Hundt: Guten Morgen Frau Sanders.
Sanders: Herr Hundt, in welche Richtung sollte sich denn Ihrer Meinung nach der Sozialstaat entwickeln?
Hundt: Der deutsche Sozialstaat ist im Laufe der letzten Jahrzehnte überladen worden und ist in seiner derzeitigen Form nicht mehr haltbar, nicht mehr finanzierbar. Wir müssen zu einer Veränderung kommen. Im Grundsatz bejahe ich das Prinzip unserer Sozialversicherungssysteme, aber wir müssen zu Reformen kommen, um die Kosten dieses Sozialstaates deutlich abzusenken. Der Sozialaufwand in Deutschland liegt mit einem Anteil von über einem Drittel an unserem Brutto-Inlandsprodukt weltweit an der Spitze. Dieses belastet unsere Arbeitskosten so stark, dass wir im internationalen Wettbewerb sehr gefährdet sind. Dieses wirkt sich eben auch negativ auf unser Wirtschaftswachstum und damit auf die Entwicklung unserer Arbeitsplätze aus.
Sanders: Herr Hundt, wie weit wollen Sie denn die Sicherung, die im Moment ja noch sehr umfangreich ist, herabsenken?
Hundt: Ich meine, wir müssen zu einem neuen Verhältnis, zu einem neuen Gleichgewicht zwischen Subsidiarität und Solidarität kommen. Wir müssen darüber hinaus die Treffsicherheit und Zielgenauigkeit unserer Sozialsysteme verändern. Wir sollten die wirklich Bedürftigen erreichen. Wir müssen den einzelnen vor Risiken schützen, die ihn überfordern, die er nicht alleine schultern kann. Wir müssen aber verhindern, dass wir, was in sehr, sehr vielen Fällen eben geschieht, die schlauesten Antragsteller unterstützen.
Sanders: Wie könnte das konkret aussehen? Wäre das eine minimale Grundsicherung, zu der Zusatzleistungen dann individuell eingekauft werden könnten?
Hundt: Wir müssen unsere Sozialversicherungssysteme - das gilt für die Rentenversicherung, das gilt genauso für die Krankenversicherung und das gilt in gewissem Umfang auch für die Arbeitslosenversicherung - von der derzeitigen Lebensstandardversicherung in eine Basissicherung umstellen. Daraus resultiert auch, dass die Beitragslast sowohl für die Unternehmen als auch für die Beschäftigten reduziert wird, dass ihnen mehr Nettoeinkommen verbleibt. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass über diese Basissicherung hinaus der einzelne verstärkt individuelle private Altersvorsorgesysteme oder Krankenversicherungssysteme abschließen kann.
Sanders: Ihr Vorschlag, die Lebensstandardsicherung auf eine Basissicherung herunterzukürzen, war ja schon unter der alten Regierung nicht konsensfähig. Auf noch weniger Gegenliebe dürfte diese Idee in der neuen Regierung stoßen. Zu welchen Kompromissen wären Sie denn bereit? Welche Konsensmöglichkeiten gibt es?
Hundt: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fordert seit langem, dass die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 38 Prozent abgesenkt werden müssen. Derzeit liegen wir bei fast 42 Prozent. Dieses belastet eben unsere Arbeitskosten sehr stark. Die neue, die jetzige Bundesregierung ist angetreten mit dem Versprechen, dass sie im Verlaufe ihrer Legislaturperiode diese Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent absenken will. Dieses wäre schon mal ein erster, deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Dazu werden solche Veränderungen, werden Umstellungen von einer Lebensstandardsicherung in eine Basissicherung unumgänglich sein.
Sanders: Lassen Sie uns zur Rentenversicherung kommen. Bundesarbeitsminister Walter Riester ist jetzt offenbar doch für eine Wende in der Rentenpolitik. So scheint es wenigstens. Das "Düsseldorfer Handelsblatt" meldet heute, dass er die Rente in den kommenden beiden Jahren dann doch nicht nur nach dem Inflationsausgleich anpassen möchte, sondern statt wie vorgesehen um 0,7 Prozent um 1,7 Prozent die Renten erhöhen möchte. Was halten Sie denn von diesem Vorschlag?
