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Die etwas andere Tippgemeinschaft

Seit Donnerstag läuft die Leipziger Buchmesse, das Frühjahrsereignis der Literaturszene. 2000 Aussteller aus 29 Ländern sind dabei. Darunter ist auch das Leipziger Literaturinstitut. Dessen Studierende haben unter dem Titel "Tippgemeinschaft" pünktlich zur Messe eine Anthologie mit eigenen Werken herausgebracht.

Von Carsten Heckmann |
    Brockhaus auf der einen Seite, das Statistische Bundesamt auf der anderen. Dazwischen die Universität Leipzig mit ihrem Literaturinstitut. Es ist schon eine ungewöhnliche Mischung, auf die der Buchmesse-Besucher hier in Halle 3 trifft. Und am Stand des Literaturinstituts findet er dann auch noch ein ungewöhnliches Buch. "Tippgemeinschaft" steht drauf und studentische Texte sind drin. Eine Art Werkschau, aber irgendwie doch etwas anderes, meint der derzeitige Institutsleiter, der Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel:

    Werkschau nicht insofern, dass da jetzt vollständige große Werke präsentiert werden, sondern ein Werkstatteinblick, so würde ich das eigentlich betrachten. Es sind laufende Arbeitsprozesse und die Leute haben Texte herausgerückt, mit denen sie vielleicht gerade befasst sind. Mit dem vollen Risiko, dass das auch mal daneben gehen kann und dass das nicht alles in Marmor gemeißelt sein muss. Aber es soll natürlich jetzt auch schon Bestand haben. Es sollen schon Texte sein, die es auch wert sind, in so einer Anthologie gedruckt zu sein.

    45 der derzeit 65 Studierenden des Instituts haben Texte für das zehn Euro teure Taschenbuch beigesteuert. Es sind vor allem Prosa-Werke, Kurzgeschichten und Roman-Auszüge, aber auch Gedichte und sogar zwei szenische Texte auf den 264 Seiten versammelt. Die Anthologie ist die zweite ihrer Art, zur Buchmesse 2003 gab's die Premiere. Auch diesmal haben die Studierenden bis zum Schluss alle Fäden in der Hand behalten, vom Lektorat über das Layout bis hin zur Organisation von Satz und Druck. Vor allem der 24-jährige Claudius Nießen hat sich um das Buch verdient gemacht. Er sieht das Ganze auch als Weiterbildung:

    Jetzt weiß ich, wie man an Großhändler herantritt, jetzt weiß ich, wie man ein Buch verkauft, wie das mit dem Vertrieb funktioniert. Also: Man lernt auch viel auf verlegerischer Seite und das macht natürlich auch besonders Spaß.

    Jetzt sitzt Nießen am Messestand auf einem Hocker und wirbt fleißig für das fertige Buch. Hinter ihm ein Plakat, das die herrschaftliche Institutsvilla im Leipziger Musikviertel zeigt, vor ihm reges Messetreiben. Und Herausgeber Nießen genießt die Situation:

    Buchmesse macht auf jeden Fall Spaß, mit allem, was dort funktioniert, was gemacht werden muss, mit der Buchpräsentation, mit den Lesungen, und auch natürlich mit dem Dienst hier am Stand, mit den Leuten zu reden, die vorbei kommen und Informationen haben wollen... und natürlich diese Hektik oder diese Atmosphäre - das ist irgendwie was Besonderes!

    Man merkt: Hier findet einer Gefallen am Literaturbetrieb. Ganz anders als seine Kommilitonin Melanie Arns, die in Ihrem Buch-Beitrag schreibt: "Lieber Literaturbetrieb, ich habe Angst vor dir!" Derartige Selbstreflexionen sind ein beliebtes Motiv der angehenden Diplom-Schriftsteller. Obwohl man mit Verallgemeinerungen wirklich vorsichtig sein muss. Die Texte sind einfach zu verschieden. Es sind eben ganz unterschiedliche Charaktere, die hinter den Werken stecken. Dementsprechend macht sich Professor Treichel so seine eigenen Gedanken zum Titel der Anthologie:

    Also Tippgemeinschaft kommt glaube ich vom Lottospielen, wo man sich zusammentut, um dann den Hauptgewinn zu erzielen. Man muss es vielleicht ein bisschen dialektisch verstehen: Einerseits sind Schreibende immer Individualisten, Einzelgänger, Autisten, wie immer man das sehen will.

    Aber es sind eben auch Studierende und insofern ist es auch eine Gemeinschaft. Nicht die Schreibprozesse selbst, aber die Auseinandersetzung mit der Literatur, mit dem Geschriebenen. Das passiert eben bei uns in Seminaren, vor Seminaren, nach Seminaren. Und insofern ist es auch ein Stück Gemeinschaftlichkeit, aber es ist die Gemeinschaft der Einzelgänger.

    Es ist genau das, was die Leipziger Studierenden an ihrem Literaturinstitut schätzen und auch nächstes Jahr wieder in Buchform zeigen wollen: Sie sind gemeinsam allein.

    Buchmesse-Termine

    Tippgemeinschaft Buchpräsentation mit Release Party am Freitag, 26. März, 19 Uhr, im Deutschen Literaturinstitut, Wächterstraße 34, Leipzig

    Extra-Lesung am Sonntag, 28. März, 14 Uhr, am Messestand der Uni Leipzig, Neue Messe, Halle 3, C 211

    Buchinfo

    Tippgemeinschaft - Jahresanthologie der Studierenden des Deutschen Literaturinstitutes 2004, Hrsg. von Claudius Nießen, 264 Seiten, 10 Euro, Valvoline, Leipzig, ISBN 3-9809403-0-6