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Die ETA und ihr politisches Umfeld

Finstere Minen auf dem Rathausplatz im nordspanischen Guerníca. Baskische Fahnen wehen im Wind. Entschlossen recken knapp 500 Menschen die Fäuste in die Luft und schreien ihren Wunsch nach Unabhängigkeit hinaus. Junge Leute sind gekommen, aber auch Greise, die die Bombardierung der Stadt durch die deutsche Wehrmacht am 28. April 1937 erlebt haben. Die nationalistische baskische Partei Éuskal Álkartasuna– zu deutsch "baskische Solidarität" – hatte zur Kundgebung aufgerufen. Eine von zwei demokratischen nationalistischen Parteien, die im Baskenland gemeinsam regieren.

Hans-Günter Kellner |
    Die Parteivorsitzende Begoña Erazti spricht vom "versuchten Völkermord", den die Faschisten am baskischen Volk verüben wollten. Guerníca sei aber auch ein Symbol für die Freiheit des Baskenlandes und für die derzeitige "schlimme Situation", unter der ihr Volk heute wieder leide.

    Die Politikerin meint damit den Versuch auf mehreren Ebenen, die Partei Batasuna zu verbieten. Batasuna gilt in Spanien als politischer Arm der ETA. Die nationalistische Botschaft kommt an. Die Spanier lebten nur vom Fleiß der Basken und wollten Euskadi, so der baskische Name der Region, vernichten, sagt ein alter Mann überzeugt.

    Nicht alle Basken sehen in der beabsichtigten Illegalisierung Batasunas einen Angriff auf ihr Land. Auf der einen Seite erklären viele, die Unterstützung der ETA durch Batasuna sei "ein offenes Geheimnis". Auf der anderen Seite sehen sie aber auch, dass bei den letzten Regionalwahlen vor drei Jahren immerhin noch zehn Prozent der Wähler Batasuna ihre Stimme gaben.

    Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, bekannt aus seinen Ermittlungen gegen den ehemaligen chilenischen Diktator Augusto Pinochet, hatte Batasuna bereits im August alle Aktivitäten untersagt. Batasuna ist für Garzón ein Teil der ETA. Die ETA kämpft bereits seit 1953 mit Waffengewalt und Terror für ein unabhängiges Baskenland und hat seither mehr als 800 Menschen getötet.

    Garzón glaubt nun, in 343 Fällen nachgewiesen zu haben, dass Batasuna von der ETA kontrolliert wird. Die Batasuna-Führung werde von ETA bestimmt. Die politische Strategie sei eng mit der militärischen verknüpft. So heißt es in einem Schreiben der ETA an den Batasuna-Vorstand:

    Du bittest uns um Informationen zur Musik. Wir verstehen diese Bitte vollkommen. Aber es ist sehr schwierig, konkrete Angaben zu machen. Wir sind ständig damit beschäftigt und bereiten viele und schöne Sachen vor. Für wann? Wir denken, wir werden schöne Ferien für diesen Sommer vorbereiten. Aber vielleicht können wird auch schon vorher einige Akkorde spielen.

    Garzón wirft Batasuna vor, Attentate abzusprechen, baskische Lokalpolitiker als Opfer auszuwählen und der ETA auch als Kassierer zu dienen. Zu den wichtigsten Einnahmequellen der Gruppe zählt neben vielen augenscheinlich legalen Unternehmen auch die so genannte "Revolutionssteuer". Diese Abgabe wird von baskischen Unternehmern erhoben. Wer nicht zahlt, muss mit seiner Entführung oder Ermordung rechnen. In einem Erpresserbrief an einen baskischen Unternehmer heißt es:

    Die Forderung, die wir an Sie richten, hat keine persönliche oder kollektive Bereicherung zum Ziel, sondern dient alleine der Entwicklung einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft. Dies wird durch den Einsatz und die Großzügigkeit der Mitglieder unserer Organisation belegt, die, wie sie wissen, diese Anstrengung mit den langen Jahren des Kampfes, Gefängnis und sogar mit dem eigenen Leben bezahlen.

    Und zur Abwicklung der Zahlung heißt es:

    Um die Zahlungsmodalitäten zu klären, ist es notwendig, dass Sie sich mit den üblichen nationalistischen Kräften innerhalb einer Frist von 15 Tagen in Verbindung setzen. Es ist wohl überflüssig zu sagen, dass Sie der Polizei nichts von dieser Forderung berichten. Ansonsten hätten Sie mit schmerzhaften Folgen zu rechnen. In Erwartung Ihrer Antwort grüßen wir Sie Hochachtungsvoll.