Hundt: Es ist unumgänglich, dass wir das Rentenniveau unserer Rentenversicherung, das derzeit bei rund 70 Prozent liegt, absenken. Die alte Bundesregierung hat dazu die Rentenformel geändert und einen hälftigen Demographiefaktor eingeführt. Dieses war ein Schritt in die richtige Richtung, der jedoch nicht weit genug ging. Ich habe immer gefordert, dass dieser Demographiefaktor in vollem Umfang, also zu 100 Prozent, in die Rentenformel muss und dass wir möglicherweise sogar eine Arbeitsmarktkomponente einführen müssen. Die neue Regierung hat aus meiner Sicht unverantwortlicherweise diese Rentenreform der Regierung Kohl zurückgenommen und hat in der Zwischenzeit nun die Variante eingeführt, die Rentenerhöhung in den kommenden beiden Jahren, 2000 und 2001, auf die Inflationsrate zu begrenzen. Dieses ist für mich nichts anderes als das Eingeständnis, dass es falsch war, die Rentenformel der Regierung Kohl zurückzunehmen und über einen anderen Weg ein gleiches oder sehr ähnliches Ergebnis zu erzielen. Ich begrüße diesen Schritt, weil wir diese Absenkung des Rentenniveaus haben müssen, um unsere Beiträge nicht weiter steigen zu lassen. Wenn Riester jetzt von diesem Vorschlag wieder zurückweicht, dann kann es für mich eigentlich nur eine Alternative geben, und das wäre die Wiedereinführung der Rentenformel. Dann kann ich nur dringend empfehlen, aber sofort mit dem vollen Demographiefaktor, um der Entwicklung unserer Bevölkerung, der Entwicklung des immer höheren Lebensalters Rechnung zu tragen, ohne dass die Beiträge weiter sinken. Wir müssen zu einer Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge kommen.
Sanders: Also Unterstützung für Riester, dass es statt 0,7 Prozent eine Erhöhung auf 1,7 Prozent gibt?
Hundt: Nein! Wenn diese Begrenzung auf die Inflationsrate nicht erfolgt, dann gibt es nur eines. Das ist das Wiedereinführen der Rentenreform, die die Regierung Kohl noch verabschiedet hat, mit einer Rentenformel, die die Altersentwicklung unserer Bevölkerung mit berücksichtigt.
Sanders: Welche genaueren Pläne gibt es denn aus Ihrer Sicht? Wie könnte eine Rentenversicherung in Zukunft aussehen?
Hundt: Ich plädiere in der Rentenversicherung, also in der Altersvorsorge, auf eine Umstellung der Rentenversicherung von der derzeitigen Lebensstandardsicherung auf eine Basissicherung. Ich bin beispielsweise der Meinung, wir könnten die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit etwa 8400 D-Mark einfrieren. Dieses hätte zur Folge, dass immer mehr unserer Beschäftigten aus der Rentenversicherung zumindest in der Spitze herauswachsen, dass ihre Beiträge nicht mehr steigen. Dann ist die Möglichkeit gegeben, zusätzliche kapitalgedeckte private Altersvorsorge abzuschließen. Darüber hinaus bin ich auch der Meinung, dass es tarifpolitisch sehr interessante Modelle dafür gibt, im Rahmen der Ausweitung der Altersteilzeit, im Rahmen der Ausweitung der Arbeitszeitkonten bis zur Lebensarbeitszeit eine verstärkte betriebliche Altersversorgung auf kapitalgedeckter Basis freiwillig im einzelnen Unternehmen als ergänzende Altersvorsorge festzulegen.
Sanders: Eine zusätzliche private Absicherung also. Müsste der Zwang einer zusätzlichen Zwangsrente mit dabei sein, dass es jeder machen muss?
Hundt: Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass dieses eine verpflichtende Regelung wäre, wie wir sie auf anderen Gebieten - denken Sie an die Haftpflichtversicherung - ja auch haben, dass der einzelne verpflichtet wird, eine zusätzliche freiwillige Altersvorsorge abzuschließen, wobei natürlich bestehende Altersversorgungssysteme, die in großem Umfang bei unseren Beschäftigten vorhanden sind, darauf natürlich angerechnet werden.
Sanders: Womit dann die Last wieder bei dem Arbeitnehmer wäre. - Wie ist es aber mit demjenigen Arbeitnehmer, der nur einen geringen Lohn hat? Wie soll der das finanzieren?
Hundt: Wir werden sicherlich sozialverträgliche Regelungen dafür finden müssen. Ich wiederhole: Mein Vorschlag beispielsweise ist, dass die Beitragsbemessungsgrenze, die derzeit bei 8400 D-Mark liegt, eingefroren wird. Ich meine, dass Einkommen, die darüber liegen, durchaus die Möglichkeit bieten, eine zusätzliche private kapitalgedeckte Altersvorsorge abzuschließen.
Sanders: Dieter Hundt war das, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber. - Herr Hundt, vielen Dank für das Gespräch!
