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Die erstaunliche Kraft des poetischen Realismus

Emil Jakob Schindler war ein österreichischer Landschaftsmaler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er entwickelte eine eigene Stimmungsmalerei und setzte sich mit dem Aufeinandertreffen von vorindustrieller und moderner Welt auseinander. Das Wiener Belvedere widmet ihm eine Ausstellung.

Von Beatrix Novy |
    Das Wasser ist still, schwer und dunkel, Seerosen schweben auf der düsteren Oberfläche, Bäume schicken vom Ufer her ihre Äste und Lianen herüber, gedeckte Farben verschwimmen ineinander; nur sehr wenig Himmel lässt das Pflanzengewirr frei, den kleinen Ausschnitt in der Bildmitte hat der Mond sich ausgesucht, um hier, da hat der Maler sicher im Atelier nachgeholfen, aufzugehen und sich im Wasser zu spiegeln. Eine sumpfige Urlandschaft vor aller Zivilisation, so sieht das aus.

    Aber es sind nur die Donauauen im Wiener Prater, die auch 1877, als dies Bild entstand, der Zivilisation schon ziemlich nah waren, so nah, dass sie zum Verschwinden durch Regulierung verurteilt waren.

    Emil Jakob Schindler malte sie illusionslos, im Bewusstsein, etwas demnächst Vergangenes festzuhalten, das zwingend dem Fortschritt, also der Begradigung des Flusses weichen würde. Auch ohne den Hintergrund zu kennen: Aus dem magischen Bild spricht das Melancholische so unmittelbar-ergreifend, dass der Begriff "Stimmungsimpressionismus" sich von allein erklärt – unter ihm werden die österreichischen Landschaftsmaler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versammelt, die von Schindler mitgeprägt wurden, obwohl es eher die Schule von Barbizon war, die ihn und andere inspirierte.

    Ganz weit weg waren sie schon von der Pomp- und Historienmalerei eines Hans Makart, der noch mächtig wirkte in Wien, und immerhin ein Bild des Makart-Freundes Schindler scheint dieser herrschenden Mode nahezukommen: Pax heißt es, Friede, es zeigt einen Friedhof tief unter aufragenden Felsen, Grüfte und Grabskulpturen, beängstigend überragt von Zypressen und entfernten Berggiganten, ein einsamer Priester zündet Kerzen an.

    Nicht zufällig bekam Schindler für dieses sinister-pathetische Großwerk im Wien des Fin de Siècle zweimal einen Preis; aber mit den anderen Werken in dieser Ausstellung hat es nicht viel zu tun. Die Paysage intime, die genauestens besehene Landschaft, kommt ohne exzentrische Zugaben aus, es genügt ein Blumengarten im Dorf Weißenkirchen, eine Brücke bei Goisern, eine Kartoffelernte auf dem platten Land. "Für mich muss alles erzählen in der Natur", schrieb Schindler, "und es erzählt auch alles, nur die Villenreihe erzählt gar nichts mehr".

    Mit der Verstädterung verschwindet die Gemeinschaft von Mensch und Natur, wie Schindler sie noch im "übersponnenen Bauernhaus, der Mühle, der Schmiede" finden wollte, diese "poetischen Reste", soweit auffindbar, wollte er der Nachwelt überliefern. Fast immer gehen, stehen, arbeiten Menschen in Schindlers Bildern, aber nur klein, von fern, meist vereinzelt, sie stören nicht in diesen Landschaften, die Luft, Sonnenlicht, Regen, Wind, Nässe, Kälte geradezu atmen. Eine Sägemühle im Morgennebel kehrt dem Betrachter unfreundlich ihre hohe Mauer zu, eine Gestalt rackert auf hohen Planken – hier ist der Mensch schon ein Rädchen im Getriebe der technischen Zivilisation, aber das Bild ist nicht weniger stimmungsvoll als das mit der romantischen Brücke und dem Schäfer.

    Das Aufeinandertreffen von vorindustrieller und moderner Welt gehörte zu den Themen des sehr reflektierten Malers Schindler, sein poetischer Realismus war eben in erster Linie Realismus. Ein und dieselbe Landstraße zu verschiedenen Jahreszeiten, Bäume wie aufgepeitschte Lebewesen im Sturm, die Gischt am Strand von Sylt. Hier, auf Sylt, starb, nur 50 Jahre alt, Emil Jakob Schindler, an einer – heute würde man sagen: dummen Blinddarmentzündung. Er hinterließ zwei Töchter, eine davon war Alma, die später Mahler-Werfel heißen sollte.

    Mit dieser Ausstellung setzt das Belvedere seine Entdeckungsreise durchs 19. Jahrhundert fort; allmählich konzediert man Eigenwert auch dem, was lange unter ferner liefen abgehakt war, nur weil es nicht geradewegs auf die Moderne hinführte. Da spielt wohl auch der boomende Kunstmarkt, ständig auf der Suche nach Stoff für seine Auktionen, eine Rolle. Entlegen, unbekannt allerdings war Emil Jakob Schindler nie; aber erst diese Ausstellung gibt ihm einen Platz auch in unserer Gegenwart.