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Die Eroberung des Körpers

Böhme: Ja, zunächst muss man sagen, dass man in Deutschland nicht unbedingt moralische Argumente bemühen muss, weil das Klonen gesetzlich verboten ist, und darauf kann man sich zunächst mal berufen. Wenn Sie sagen, dass das Klonen gewissermaßen eine letzte Konsequenz einer Entwicklung ist, die sich in Europa schon seit Jahrhunderten anbahnt, dann würde ich dem zustimmen, und zwar kann man wohl sagen, dass die Hauptlinie der europäischen Entwicklung, was die Mensch-Natur-Beziehung angeht, unter dem Stichwort Emanzipation steht. Der Mensch möchte sich von der Natur emanzipieren, und dieses Programm hat nun inzwischen die eigene Natur, das heißt den menschlichen Leib erreicht. Der Mensch möchte also auch nach Möglichkeit von den Bedingungen seiner leiblichen Existenz frei sein. Das ist also ein altes Projekt, was gewissermaßen jetzt ins Ziel trifft. Insofern kann man auch sagen, dass das Vorgehen von Antonori überhaupt nichts Neues ist, sondern im Grunde altmodisch. Die Zukunft liegt woanders.

Gernot Böhme, Professor für Philosophie in Darmstadt, im Gespräch. |
    Schäfer-Noski: Der Eingriff des Menschen in die Natur lässt ja auch immer weniger Möglichkeiten für sozusagen natürliche Entwicklungen offen. Steht uns da jetzt das Ende des Kreatürlichen bevor?

    Böhme: Nein, das würde ich überhaupt nicht sagen. Wir haben gerade im Geburtssektor eine interessante Entwicklung schon hinter uns. In den 70er Jahren gab es ja die sogenannte programmierte Geburt, wo die Ärzte nach Optimierungsgesichtspunkten die Geburt künstlich einleiten und medikamentös durchführen wollten. Dagegen hat sich ein erheblicher Widerstand der Frauen formiert unter dem Stichwort 'natürliche Geburt', und zwar mit Erfolg. Heute wird dieses Programm selbst an Kliniken nicht mehr propagiert, das heißt man kann sagen, dass hier der Kampf der Betroffenen, nämlich der Frauen, um ihre eigene Natur, die Natürlichkeit der Geburt, erfolgreich war.

    Schäfer-Noski: Sie haben einen Aufsatz über Körperkult geschrieben. Von Wellness, Gesundheitselite, Schönheitschirurgie ist ja überall zu hören. Inwieweit gehört denn dieses jüngste Antinori-Experiment auch in diesen Zusammenhang?

    Böhme: Man könnte es sozusagen unter die allgemeine Ideologie subsumieren. Das Problematische an diesem Körperkult ist, dass die Selbststilisierung des Menschen, die dort stattfindet, sich im Grunde nur an der äußeren Erscheinung orientiert, das heißt am Blick des anderen, und das heißt, dass die Erfahrung des Leibes von innen da übergangen wird, und man sich sozusagen selber zu etwas Fremden macht.

    Schäfer-Noski: Ich denke, mit dem Gen-programmierten Menschen ist aber auch doch genau das gemeint, nämlich dass man dann sagt, das Kind soll blond sein, soll blauäugig sein, soll so und so groß sein, soll die und die Vorzüge haben, denn das Charakter-Gen ist ja noch nicht so sehr entschlüsselt.

    Böhme: Ja, das sind verhängnisvolle Entwicklungen, und man muss sehen, dass die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Medizin das in Kürze alles ermöglichen wird, und insofern ist es also sehr wichtig, dass man unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde hier Widerstand leistet. Was Deutschland angeht, kommt natürlich das historische Argument dazu, dass mit der Idee der Eugenik ein haarsträubender Missbrauch in der Zeit stattgefunden hat, also dass hier eine staatliche Lenkung des reproduktiven Verhaltens der Menschen erzwungen wurde.

    Schäfer-Noski: Die Entwicklung scheint ja ganz im Sinne der Optimierung der Natur zu gehen. Andrerseits glaubte man ja immer schon das Ende der Technikgläubigkeit erreicht. Ist das denn in diesem Bereich der Biotechnik noch in weiter Ferne?

    Böhme: Ich glaube, dass das optimistische Programm hier allmählich zurückgenommen wird. Denken Sie daran, dass mit der sogenannten Entschlüsselung des menschlichen Genoms ja keineswegs die ursprünglich damit verbundenen Hoffnungen erfüllt werden konnten. Im Gegenteil, die Genforscher haben uns jetzt klargemacht, dass die Entschlüsselung noch keineswegs ein Handwerkszeug zur Bekämpfung von Krankheiten bereitstellt, weil nämlich sich inzwischen herausgestellt hat, dass die Wirkung von Genen auf dem Phänotyp keineswegs monokausal ist, sondern dass die Umweltfaktoren eine große Rolle spielen.

    Schäfer-Noski: In der Kritik von Politikern an Antinori ist von menschlicher Hybris die Rede. Inwieweit gibt es aus Ihrer Sicht auch eine natürliche Grenze für diese Entwicklung zum perfekten Menschen? Sie haben das gerade schon etwas angedeutet.

    Böhme: Man kann nicht sagen, dass es eine natürliche Grenze gibt. Ich würde sagen, man muss die Grenze kulturell setzen. Die Möglichkeiten der Selbstmanipulation des Menschen sind im Grunde beliebig steigerbar, und wenn es nicht einen inneren Widerstand, also von Seiten der Anthropologie, der Ethik und des Rechtes gibt, dann macht der Mensch sich selbst zur Maschine.

    Schäfer-Noski: Vielen Dank für das Gespräch.

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