetzung seines Geistes wahrnimmt, ohne zu wissen, was mit ihm geschieht. Auch manche Schilderung zur Mühsal des Forschens ist spannend. Aber insgesamt bleibt die Naturwissenschaft oft ein Fremdkörper: Man wünscht sich etwa bei den Experimenten eine Zeichnung, um die Sache abzukürzen. Dabei ist Faradays Forschung in dem Buch so präsent, dass der Autor wohl wünscht, der Leser möge sie verstehen. Aber dann müsste sich der physikalisch nicht Gebildete zusätzlich schon in anderen Quellen mit den Naturwissenschaften jener Zeit beschäftigen. Wer dazu keine Lust hat, wird die Passagen überfliegen und weiterblättern.

    Besonders schwach ist jedoch die Verquickung mit Einstein. Das Cover verspricht, dass sich "über den Abstand eines Jahrhunderts … die Gedanken der beiden Wissenschaftler" - berühren. Und genau das passiert nicht. Da der Roman so sehr an eine Biographie gemahnt, gilt die Maxime des antiken Schriftstellers Plutarch, dass in Doppelbiographien beide Protagonisten gleichwertig dargestellt werden müssen - etwas, das Kehlmann in seinem Roman über Alexander von Humboldt und Karl Friedrich Gauss perfekt umgesetzt hat. Einstein taucht in "Die Entdeckung des Lichts" nicht als der Forscher auf, der herausfindet, das Licht nicht nur eine sich gleichmäßig ausbreitende, kontinuierliche elektromagnetische Welle ist, sondern zugleich auch Teilchencharakter hat, und der damit die Diskussion aus Faradays Zeiten wieder aufgreift. Vielmehr ist er noch Kind, ihm werden altkluge und für sein Alter nicht sonderlich glaubwürdige Gedankengängen über die Natur des Lichts untergeschoben. Das erinnert an den Kniff mancher großer Maler, Bilder in ihre Jugendzeit zu datieren, um genialer zu wirken. In Bönts Buch stehen sich nicht zwei geniale Wissenschaftler gegenüber, die - jeder auf seine Art und für seine Zeit - eine Weltformel suchen: Ein ganzes Leben steht vielmehr gegen ein paar Stunden in dem eines Kindes. Das geht nicht auf. "Die Entdeckung des Lichts" hat immer wieder mitreißende Passagen - aber oft ist es nicht Fisch, nicht Fleisch.

    Ralf Bönt: Die Entdeckung des Lichts
    ISBN: 978-3-8321-9517-5
    DuMont-Verlag, 352, Seiten, 19,95 Euro