Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


"Die Etrusker gelten immer noch als rätselhaft"

Rästelhafte Inschriften, Türsteine als Grabdenkmäler und Porträtdarstellungen zeigen die Nähe und auch das Unterschiedliche der Etrusker als Vorläufer der römischen Kultur auf. Andreas Scholl, Direktor der Antikensammlung am Alten Museum Berlin, beschreibt die neue Dauerausstellung "Italia Antiqua" im Alten Museum.

Andreas Scholl im Gespräch mit Beatrix Novy | 11.07.2010
    Beatrix Novy: Ohne größeres Getöse hat Berlin ein neues Museum gewonnen, das schrieb die "Süddeutsche Zeitung" und meinte die erste Etage des Alten Museums auf der Museumsinsel. Dort sind seit Kurzem etruskische und römische Schätze der Antikensammlung aus- und aufgestellt, eine Sammlung der Hohenzollern, die seit dem 17. Jahrhundert angewachsen war, dann im 20. Jahrhundert durch Krieg und deutsche Teilung verloren und vor allem verstreut. Bislang vieles davon entweder gar nicht oder verteilt zu sehen – jetzt hat die etruskische und römische Kunst ihren Platz gefunden im Alten Museum. Andreas Scholl, den Direktor der Antikensammlung, habe ich zur neuen Dauerausstellung zunächst nach den Etruskern gefragt.

    Andreas Scholl: Die Etrusker gelten immer noch als rätselhaft, was vor allem ja damit zusammenhängt, dass die historische Überlieferung über die Kultur der Etrusker eine sehr, sehr dünne ist. Ein wesentlicher Umstand ist hierbei, dass erzählende Quellen, die von den Etruskern selber stammen, gänzlich verloren sind. Das meiste, was wir aus der antiken Literatur kennen, ist aus zweiter oder dritter Hand, aus griechischen und römischen Quellen. Man kann die Schrift der Etrusker zwar lesen, aber nur ganz, ganz Weniges übersetzen, sodass uns diese über 10.000 Inschriften, die wir haben, auch wenig weiterhelfen.

    Das lässt vieles rätselhaft erscheinen. Was Etrusker und Römer miteinander verbindet, ist, dass ja die eine Kultur, die römische, aus der anderen, der etruskischen, hervorgegangen ist. Man darf nicht vergessen, dass die Stadt Rom selbst eine etruskische Gründung etwa aus der Mitte des siebten Jahrhunderts vor Christus ist, dass bis 510 vor Christus Rom von etruskischen Königen regiert wurde, bis dann eben die römische Republik die etruskische Königsherrschaft bricht und in einem jahrhundertelangen Akkulturationsprozess die Römer ganz viel etruskisches Erbe vor allem auf dem Gebiet der Religion, aber auch der Architektur etwa übernehmen.

    Novy: ... aber das Etruskische selbst so überformt haben, dass davon nichts übrig blieb.

    Scholl: Ja, in einem Prozess, der etwa bis in das erste Jahrhundert vor Christus reicht, wird die etruskische Kultur von der römischen komplett aufgesogen, allerdings mit großen Spuren, auch nachvollziehbaren Spuren, im Römischen.

    Novy: Bis wann spricht man denn eigentlich von etruskischer Kunst?

    Scholl: Ja eben bis in den späten Hellenismus des zweiten und ersten Jahrhunderts vor Christus, dann ...

    Novy: ... da kann man den Unterschied noch sehen ...

    Scholl: ... ja, da kann man den Unterschied noch sehen und viele Denkmäler, und davon zeigen wir auch einige sehr interessante in unserer Ausstellung, etwa aus dem Bereich des Grabwesens, machen diesen Übergang sehr plastisch anschaulich.

    Novy: Auf welche Weise?

    Scholl: Zum Beispiel haben die Etrusker für ihre Grabbauten stets gern große Türsteine verwendet und wir zeigen zwei solcher Türsteine, die ganz etruskischer Tradition zeigen, aber bereits lateinische Inschriften aufweisen. Also hier ist dieser Übergang ins Römische mit Händen zu greifen. Ein anderer Traditionsstrang ist ohne Zweifel das Porträt. Das römische Porträt ist ja eine der großen Leistungen der römischen Kulturgeschichte, die bis in die Moderne nachwirkt. Und auch da gibt es Wurzeln, die eindeutig ins Etruskische und Kampanische verweisen. Und hier zeigen wir gleich mehrere Bildnisse, die für die Entstehung des römischen Porträts der Republik von Interesse sind.

    Novy: Aber vielleicht kann man das beschreiben?

    Scholl: Etruskische ...

    Novy: ... wie sieht zum Beispiel so ein etruskisches Grabporträt aus?

    Scholl: Ja, da treffen sich zwei Stränge, also einmal eine lange Tradition in der Herstellung sogenannter etruskokampanischer Votivköpfe. Das sind aus Ton gefertigte Bildnisse, die man in die etruskischen Heiligtümer, vor allem in Kampanien, gestiftet hat, die stark unter griechischem Einfluss stehen. Und aus dem eigentlich zentraletruskischen Bereich zwischen Tiber und Arno kennen wir eine Reihe von Kalksteinbildnissen, die sich durch einen sehr auffälligen Verismus, durch sehr realistische Züge, sehr lebensnahe Züge ausweisen. Und das ist dann eine Tendenz, die vom römischen Porträt der Republik ganz unmittelbar aufgegriffen worden ist.

    Novy: Das sind also Stücke, die die Beziehung, die enge Beziehung zwischen etruskischer und römischer Kunst zeigen. Gibt es auch solche, wo sich eine deutliche Absetzbewegung oder stärkere Beeinflussung durch andere Kulturen oder so was zeigt?

    Scholl: Ja es wird ja immer gerne gesagt, dass die etruskische Kunst massiv durch die griechische geprägt ist. Das ist sicher richtig, aber sie weist eben auch viele eigenständige Züge auf. Also die etruskische Kunst ist für uns jetzt zum ersten Mal im Übergang vom achten zum siebten vorchristlichen Jahrhundert greifbar und wir zeigen hier in unserem ersten Raum einen berühmten Grabkomplex aus Tarquinia, eine der wichtigsten etruskischen Städte ja ...

    Novy: ... nach Tarquinius, dem König ...

    Scholl: ... genau, also der Name ist davon abgeleitet. Dieses Kriegergrab zeigt im Übergang vom achten zum siebten Jahrhundert, um 700 vor Christus, bereits reiche Importe aus dem griechischen Bereich, die darauf zurückzuführen sind, dass die Etrusker eben in sehr intensiven Handelskontakt gerade mit dem östlichen Mittelmeerraum standen. Sie haben ja eine bis zum siebten Jahrhundert blühende Bronzeproduktion aufgebaut, haben Metalle exportiert, haben Fertigprodukte exportiert, haben diese Objekte getauscht mit den Griechen gegen keramische Dinge vor allem. Importieren dann im sechsten Jahrhundert in ganz großem Stil vor allem attische Waren, die sich in den Kammergräbern Ätoliens ja in riesiger Zahl gefunden haben.

    Novy: Andreas Scholl, der Direktor der Antikensammlung über "Italia Antiqua", die neue Ausstellung im Alten Museum in Berlin.