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Die Erde unter Beobachtung

Physik. - Mit Envisat kreist ein Umweltsatellit für die europäische Raumfahrtorganisation Esa im All, der auch Spurengase erfassen kann. Solche Spurengase wie Ozon und Stickoxide kommen zwar nur in geringer Konzentration vor, sie spielen aber dennoch eine wichtige Rolle bei chemischen Abläufen in der Atmosphäre. Verantwortlich für das Aufspüren ist auf Envisat das Spektrometer Sciamachy.

Von Holger Bruns |
    Die Experten des Instituts für Umweltphysik an der Universität Bremen staunten nicht schlecht über gigantische Wolken aus Bromoxid, die sie mit dem Spektrometer Sciamachy an Bord des Satelliten Envisat in den unteren Schichten der polaren Atmosphäre nachweisen konnten. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Brom durch photochemische Prozesse aus konzentrierten Salzlaken freigesetzt wird. Diese Salzlaken entstehen, wenn Meerwasser auf der Oberfläche bereits bestehender Eisflächen gefriert. Das Brom steigt in die untere Atmosphärenschicht, reagiert mit dem hier vorhandenen Ozon und bringt es weitgehend zum Verschwinden. Eine wissenschaftliche Erkenntnis, die ohne Sciamachy nicht möglich gewesen wäre. Denn Sciamachy erkennt in allen Luftschichten zuverlässig Spurengase wie Ozon und Stickoxide.

    Man schaut sich das reflektierte Sonnenlicht an. Das Sonnenlicht, das an der Erdoberfläche reflektiert wird und dann durch die Atmosphäre zum Instrument gelangt. Die andere Möglichkeit sind die so genannten LIMP-Messungen. Das heißt, man schaut unter einem flachen Winkel schräg durch die Atmosphäre und vermisst die Eigenstrahlung der Atmosphäre selber. Die Atmosphäre hat ja auch irgendeine Temperatur und strahlt im infraroten und sichtbaren Bereich. Die dritte Möglichkeit ist, dass man eine externe Lichtquelle nimmt, zum Beispiel die Sonne oder Mond, und auch schräg durch die Atmosphäre schaut. Das nennt man dann Okkultation.

    So Professor Justus Notholt, Umweltphysiker an der Bremer Universität. Er ist einer der Experten für das Spektrometer Sciamachy an Bord des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Envisat, der seit rund zwei Jahren die Erde auf einer polaren Umlaufbahn umkreist. Sciamachy beobachtet das Licht am Erdboden und in der Atmosphäre in infraroten, sichtbaren und ultravioletten Bereich. Die Messwerte für jede beobachtete Lichtfarbe werden vom Satelliten zur Bodenkontrolle heruntergefunkt. Sciamachy-Projektleiter John Burrows:

    Was man letztendlich bekommt, ist Intensität pro Wellenlänge.

    Alle Gase haben im Lichtspektrum ihr spezielles Balkenspektrum, vergleichbar mit dem Barcode auf den Etiketten des Supermarktes. An ihren Spektrallinien lassen sie sich nachweisen. Sciamachy funkt für jede Spektrallinie einen 16-Bit-Wert herunter. Diese Daten müssen aber erstmal verarbeitet werden. Das ist rechenzeitintensiv und erfordert unter Umständen auch den Einsatz von Großrechnern. Professor Justus Notholt:

    Die Auswertung ist leider nicht so einfach, denn hier handelt es sich um so genannte iterative Prozesse. Wir folgen dem Weg eines Lichtteilchens durch die Atmosphäre. Das heißt, was wir immer haben, ist ein so genannter Anfangszustand. Dann passiert mit diesem Lichtteilchen etwas in der Atmosphäre. Wir kommen zu einem Endzustand. Dieser Endzustand ist aber nicht am Instrument, sondern immer noch oben in der Atmosphäre. Und dieser Endzustand stellt sozusagen den Anfangszustand der nächsten Gleichung dar. Diese Rechnungen sind einfach sehr zeitaufwendig, weil sie immer und immer wiederholt werden müssen.

    Ein Verfahren, das dem Raytracing aus Computergrafik ähnelt, bei dem ebenfalls die Wege von Lichtstrahlen nach physikalischen Gesetzen ausgewertet werden. Anders als in der Computergrafik geht es am Ende jedoch nicht um die Helligkeit und Farbe von Bildpunkten, sondern um die Konzentration von Gasen am beobachteten Punkt in der Atmosphäre. Professor John Burrows:

    Mit unserem Verständnis der Physik, der Strahlungstransfer- oder Strahlungstransportphysik, können wir jetzt anhand der Menge Licht, die eigentlich wie eine Farbe ist, sagen, diese Farbe gehört zu einem bestimmten Gas. Es ist viel Gas da, wenn die Farbe stärker ist, oder weniger, wenn sie schwächer ist.

    Damit ist die wissenschaftliche Arbeit aber noch nicht erledigt. Auf Weltkarten werden die Konzentrationen der gemessenen atmosphärischen Spurengase eingetragen. Diese Daten lassen sich nun mit den Vorstellungen vergleichen, die sich die Physiker inzwischen über die Vorgänge in der Atmosphäre gemacht haben. Je präziser diese Vorstellungen von den Messwerten gedeckt werden, desto genauer sind die Aussagen über künftige Ereignisse und ihre Auswirkungen auf unsere Lufthülle. Dazu Justus Notholt:

    Die Kunst in der Satellitenauswertung liegt eigentlich darin, diese enormen Datenmengen schnell zu verwalten. Die physikalischen Gesetze, die dahinter stehen, die kennt man mittlerweile eigentlich relativ gut. Aber das Problem ist, das Sciamachy-Instrument alleine liefert pro Sekunde 500 Kilobit an Daten, und die müssen einfach verarbeitet werden. aus diesen Unmengen an Daten, die dort verarbeitet werden, müssen wir uns den Teil, der uns interessiert, sozusagen rauspicken und den weiter verarbeiten. Und das ist eben eine große Herausforderung an die Rechenleistung.