    Mit den "üblichen nationalistischen Kräften" zur Klärung der Zahlungsmodalitäten meinen die Autoren des Briefs Batasuna, ist Garzón überzeugt. Schließlich hält ETA jeden, der nicht Batasunas Vorstellungen teilt, für einen Feind des baskischen Volkes.

    Im Batasuna-Büro im baskischen Parlament in Vitoria erinnert nichts an eine Terrorgruppe. Faxe surren, Telefone klingeln, Abgeordnete rennen rein und raus. Die Partei ist zwar verboten, die gewählten Abgeordneten haben ihre Sitze aber behalten. Garzón gilt hier als Erfüllungsgehilfe einer nationalen Offensive der konservativen Volkspartei und der spanischen Sozialisten, die die Basken nicht selbst über ihr Schicksal entscheiden lassen wollen. Die Abgeordnete Yone Goirizelaia wehrt sich gegen die Vorwürfe Garzóns:

    Das ist eine rein polizeiliche Hypothese, der versucht wurde, eine juristische Form zu geben. Die Entscheidungen Garzóns haben weder Hand noch Fuß. So etwas gibt es in ganz Europa nicht. Das ist keine juristische Entscheidung, sondern eine politische. Niemandem werden konkreten Straftaten vorgeworfen. Dafür stimmen die Thesen mit den Vorstellungen von bestimmten Bürgerinitiativen oder dem spanischen Innenministerium überein. Es handelt sich um eine abgesprochene Strategie.

    Das spanische Innenministerium ist für Batasuna also der eigentliche Drahtzieher hinter den Entscheidungen von Untersuchungsrichter Garzón. Für Batasuna hat das Innenministerium einen langen Arm: Es stecke nicht nur hinter Verhaftungen und Misshandlungen in den Gefängnissen, dem angeblichen Niedergang der baskischen Sprache, sondern auch hinter kritischer Berichterstattung in der spanischen und internationalen Presse.

    Der Zug nach Iparralde fährt durch eine idyllische Landschaft - Kühe auf grünen Weiden vor malerischen Landhäusern, dahinter hohe graue Berge. Iparralde - So nennen die Basken den französischen Teil ihrer Region. Jahrelang hatte ETA in dieser Gegend um die Städte Hendaye, Biarritz oder Bayone ein sicheres Rückzugsgebiet. Erst 1992 begann die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Spanien und Frankreich mit der Verhaftung der kompletten damaligen ETA-Führungsebene. Seither werden die meisten wirklich hochrangigen ETA-Terroristen in Frankreich verhaftet.

    Während im spanischen Baskenland die drei wichtigsten nationalistischen Kräfte bei den vergangenen Wahlen etwas mehr als die Hälfte der Stimmen bekamen, wählten auf französischer Seite bei den letzten französischen Parlamentswahlen nur zehn Prozent die Nationalisten.

    Dabei gibt es hier kaum vergleichbare Rechte, wie sie die Basken auf spanischer Seite haben. Während die spanische autonome Region Baskenland weitreichende Kompetenzen genießt, etwa mit großen Anstrengungen die baskische Sprache fördert, gibt es in Frankreich nicht einmal ein baskisches Departement. Batasuna zählt daher auch Frankreich zu den Unterdrückern ihres Volkes. Batasuna-Sprecher Xavi Lerralde in Bayone:

    Sie verweigern dem baskischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung, dass die Basken über ihren Status abstimmen dürfen. Die sogenannten demokratischen Politiker sagen immer nur, 'das Baskenland ist französisch’, oder: 'Das Baskenland ist spanisch’. Das ist mit den Zielen der linken baskischen Patrioten aber nicht vereinbar. Das ist die Philosophie der Jakobiner und des einen, großen und unteilbaren Spaniens.

