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Die Enteignung der französischen Juden

Nach dem Waffenstillstand 1940 führten die deutschen Besatzer die antisemitischen Gesetze auch in Frankreich ein. Jüdische Geschäfte mussten gekennzeichnet werden, die sogenannte Arisierung folgte. Dass die Beraubung der Juden bestens organisiert war, zeigt jetzt eine Ausstellung in Paris.

Von Kathrin Hondl | 30.01.2013
    "Sagen Sie, wollen Sie mir nicht sagen, was hier gespielt wird. Hier stimmt doch etwas nicht!"

    "Stimmt genau, mein Herr!"

    "So. Es stimmt. Dann bin ich vielleicht verrückt geworden. Oder der ganze Betrieb hier ist verrückt geworden! Oder bin ich hier gar nicht bei Loeser & Wolff'"

    "Sind Sie auch nicht! Loeser & Wolff heißt nämlich jetzt: Walter E. Beyer!"

    Ein Ufa-Werbefilm aus dem Berlin der frühen 40er-Jahre. Die Kundschaft der berühmten Tabakwarenfabrik Loeser & Wolff wird auf den neuen Besitzernamen eingeschworen. Ein Foto des Firmengebäudes mit dem alten Namen blendet über in ein Foto mit der neuen Aufschrift: "Walter E. Beyer". Die sogenannte "Arisierung" des Unternehmens erscheint als fließender, reibungsloser Übergang. Werbeclips dieser Art gab es in Frankreich wohl nicht. Aber die Ausstellung im Pariser Mémorial de la Shoah zeigt mit einer Fülle von Dokumenten: Auch in Frankreich funktionierte die von den deutschen Besatzern importierte und vom Vichy-Regime durchgeführte "Arisierungspolitik" erschreckend reibungslos.

    "Wenn man das pragmatisch analysiert, haben wir es hier mit einer äußerst erfolgreichen Politik zu tun. Im Sommer 1941 wurden die Maßnahmen von der französischen Regierung eingeführt, Ende 1943 ist nichts mehr, was als 'jüdisch' identifiziert wurde, in den Händen seiner legitimen Besitzer. Dabei handelte es sich um eine für Frankreich völlig neue Maßnahme – Juden enteignen, so etwas hatte es nie zuvor gegeben. Aber es ging schnell und funktionierte sehr gut – bemerkenswert, wo es in Frankreich eigentlich bis heute sehr schwierig ist, politische Reformen durchzusetzen."

    Sagt der Historiker Tal Bruttmann, Kurator der Ausstellung im Mémorial de la Shoah. Nur wenige Wochen nach dem Waffenstillstand führen die deutschen Besatzer die antisemitischen Regeln des Dritten Reichs in Frankreich ein. "Jüdische" Geschäfte müssen mit Schildern gekennzeichnet werden, die sogenannte "Arisierung" folgt als nächster Schritt.

    "Die französische Vichy-Regierung hat damit ein Problem. Kein moralisches – Juden enteignen ist nicht das Problem. Aber durch die Enteignungspolitik des Dritten Reichs könnten dem französischen Staat Reichtümer entgehen. Also gibt sich das Vichy-Regime ein eigenes Gesetz, damit diese Reichtümer in französischem Besitz bleiben. Die deutsche Militärregierung in Paris und die Vichy-Regierung treten in einen Wettstreit, wer antisemitischer ist."

    Den französischen "Arisierungs"-Alltag dokumentieren in der Ausstellung gleich am Anfang unzählige Plakate, die damals in jeder Stadt, in jedem Dorf aushingen. Sogenanntes "jüdisches Eigentum" wurde öffentlich zum Kauf angeboten – vom kleinen Schneideratelier bis zur Familienvilla. Das Interesse der französischen Bürger war lebhaft. In einer Vitrine sind viele Visitenkarten zu sehen, die Kaufinteressenten beim "Commissariat général aux questions juives" hinterlegten, dem "Generalkommissariat für Judenfragen" in Lyon. Die Beraubung der Juden war bestens organisiert und vorbereitet: Ausgehend vom "Gesetz über den Status der Juden" – der mit handschriftlichen Notizen versehene Originalentwurf des Maréchal Pétain ist in der Ausstellung erstmals öffentlich zu sehen -, mussten alle Juden in Frankreich sich registrieren lassen. Die Formulare dieser ‚Judenzählung' verlangten auf mehreren Seiten auch präzise Angaben über Beruf, Besitz und Vermögen, die von den französischen Behörden auf verschiedenfarbigen Karteikarten akribisch erfasst und ausgewertet wurden.

    Detailreich schildert die Ausstellung den Verlauf der Enteignung der französischen Juden und lenkt immer wieder den Blick auf konkrete Einzelfälle wie zum Beispiel die Geschichte der Handschuhfabrik Fischl in Grenoble, die 1942 gegen den Protest der Angestellten und auch vieler Bürger der Stadt beschlagnahmt wird. Oder Elie Eskenazi, ein Kurzwarenhändler in einem kleinen Bergdorf: Das Generalkommissariat für Judenfragen befindet seinen Laden für wertlos und organisiert einen Totalausverkauf. Es sind vor allem diese konkreten Geschichten der sogenannten kleinen Leute, die Mikrogeschichte, die den Historiker Tal Bruttmann interessieren und die die Ausstellung im Mémorial de la Shoah so anschaulich machen. Die Hartnäckigkeit und Gründlichkeit, mit der selbst der kleine Kurzwarenhändler im Bergdorf seine Existenzgrundlage weggenommen bekam, machen einmal mehr deutlich: Vor der Ermordung der Juden wurde ihr sozialer Tod organisiert – systematisch und effizient.

    Infos zur Ausstellung:
    Mémorial de la Shoah, Paris: "La spoliation des juifs - une politique d'Etat 1940 - 1944"
    ab 30.01.2013