Paul Klee ist insofern ein Sonderfall, als in seinem Spätwerk politische und persönliche Katastrophe in eins fallen. Die Machtübernahme der Nazis wird bei ihm begleitet von einer unheilbaren Krankheit, der Sklerodermie. Es ist eine Erkrankung des Autoimmunsystems: Der Körper kann zwischen eigenen und fremden biochemischen Mustern nicht mehr unterscheiden, er wendet die Abwehrkräfte gegen sich selbst.
Es bietet sich an, das psychodynamisch zu interpretieren. Denn auch der deutsche Widerstand paralysierte sich selbst. Wichtiger aber ist zu betrachten, was dieser ausgezehrte; geschwächte Künstler daraus machte: nach einer Phase der Passivität folgte im Schweizer Exil ein kreativer Schub ohnegleichen.
Hier setzt das Konzept der Fondation Beyeler an: Zu zeigen, wie aus den relativ fröhlichen, pointillistischen Farbexperimenten der Düsseldorfer Zeit, wo Klee von den Nazis bald seines Lehrstuhl enthoben wird, ein ganz neues Zeichensystem entwickelt wird, ein System der die Farbflächen begrenzenden dicken schwarzen, traurigen Linien. Philippe Büttner, der die Ausstellung koordiniert hat, hält das für eine geniale Erfindung – und für die Inszenierung auch eines privaten Dramas:
Das Beeindruckende ist, dass dann auch vom Bildaufbau etwas ganz Neues geschieht. Mit diesen Strichen kann er alles machen: er kann Symbole, Zeichen machen, er kann Figuren machen, er kann abstrakte Raster damit machen. Er hat also eine Bildsprache, die wichtige Stränge der Moderne kombiniert, aber die ganz persönlich seinen eigenen Zwecken dienen kann. Und er hat eine Sprache, in der er alles mit dem gleichen System machen kann. Er kann in alle Richtungen gehen, ohne dass er die Bildsprache wechseln muss, mit diesen schwarzen Strichen.
Da sitzt also einer in Bern, in der Provinz, abgeschnitten von der Politik und den Kunstzentren, und kämpft ganz still vor sich hin: gegen die Krankheit und, vielfach verschlüsselt, gegen die Nazis, die auch eine Krankheit sind. Und dabei gewinnt er eine neue Virtuosität: Klee, bei dem im Frühwerk manches noch kalkuliert wirkt, auch in seiner scheinbaren Kindlichkeit, kann sich nun ganz den inneren Rhythmen überlassen. Es ist sozusagen das reife Kind, das sich selber beim Spielen zuschaut, das der menschlichen Figur immer verhaftet bleibt, aber sie ausdünnt in ihre abstrakten Determinanten.
Also, Picasso figürlich, Kandinsky abstrakt, Mondrian abstrakt, und der Klee geht einfach hin und will gar nicht das eine oder das andere. Sondern seine Zeichensprache ist nur sinnvoll wenn man sie versteht als die Möglichkeit, ständig zu wechseln vom einen in das Andere. Er kann also ständig vom Zuständlichen ins Figurale, ins Burleske gehen, wieder zurück in ein abstraktes Raster zum Rhythmisieren – es ist eine unglaubliche Freiheit, die er hat.
Es gibt im Spätwerk also nicht mehr jene leeren Traumräume, sondern sorgsam aufgeteilte Bildflächen von einer bisweilen bereits jenseitig, wenn man das so pathetisch sagen darf, leuchtenden Farbigkeit. Klee zeigt uns den politisch und von der Krankheit "Gezeichneten", ein von scharfen Linien zerfurchtes Mondgesicht, ebenso lakonisch wie die blauenden, kühlen Muster einer Stadt oder die ganz ins Gestische gebrachten Arme eines Paukenspielers, der schon die Todestrommel rührt.
Die Musik, die der Violinist Klee wegen der Krankheit aufgeben musste, sie spielt nun in den Bildern: Die Formate des einstigen Miniaturisten werden größer, der vormalige Kammermusiker bekommt sinfonische Anwandlungen, die schwarzen Gitterstäbe der Bilder zerfallen zu tanzenden, sichelartigen, buchstabenartigen Fragmenten im freien Raum. Die maskenhaft verdickte Gesichtshaut, die der kranke Klee an sich selbst bemerkt, taucht in den Bildern auf und wird in einer zweiten Gesichtshälfte dann meist spielerisch variiert – als wenn dem militärisch oder schreckhaft Erstarrten der Homo ludens gegenüberstünde.
Die Ausstellungsmacher schlagen motivische Brücken: die noch in einer Landschaft stehenden "Erdhexen" von 1938 werden neben die in die Nahaufnahme gerückten "Waldhexen" gehängt; die Wiederaufnahme einzelner Formen, etwa ein Augenspiel, werden über mehrere Werke verfolgt.
Die Ausstellung widerlegt auch Klees Selbstkritik, sein Werk habe zu wenig Leidenschaft. Gerade in den letzten Bildern, in dem gestrandeten, traurigen, skelettierten Fisch, dem scheinnaiv bunten, aber labyrinthischen Hafen, vor allem aber in dem von einem lodernden Widerschein umrahmten bleichen Krankengesicht aus "Tod und Feuer" glüht die Kraft eines Künstlers, der seinem Sterben und dem politischen Sterben einer Kultur ein paar letzte angstvolle Formeln abgewinnt.