    Ein unabhängiger Staat, der neben dem eigentlichen spanischen Baskenland auch die spanische Region Navarra und das französische Iparralde miteinschließt, ist das Ziel aller nationalistischer Parteien. Dieses Ziel soll über ein Referendum erreicht werden. So lange das Selbstbestimmungsrecht nicht umgesetzt ist, hält Batasuna die Gewalt der ETA für gerechtfertigt:

    Batasuna verurteilt aus zwei Gründen die Gewalt der ETA nicht: Erstens: Ihre Täter sind für uns keine Gauner oder Ganoven. Sie praktizieren die Gewalt aus politischen Gründen. Zweitens: Es gibt innerhalb von Batasuna zwar Debatten über diese Gewalt und den Typ von Anschlägen, aber keine öffentliche Kritik nach außen. Unserer Ansicht nach lebt des Baskenland in einer Situation der Unterdrückung. Unsere grundlegenden Rechte werden nicht anerkannt. Für uns ist in einer solchen Situation das Recht auf Revolte ein Menschenrecht. Dieses Recht auf Revolte ist ganz klar in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 festgeschrieben.

    Die Gewalt der ETA als Teil der Menschenrechte. So deutlich äußern sich Batasuna-Mitglieder selten und nur in Frankreich zum Thema Terrorismus. In Spanien könnten solche Äußerungen ein Verfahren wegen Volksverhetzung nach sich ziehen. Dort antworten die Batasuna-Sprecher auf die Frage nach der mangelnden Distanz zum Terror meist mit leeren Formeln:

    Die Gewalt ist eine Folge des politischen Konflikts im Baskenland

    oder resignierter:

    Eine Verurteilung bringt doch nichts.

    Xavi Lerralde erwartet, dass Spaniens Untersuchungsrichter Garzón auch auf ein Verbot Batasunas in Frankreich hinarbeiten wird. Auch deshalb schließt er aus, die spanischen Batasuna-Mitglieder könnten ihre Arbeit in Frankreich fortsetzen. Die soziale Basis Batasunas sei auch viel zu groß. Würden alle Batasuna-Leute über die Grenze kommen, drohe Frankreich gar ein demographisches Problem.

    Soweit die Sichtweise Batasunas. Realität ist aber auch: Trotz des internen Drucks auf die eigenen Mitglieder ist auch das ETA-Umfeld in Bewegung geraten. In diesem Sommer gründete sich die neue Partei "Aralar", eine Abspaltung interner Kritiker. Auch "Aralar" fordert die Unabhängigkeit. Doch Aralar distanziert sich deutlich von der ETA. Das ist neu im radikalen baskischen Separatismus. Aralar-Sprecher Iñaki Aldekoa über den bewaffneten Kampf:

    Das unterscheidet uns von der ETA auf radikale Weise. Worüber man in den 70er und 80er Jahren noch unterschiedlicher Meinung sein konnte, ist für uns heute keine Frage mehr. Der bewaffnete Kampf ist völlig unzulässig. Der spanische Staat ist heute – trotz aller Defizite - ein demokratischer Staat. Im Kampf um Fortschritte, um nationale Selbstbestimmung oder auch soziale Gerechtigkeit ist der bewaffnete Kampf in Europa, Amerika oder sonst wo völlig kontraproduktiv. Abgesehen von den perversen moralischen Veränderungen, die er immer bewirkt hat, ist er politisch einfach nicht sinnvoll.

    Mit solchen Ansichten konnte sich Aralar innerhalb Batasunas nicht durchsetzen. Die Politik müsse das Geschehen bestimmen, nicht der bewaffnete Kampf, fordert Aralar. Der Druck auf die Kritiker war schon groß, als sie noch zu Batasuna gehörten. Heute werden sie als Verräter bezeichnet.

    Der Versuch Garzóns, mit dem Strafrecht gegen Batasuna vorzugehen, der Partei eine organisatorische Einheit mit der ETA nachzuweisen, ist jedoch nur e i n Weg der Illegalisierung. Bisher sind solche Initiativen stets gescheitert. Die einstweilige Suspendierung der Aktivitäten durch Garzón ist noch lange kein endgültiges Verbot. Ein Urteil darüber fällt der Nationale Gerichtshof. Selbst wenn dieser Batasuna verbietet, bleibt der Partei noch der Gang zum Verfassungsgericht. Dort hat Batasuna bereits mehrmals wichtige Verfahren gewonnen.

    Spanien hat sich deshalb in diesem Jahr ein neues Parteiengesetz gegeben. Parteien dürfen nun Rassismus, Gewalt oder Terrorismus nicht unterstützen. Wenige Monate nach In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes tötete ETA an den spanischen Urlaubsstränden drei Menschen. Wie schon in der Vergangenheit, verurteilte Batasuna auch diesmal die Aktionen nicht. Die übrigen Parteien im Parlament in Madrid sahen dies als stillschweigende Unterstützung der ETA und verabschiedeten mit großer Mehrheit einen Verbotsantrag. Der Oberste Gerichtshof soll nun darüber befinden, ob Batasuna verboten werden kann. Gegen ein Urteil könnte Batasuna vor dem Verfassungsgericht Berufung einreichen.