Sanders: Herr Hundt, in welche Richtung sollte sich denn Ihrer Meinung nach der Sozialstaat entwickeln?
Hundt: Der deutsche Sozialstaat ist im Laufe der letzten Jahrzehnte überladen worden und ist in seiner derzeitigen Form nicht mehr haltbar, nicht mehr finanzierbar. Wir müssen zu einer Veränderung kommen. Im Grundsatz bejahe ich das Prinzip unserer Sozialversicherungssysteme, aber wir müssen zu Reformen kommen, um die Kosten dieses Sozialstaates deutlich abzusenken. Der Sozialaufwand in Deutschland liegt mit einem Anteil von über einem Drittel an unserem Brutto-Inlandsprodukt weltweit an der Spitze. Dieses belastet unsere Arbeitskosten so stark, dass wir im internationalen Wettbewerb sehr gefährdet sind. Dieses wirkt sich eben auch negativ auf unser Wirtschaftswachstum und damit auf die Entwicklung unserer Arbeitsplätze aus.
Sanders: Herr Hundt, wie weit wollen Sie denn die Sicherung, die im Moment ja noch sehr umfangreich ist, herabsenken?
Hundt: Ich meine, wir müssen zu einem neuen Verhältnis, zu einem neuen Gleichgewicht zwischen Subsidiarität und Solidarität kommen. Wir müssen darüber hinaus die Treffsicherheit und Zielgenauigkeit unserer Sozialsysteme verändern. Wir sollten die wirklich Bedürftigen erreichen. Wir müssen den einzelnen vor Risiken schützen, die ihn überfordern, die er nicht alleine schultern kann. Wir müssen aber verhindern, dass wir, was in sehr, sehr vielen Fällen eben geschieht, die schlauesten Antragsteller unterstützen.
Sanders: Wie könnte das konkret aussehen? Wäre das eine minimale Grundsicherung, zu der Zusatzleistungen dann individuell eingekauft werden könnten?
Hundt: Wir müssen unsere Sozialversicherungssysteme - das gilt für die Rentenversicherung, das gilt genauso für die Krankenversicherung und das gilt in gewissem Umfang auch für die Arbeitslosenversicherung - von der derzeitigen Lebensstandardversicherung in eine Basissicherung umstellen. Daraus resultiert auch, dass die Beitragslast sowohl für die Unternehmen als auch für die Beschäftigten reduziert wird, dass ihnen mehr Nettoeinkommen verbleibt. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass über diese Basissicherung hinaus der einzelne verstärkt individuelle private Altersvorsorgesysteme oder Krankenversicherungssysteme abschließen kann.
Sanders: Ihr Vorschlag, die Lebensstandardsicherung auf eine Basissicherung herunterzukürzen, war ja schon unter der alten Regierung nicht konsensfähig. Auf noch weniger Gegenliebe dürfte diese Idee in der neuen Regierung stoßen. Zu welchen Kompromissen wären Sie denn bereit? Welche Konsensmöglichkeiten gibt es?
Hundt: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fordert seit langem, dass die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 38 Prozent abgesenkt werden müssen. Derzeit liegen wir bei fast 42 Prozent. Dieses belastet eben unsere Arbeitskosten sehr stark. Die neue, die jetzige Bundesregierung ist angetreten mit dem Versprechen, dass sie im Verlaufe ihrer Legislaturperiode diese Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent absenken will. Dieses wäre schon mal ein erster, deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Dazu werden solche Veränderungen, werden Umstellungen von einer Lebensstandardsicherung in eine Basissicherung unumgänglich sein.
Sanders: Lassen Sie uns zur Rentenversicherung kommen. Bundesarbeitsminister Walter Riester ist jetzt offenbar doch für eine Wende in der Rentenpolitik. So scheint es wenigstens. Das "Düsseldorfer Handelsblatt" meldet heute, dass er die Rente in den kommenden beiden Jahren dann doch nicht nur nach dem Inflationsausgleich anpassen möchte, sondern statt wie vorgesehen um 0,7 Prozent um 1,7 Prozent die Renten erhöhen möchte. Was halten Sie denn von diesem Vorschlag?
