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Die Erfindung der Zukunft

Die Design-Revolten der 60er Jahre waren ohne Technik-Begeisterung, ohne neue Kunststoffe und Verarbeitungsweisen nicht zu denken. Plastik konnte in alle möglichen Formen gebogen, ein hedonistisches Lebensgefühl in gerundeten Sitzkuhlen ausgedrückt werden. Das war dann die Zeit spaciger und hippiesker Einrichtungsgegenstände, wie Joe Colombo sie erfand: Colombo gehörte in Mailand zu einer Gruppe junger Maler, die den Schrecken der Atombombe expressiv umsetzten, bevor er zu entwerfen begann. 1971 starb er, nur 41 Jahre alt. Seinem Oeuvre widmet jetzt das Vitra Design Museum in Weill am Rhein die erste Retrospektive.

Von Christian Gampert |
    Es geht die Sage, dass Joe Colombo sehr gern Kubricks "Odyssee im Weltraum" ausgestattet hätte. Und das hätte zu ihm gepasst: "spacig" - weltraumgeeignet - ist seine gesamte Innenarchitektur vor allem der späteren 1960iger Jahre: Wohnzimmer als Raumschiff-artige Kombüsen, hippieske Liegelandschaften und Möbel mit integrierten Fernsehern und Radios - das Informationszeitalter hatte bei Colombo längst begonnen. Als er 1971 mit nur 41 Jahren starb, hinterließ er ein seltsam abgeschlossenes Oeuvre, das er in der Rekordzeit von zehn Jahren kreiert hatte. Nach der Mondlandung ließ allerdings auch die Weltraumhysterie ziemlich nach, und Colombo geriet in Vergessenheit. Erst jetzt findet eine erste große Retrospektive auf sein Werk statt, und der Kurator Mateo Kries präsentiert im "Vitra Design Museum" in Weil am Rhein nicht nur Meisterstücke kühl-rationalen italienischen Designs, sondern beschreibt auch den erstaunlichen Lebensweg eines Vielbegabten.

    Joe (eigentlich Caesare) Colombo hat als Maler angefangen. Ab 1951 gehörte er in Mailand zur Gruppe der jungen "nuklearen Maler", die auf die Hiroshima-Bombe reagieren und gefährliche Ur-Energien sichtbar machen wollten, atonal, surreal, abstrakt-expressionistisch-aktionistisch. Fontana und Manzoni gehörten zu den Mentoren der Gruppe.

    Aber Colombo langweilte sich bald; er machte Jazz, betrieb eine Bar, fuhr schnelle Autos und entwarf Karosserie-Designs, er war ein fanatischer Skiläufer und dachte sich sofort neue Ski-Bindungen aus, er studierte Architektur ohne Abschluß, baute trotzdem ein Haus, plante utopische Landschaften, bei denen die Industrie konsequent unter die Erde verlegt sein sollte, er wollte die mittelalterlichen italienischen Städte mit moderneren Stadtteilen einfach brückenartig überbauen und entwarf kugelförmige Behausungen, die sich nach der Sonne drehen würden.

    Ein Verrückter also. 1961 begann er als Designer, zwei Jahre später war er ein Star. Es ist nicht nur der runde, in einer großen Schale luxuriös gepolsterte "Lounge Chair Elda", der ihn berühmt machte und in dem der Pfeifenraucher Colombo genießerisch posierte. Es sind vor allem die bescheiden-formschönen, mit einem neuartigen Spritzgussverfahren hergestellten "Universale"-Stühle, die er 1967 serienreif machte und in hoher Auflage vertrieb. Das war seine Gabe fürs Volk. Daneben aber gab es die klassische Design-Eleganz jenes Sessels, der nur als organisch geformten Schichtholz-Elementen bestand, die ohne jede Schraube ineinandergesteckt wurden.

    Colombo hatte gut begriffen, dass er sich für den Erfolg auch als Person vermarkten musste - und er tat das mit Vergnügen. Seine eigene Wohnung hat er stets als eine Art Schaufenster geführt, immer wieder neu ausgestattet und umgebaut, immer neue Wohnungen bezogen, die immer raumschiffähnlicher wurden. Bald gab es bei ihm nur noch Multifunktions-Räume und flexible Containermöbel, die Unterschiedlichstes enthielten. Das ganze Haus sollte zur Wohnmaschine werden. Was Jahre später bei dem Theaterregisseur René Pollesch als Alptraum auftaucht, das vollautomatisierte, jeden Wunsch erfüllende Haus, das "Smart House", das war für Colombo noch schöne Utopie.

    Mit seinem jüngeren Bruder, dem Op-Art-Künstler Gianni Colombo, hat er eine geniale Lampe entworfen, eine Leucht-Skulptur, die das Licht über gewölbtes Plexiglas leitet und dann bündelt. Aber es gibt auch die Kombinationsmöbel, aus mehreren Röhren bestehende Sessel zum Beispiel, nach Belieben verschiebbar und neu zusammensetzbar, auf spielerische Weise benutzerfreundlich.

    Daneben aber entwarf er Fluggeschirr für die Alitalia, eine ausklappbare Armband-Uhr für Autofahrer (braucht man sowas?) oder zweiseitig verwendbare Glaser: oben für Wasser, unten für Wein. Solche Spinnereien sind aber immer begleitet von sehr ernsthaften, zum Teil mit soziologischen Modellen grundierten Überlegungen, welche Funktionseinheiten des Wohnens, welche Lebensbereiche wo wie ineinandergreifen und wie man sie neu denken könnte.

    Neu waren zum Beispiel die Liegelandschaften, die von heute aus gesehen eher der Hippie-Kultur anzugehören scheinen, die damals bei jeder Design-Messe aber Menschenaufläufe auch der Reichen verursachten. Im Vitra Museum kann man in einem Film Menschen der 1960iger Jahre beim Probeliegen beobachten, in Minirock, längeren Haaren und mit seltsamen Brillen. Aber Colombo verblüffte auch mit der Idee, Liegesofas um Wohnzimmertische zu gruppieren. Nach dem Essen sollst du ruhen...während die Speisen zum Warmhalten im Eßtisch versenkt werden konnten.

    1969 entwarf Colombo ein "Cabriolet Bed", ein Bett mit herunterklappbaren Dach, das für das traute Paar das Schlafzimmer bildete - mit Radio und Leselampe und Bücherboard. Dieses Bett stand auch in seinem letzten eigenen Appartement, ebenso wie der niedrig oder hoch einstellbare "Multi Chair" und der drehbare "Rotoliving"-Tisch-Schrank, der sich vom Essmöbel in eine Bar verwandeln ließ.

    Manche dieser Einfälle tauchen in dem Gesamtkonzept "Visiona" wieder auf: vier Wohnfunktionen in einem großen Raum, eine eiförmig ausgebeulte Badezelle, eine Schlaf- und Sitz-Landschaft, eine Mini-Küche, eine Arbeitsecke. Komprimiert, richtig zusammengepresst hat Colombo das dann in seinem "Total Furnishing Unit", der heute eher als studentische Wohnkombüse für Reiche durchgehen würde, damals aber als Inbegriff des Fortschritts galt.

    Manchmal kann man ein bisschen Angst bekommen vor der futuristischen Totalität dieses Denkens. Aber Colombo ist originell: organische Formen, gepaart mit absoluter Rationalität - das Weltraum-Design der 1960iger Jahre.