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Die enttäuschten Helden der Rosenrevolution

Nicht nur in der Ukraine, wo sich die orangenefarbene Revolution in diesen Tagen zum ersten Mal jährt, ist die Euphorie verflogen. Auch in Georgien, wo die sogenannte Rosenrevolution vor genau zwei Jahren die Wende brachte, sind die Menschen enttäuscht: Auch dort haben sich die Hoffnungen in den demokratischen Wandel nicht erfüllt. Stattdessen ist von Korruption, Nepotismus und Mißwirtschaft die Rede. Grit Weirauch berichtet.

    Eine Plattenbauwohnung am Stadtrand der georgischen Hauptstadt Tbilisi. Hier wohnt Tsiala Tsomaia zusammen mit ihren zwei Töchtern, den beiden Schweigersöhnen und ihren zwei Enkeln. Die kleine Wohnung ist mit Heiligenbildern überfüllt. Die gesamte Familie lebt von ihrer Rente: umgerechnet 15 Euro im Monat. Denn obwohl die Kinder studiert haben, finden sie keine Arbeit.
    Vor zwei Jahren demonstrierte Tsiala Tsomaia in den vordersten Reihen vor dem Parlament für ein besseres Leben. Heute bleibt ihr nur Verbitterung.

    "Die Revolution hat uns nichts Gutes gebracht. Wir standen Tag und Nacht in der Kälte. Ich war dabei, weil ich Hoffnung hatte, aber man sieht keine positiven Veränderungen. Vor allem für uns Rentner hat sich nichts verbessert."

    Deshalb will Tsiala Tsomaia bei den Festreden und Konzerten, die heute in Tbilisis Hauptstrasse Rustaveli stattfinden, nicht zugegen sein, zu groß ist ihre Enttäuschung.

    "Vielleicht gehen junge Menschen da hin, ich geh da nicht hin. Wie kann ich mich amüsieren, wenn mein Land zusammenbricht? Es wäre besser, anstatt die Konzerte zu organisieren, das Geld den armen Leuten zu geben. Aber ein satter Mensch kann nicht verstehen, wie es einem Hungrigen geht, so ist es auch mit unserer Regierung."

    Die jungen Revolutionäre von damals, die die Rentnerin unterstützte, sind heute keine Sozialhelden. Lieber proklamieren sie die Nähe zum Westen und hoffen auf Hilfe der Europäischen Union und der USA, um Investitionen ins Land zu holen. Tsiala Tsomaia fühlt sich von ihrem früheren Bezirksabgeordneten Michail Saakaschwili, dem heutigen Präsidenten, im Stich gelassen.

    "Saakaschwili hat uns vieles versprochen, aber nichts getan. Die neuen Straßen, die er bauen lässt, brauche ich nicht. Was soll ich damit? Ich hab kein Auto, das ist alles nur für die jungen Leute, das machen die von der Regierung nur für sich selbst."

    Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, denn zwei Jahre nach der Rosenrevolution befindet sich die politische und finanzielle Macht wieder in den Händen Einzelner. Viele Georgier wollen sich jedoch damit nicht abfinden.

    In einem kleinen Souterrain-Büro in der Chavchavadze Straße drängen sich die Menschen. Es ist Sprechstunde bei Salome Surabischwili, der ehemaligen Außenministerin. Vor kurzem wurde die gebürtige Französin unter fadenscheinigen Anschuldigungen aus ihrem Amt entlassen.

    Darauf hin hat sie eine Bürgerbewegung gegründet. Zehntausende haben sich ihr bereits angeschlossen. Viele sind aus allen Teilen des Landes gekommen, um mit ihr zu sprechen. Surabischwili sitzt an einem Tisch, hört jedem einzelnen zu, macht sich Notizen und bekommt Blumen und Geschenke überreicht.

    Dass sie die Fähigkeiten hat, dem georgischen Volk zu helfen, hat Salome Surabischwili bereits in ihrer Zeit als Außenministerin bewiesen, meint Simon Gdzelischwili, ein Mitstreiter.

    "Dass die russischen Soldaten aus Georgien abziehen, das war ihre Leistung. Wenn sie mit den Russen fertig wurde, dann kann sie jetzt auch in unserem Land etwas bewegen."

    Der Mann, Ende fünfzig, holt aus seiner Aktentasche ein offizielles Schreiben. Er will sein Haus, das die Kommunisten in den zwanziger Jahren enteigneten, zurück haben. Vor Gericht hat er bisher verloren. Nun erhofft er sich von Surabischwili Hilfe. Erst danach entscheide er sich, sagt er, ob er sich ihrer Bewegung anschließen wird oder nicht. Salome Surabischwili hingegen will statt Hilfsgesuchen lieber Vorschläge hören, wie die Bürger selbst aktiver werden können.

    "Das Problem Georgiens in den letzten 14 Jahren war, dass die Gesellschaft zwar so zu sagen demokratisiert wurde, aber eben passiv. Die Menschen schauten zu, was passierte, ohne sich wirklich zu engagieren. Das ist nicht der Fehler der Menschen, sondern einer der vielleicht schwersten Mängel des früheren sowjetischen Systems."

    Derzeit bereitet Surabischwili ein Volksbegehren gegen die geplanten Gesetzesänderungen im Strafrecht vor. Ihr Ziel ist eine starke Zivilgesellschaft als Gegenmacht zur Regierung.

    "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo die Risiken, von dem demokratischen Weg ab zu kommen, spürbar werden. Man sieht das bei der Frage der Menschenrechte, im Strafrecht, bei korrupten Praktiken und bei der Rechtssprechung, die allesamt mit einer demokratischen Entwicklung nichts zu tun haben. Jetzt liegt es an der Gesellschaft zu sagen: es reicht und die Regierung soll geradlinig die Demokratie weiterverfolgen."

    Heute feiert Georgien den zweiten Jahrestag der Rosenrevolution. Doch diese ist noch längst nicht beendet: Sie findet nur nicht mehr auf der Straße statt.