Hundt: Es ist unumgänglich, dass wir das Rentenniveau unserer Rentenversicherung, das derzeit bei rund 70 Prozent liegt, absenken. Die alte Bundesregierung hat dazu die Rentenformel geändert und einen hälftigen Demographiefaktor eingeführt. Dieses war ein Schritt in die richtige Richtung, der jedoch nicht weit genug ging. Ich habe immer gefordert, dass dieser Demographiefaktor in vollem Umfang, also zu 100 Prozent, in die Rentenformel muss und dass wir möglicherweise sogar eine Arbeitsmarktkomponente einführen müssen. Die neue Regierung hat aus meiner Sicht unverantwortlicherweise diese Rentenreform der Regierung Kohl zurückgenommen und hat in der Zwischenzeit nun die Variante eingeführt, die Rentenerhöhung in den kommenden beiden Jahren, 2000 und 2001, auf die Inflationsrate zu begrenzen. Dieses ist für mich nichts anderes als das Eingeständnis, dass es falsch war, die Rentenformel der Regierung Kohl zurückzunehmen und über einen anderen Weg ein gleiches oder sehr ähnliches Ergebnis zu erzielen. Ich begrüße diesen Schritt, weil wir diese Absenkung des Rentenniveaus haben müssen, um unsere Beiträge nicht weiter steigen zu lassen. Wenn Riester jetzt von diesem Vorschlag wieder zurückweicht, dann kann es für mich eigentlich nur eine Alternative geben, und das wäre die Wiedereinführung der Rentenformel. Dann kann ich nur dringend empfehlen, aber sofort mit dem vollen Demographiefaktor, um der Entwicklung unserer Bevölkerung, der Entwicklung des immer höheren Lebensalters Rechnung zu tragen, ohne dass die Beiträge weiter sinken. Wir müssen zu einer Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge kommen.
Sanders: Also Unterstützung für Riester, dass es statt 0,7 Prozent eine Erhöhung auf 1,7 Prozent gibt?
Hundt: Nein! Wenn diese Begrenzung auf die Inflationsrate nicht erfolgt, dann gibt es nur eines. Das ist das Wiedereinführen der Rentenreform, die die Regierung Kohl noch verabschiedet hat, mit einer Rentenformel, die die Altersentwicklung unserer Bevölkerung mit berücksichtigt.
Sanders: Welche genaueren Pläne gibt es denn aus Ihrer Sicht? Wie könnte eine Rentenversicherung in Zukunft aussehen?
Hundt: Ich plädiere in der Rentenversicherung, also in der Altersvorsorge, auf eine Umstellung der Rentenversicherung von der derzeitigen Lebensstandardsicherung auf eine Basissicherung. Ich bin beispielsweise der Meinung, wir könnten die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit etwa 8400 D-Mark einfrieren. Dieses hätte zur Folge, dass immer mehr unserer Beschäftigten aus der Rentenversicherung zumindest in der Spitze herauswachsen, dass ihre Beiträge nicht mehr steigen. Dann ist die Möglichkeit gegeben, zusätzliche kapitalgedeckte private Altersvorsorge abzuschließen. Darüber hinaus bin ich auch der Meinung, dass es tarifpolitisch sehr interessante Modelle dafür gibt, im Rahmen der Ausweitung der Altersteilzeit, im Rahmen der Ausweitung der Arbeitszeitkonten bis zur Lebensarbeitszeit eine verstärkte betriebliche Altersversorgung auf kapitalgedeckter Basis freiwillig im einzelnen Unternehmen als ergänzende Altersvorsorge festzulegen.
Sanders: Eine zusätzliche private Absicherung also. Müsste der Zwang einer zusätzlichen Zwangsrente mit dabei sein, dass es jeder machen muss?
Hundt: Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass dieses eine verpflichtende Regelung wäre, wie wir sie auf anderen Gebieten - denken Sie an die Haftpflichtversicherung - ja auch haben, dass der einzelne verpflichtet wird, eine zusätzliche freiwillige Altersvorsorge abzuschließen, wobei natürlich bestehende Altersversorgungssysteme, die in großem Umfang bei unseren Beschäftigten vorhanden sind, darauf natürlich angerechnet werden.
Sanders: Womit dann die Last wieder bei dem Arbeitnehmer wäre. - Wie ist es aber mit demjenigen Arbeitnehmer, der nur einen geringen Lohn hat? Wie soll der das finanzieren?
Hundt: Wir werden sicherlich sozialverträgliche Regelungen dafür finden müssen. Ich wiederhole: Mein Vorschlag beispielsweise ist, dass die Beitragsbemessungsgrenze, die derzeit bei 8400 D-Mark liegt, eingefroren wird. Ich meine, dass Einkommen, die darüber liegen, durchaus die Möglichkeit bieten, eine zusätzliche private kapitalgedeckte Altersvorsorge abzuschließen.
Sanders: Dieter Hundt war das, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber. - Herr Hundt, vielen Dank für das Gespräch!