Wir, die Überlebenden, sollten das ansehen.
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1658.html
Es bietet sich an, das psychodynamisch zu interpretieren. Denn auch der deutsche Widerstand paralysierte sich selbst. Wichtiger aber ist zu betrachten, was dieser ausgezehrte; geschwächte Künstler daraus machte: nach einer Phase der Passivität folgte im Schweizer Exil ein kreativer Schub ohnegleichen.
Hier setzt das Konzept der Fondation Beyeler an: Zu zeigen, wie aus den relativ fröhlichen, pointillistischen Farbexperimenten der Düsseldorfer Zeit, wo Klee von den Nazis bald seines Lehrstuhl enthoben wird, ein ganz neues Zeichensystem entwickelt wird, ein System der die Farbflächen begrenzenden dicken schwarzen, traurigen Linien. Philippe Büttner, der die Ausstellung koordiniert hat, hält das für eine geniale Erfindung – und für die Inszenierung auch eines privaten Dramas:
Das Beeindruckende ist, dass dann auch vom Bildaufbau etwas ganz Neues geschieht. Mit diesen Strichen kann er alles machen: er kann Symbole, Zeichen machen, er kann Figuren machen, er kann abstrakte Raster damit machen. Er hat also eine Bildsprache, die wichtige Stränge der Moderne kombiniert, aber die ganz persönlich seinen eigenen Zwecken dienen kann. Und er hat eine Sprache, in der er alles mit dem gleichen System machen kann. Er kann in alle Richtungen gehen, ohne dass er die Bildsprache wechseln muss, mit diesen schwarzen Strichen.
Da sitzt also einer in Bern, in der Provinz, abgeschnitten von der Politik und den Kunstzentren, und kämpft ganz still vor sich hin: gegen die Krankheit und, vielfach verschlüsselt, gegen die Nazis, die auch eine Krankheit sind. Und dabei gewinnt er eine neue Virtuosität: Klee, bei dem im Frühwerk manches noch kalkuliert wirkt, auch in seiner scheinbaren Kindlichkeit, kann sich nun ganz den inneren Rhythmen überlassen. Es ist sozusagen das reife Kind, das sich selber beim Spielen zuschaut, das der menschlichen Figur immer verhaftet bleibt, aber sie ausdünnt in ihre abstrakten Determinanten.
Also, Picasso figürlich, Kandinsky abstrakt, Mondrian abstrakt, und der Klee geht einfach hin und will gar nicht das eine oder das andere. Sondern seine Zeichensprache ist nur sinnvoll wenn man sie versteht als die Möglichkeit, ständig zu wechseln vom einen in das Andere. Er kann also ständig vom Zuständlichen ins Figurale, ins Burleske gehen, wieder zurück in ein abstraktes Raster zum Rhythmisieren – es ist eine unglaubliche Freiheit, die er hat.
Es gibt im Spätwerk also nicht mehr jene leeren Traumräume, sondern sorgsam aufgeteilte Bildflächen von einer bisweilen bereits jenseitig, wenn man das so pathetisch sagen darf, leuchtenden Farbigkeit. Klee zeigt uns den politisch und von der Krankheit "Gezeichneten", ein von scharfen Linien zerfurchtes Mondgesicht, ebenso lakonisch wie die blauenden, kühlen Muster einer Stadt oder die ganz ins Gestische gebrachten Arme eines Paukenspielers, der schon die Todestrommel rührt.
Die Musik, die der Violinist Klee wegen der Krankheit aufgeben musste, sie spielt nun in den Bildern: Die Formate des einstigen Miniaturisten werden größer, der vormalige Kammermusiker bekommt sinfonische Anwandlungen, die schwarzen Gitterstäbe der Bilder zerfallen zu tanzenden, sichelartigen, buchstabenartigen Fragmenten im freien Raum. Die maskenhaft verdickte Gesichtshaut, die der kranke Klee an sich selbst bemerkt, taucht in den Bildern auf und wird in einer zweiten Gesichtshälfte dann meist spielerisch variiert – als wenn dem militärisch oder schreckhaft Erstarrten der Homo ludens gegenüberstünde.
Die Ausstellungsmacher schlagen motivische Brücken: die noch in einer Landschaft stehenden "Erdhexen" von 1938 werden neben die in die Nahaufnahme gerückten "Waldhexen" gehängt; die Wiederaufnahme einzelner Formen, etwa ein Augenspiel, werden über mehrere Werke verfolgt.
Die Ausstellung widerlegt auch Klees Selbstkritik, sein Werk habe zu wenig Leidenschaft. Gerade in den letzten Bildern, in dem gestrandeten, traurigen, skelettierten Fisch, dem scheinnaiv bunten, aber labyrinthischen Hafen, vor allem aber in dem von einem lodernden Widerschein umrahmten bleichen Krankengesicht aus "Tod und Feuer" glüht die Kraft eines Künstlers, der seinem Sterben und dem politischen Sterben einer Kultur ein paar letzte angstvolle Formeln abgewinnt.
Wir, die Überlebenden, sollten das ansehen.
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