    Zurück ins baskische Parlament. Der Regierungschef heißt hier "Lehendakari". Seit sechs Jahren steht Juan José Ibarretxe von der Baskischen Nationalistischen Partei der autonomen Regierung vor. Ibarretxe kritisiert mit harten Worten die Politik der spanischen Regierung und das angestrebte Verbot Batasunas. Er spricht von einer "demokratischen Rückentwicklung, einem Tunnel zurück zu autoritärem Gehabe und Zwang". Die Gewaltenteilung sei nicht mehr zu erkennen, Parlament und Justiz seien abhängig von der Zentralregierung. Selbst die spanischen Presse folge der von Madrid diktierten Vorstellung vom einzig möglichen Spanien.

    Doch nicht der Angriff gegen Regierung, Parlament, Justiz und Presse in Madrid wird nach Ende der Sitzung für Schlagzeilen sorgen. Was heute für internationale Aufmerksamkeit erregt, ist diese Forderung:

    Ausgehend von der Anerkennung unserer nationalen Identität und der Möglichkeit frei und demokratisch über unsere Zukunft zu entscheiden, schlagen wir eine neue Etappe in unseren Beziehungen zum spanischen Staat vor. Auf der Basis einer freiwilligen Assoziierung.

    Ein baskischer Staat, freiwillig assoziiert mit Spanien. Nicht etwa wie Bayern oder Sachsen. Der Lehendakari strebt ein Verhältnis zwischen dem Baskenland und Spanien an, so wie es beispielsweise zwischen der Dominikanischen Republik und den Vereinigten Staaten besteht. Er will seine Region in der Europäischen Union und internationalen Organisationen repräsentiert sehen.

    Nicht nur die großen spanischen Parteien lehnen diesen Vorschlag der demokratischen Nationalisten ab. Auch Batasuna betrachtet ihn als ein durchsichtiges Manöver: Die Baskische Nationalistische Partei und Euskal Alkartasuna hätten es auf die Stimmen der bisherigen Batasuna-Wähler abgesehen. Doch die Nationalisten haben im Baskenland nur die Hälfte der Bevölkerung auf ihrer Seite. Ebenso viele Basken sehen sich als Spanier und fürchten ein Selbstbestimmungsrecht, zumindest so lange ETA tötet. Es regt sich Widerstand.

    In San Sebastián demonstriert im Oktober die andere Hälfte. 100.000 Menschen sind einem Aufruf der Bürgerinitiative "Basta ya" – "Jetzt reicht’s" - gefolgt. Die große Zahl überrascht die Veranstalter. Die Region um die mondäne Stadt des Films ist eigentlich die Hochburg der Nationalisten.

    Zahlreiche Angehörige von Opfern der ETA sind gekommen, bedrohte Hochschulprofessoren und Lokalpolitiker der Sozialisten und Konservativen. Die Teilnehmer der Kundgebung werfen dem baskischen Ministerpräsidenten vor, sich mit seinem Plan zum baskischen Freistaat dem Diktat der ETA gebeugt zu haben. Wer sich als Spanier fühle, keine Unabhängigkeit wünsche und dies öffentlich sage, werde in der Region ausgegrenzt. Dies nennen sie "Zwangsnationalismus".

    Der Philosoph und Gründer der Initiative "Basta ya", Fernando Savater meint, im Baskenland herrsche ein allgemeines Klima der Angst. Der Vorschlag des Lehendakari sei nur nach einigen Jahren der Gewaltfreiheit diskutierbar. Bis dahin müssten ETA und ihr Umfeld jedoch die ganze Macht des Rechtsstaats treffen:

    Wir wollen ein Land, in dem niemand Angst um sein Leben haben muss, nur weil einigen seine Überzeugungen oder seine Art zu leben nicht gefallen. Was wir wollen, ist praktisch in ganz Europa selbstverständlich. Wir bitten um nichts besonderes. Wir kämpfen nur gegen absurde altertümliche Vorstellungen, die keinen Sinn machen im 21. Jahrhundert und im entwickelten und modernen Europa, einer Gemeinschaft mit freien Völkern. Es lebe die Demokratie für alle!