Archiv


Die EU und die Tibet-Frage

Knapp ein Jahr ist es her, dass es in Tibet zu einem Aufruhr kam, der von der chinesischen Armee brutal niedergeschlagen wurde. Die Situation in Tibet und die Menschenrechtsverletzungen werden bei Staatsbesuchen westlicher Politiker in China immer wieder angesprochen. Aber auch der Kontakt zu den Europäischen Institutionen ist für die Exil-Tibeter enorm wichtig.

Von Doris Simon |
    Ein unscheinbares Bürogebäude am Inneren Ring in Brüssel, ein paar Minuten entfernt vom Europäischen Parlament und der EU-Kommission. Ein kleines Metallschild mit der blau-rot-gelben Flagge der tibetischen Exil-Regierung weist darauf hin, dass sich das Tibet-Büro Brüssel im 3. Stock befindet.

    Hier residiert höchst bescheiden Tashi Wangdi, der Vertreter des Dalai Lama. Der Kontakt zu den Europäischen Institutionen ist für die Exil-Tibeter enorm wichtig, schließlich steht die EU-Kommission in ständigem Austausch mit der Regierung in Peking, regelmäßige Kontakte gibt es auch zwischen dem Europäischen Parlament und der Volksrepublik China. Das sei auch gut für die Sache Tibets, sagt Tashi Wangdi, solange die Europäer bei jedem Gespräch die Situation in Tibet und die Menschenrechtsverletzungen dort ansprechen:

    "Es ist sehr wichtig, das Thema am Leben zu halten und es immer wieder vorzubringen. Damit die chinesische Führung nicht glaubt, einfach so weitermachen zu können mit der derzeitigen Politik. Es ist wichtig, die Sorge über die Situation bei allen Gesprächen einzubeziehen."

    Dass Europas Politiker die Sorge um die Lage in Tibet auch wirklich vorbringen, daran hat Tashi Wangdi keinen Zweifel: Das Thema Tibet und die Menschenrechte gehörten inzwischen bei Chinagesprächen einfach dazu. Ohne eine Spur von Stolz erzählt der schmale Mann in dem braunen Wolljacket von der Bereitschaft, mit der viele in Brüssel ihn anhören, wenn er über die schwere Situation seiner Landsleute in Tibet berichtet. Tashi Wangdi sieht es dabei eher als Vorteil, dass die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China zunimmt: Je mehr Kontakte, desto mehr Öffnung und desto mehr Möglichkeiten, die Situation in Tibet zu verbessern, hofft der Vertreter des Dalai Lama. Und schließlich arbeitet in Brüssel nicht nur eine starke Lobby für engere Kontakte zur Wirtschaftsmacht China. Auch die Freunde Tibets haben sich organisiert: So gibt es im Europäischen Parlament seit 20 Jahren die Tibet Intergroup, der 100 Europaabgeordnete aus allen Parteien angehören. Vorsitzender ist der hessische CDU-Europaabgeordnete Thomas Mann.

    "Man muss unbequem sein. Power haben, um Ergebnisse zu erzielen. Setzt sich langsam auch bei vernünftigen Chinesen durch."

    Engagement für Tibet im Alltag europäischer Politiker ist ein zähes Geschäft: Treffen sich EU- Kommission oder Europaparlamentarier mit chinesischen Gesprächspartnern, wissen die Chinesen genau, was sie erwartet: die mehr oder weniger energisch vorgebrachte Sorge über die Unterdrückung der Menschen in Tibet. Die SPD-Europaabgeordnete Evelyn Gebhardt über die Reaktion ihrer chinesischen Gesprächspartner:

    "Das ärgert sie richtig. Das ist auch gut, dass es sie ärgert. Das bedeutet, dass es nicht egal ist, dass wir Einfluss haben, die Menschenrechtsfragen zu verbessern."

    Nach allen bisherigen Erfahrungen in Brüssel bedeutet dies vielleicht eine Auszeit, aber kein Aus für die Kontakte zu Peking. Trotzdem wäre es manchen Europaabgeordneten lieber, wenn sich nur der Menschenrechtsausschuss mit Tibet befassen würde und die China-Delegation sich allein um die Wirtschaftsbeziehungen kümmert. Doch da macht nicht nur die Grüne Helga Trüpel nicht mit:

    ""Ich finde das eine schwierige Arbeitsteilung, das kann man nicht machen."

    Dabei sind in der Europäischen Kommission Unterschiede durchaus spürbar: EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner spricht deutlich lauter und kritischer die Situation in Tibet an als dies die EU-Handels- und Verbraucherschutzkommissare tun. Doch für Tashi Wangdi, den Vertreter des Dalai Lama in Brüssel, ist entscheidend , dass das Thema in der Diskussion bleibt:

    "Das zeigt nicht unmittelbar Wirkung und verändert nicht auf einen Schlag die Regierungspolitik in Peking. Aber China will eine wichtige Rolle in der Welt spielen, will eine moralische Autorität sein. Auf eine unauffällige Art spielt Tibet für die chinesische Außendarstellung eine sehr wichtige Rolle. Sie behaupten ständig, in Tibet sei alles bestens, China tue sein Möglichstes. Das allein beweist, wie empfindlich sie bei dem Thema sind. Und das ist wichtig. Wenn dies nicht der Fall wäre, dann wäre die Situation in Tibet viel schlimmer."

    Seit den Unruhen vor einem Jahr regiert China in Tibet mit enormer Härte. Wie lange die Menschen noch still halten, fragt sich auch der Vertreter des Dalai Lama in Brüssel. Mit Sorge: Wenn die Menschen in Tibet sich mit Gewalt gegen die Unterdrückung wehren, dürfte in Brüssel das Verständnis für die tibetische Sache rasch abnehmen. Tashi Wangdi hofft deshalb auf die Geduld seines Volkes.

    "Wir sind moralisch im Recht. Wenn wir es schaffen, das der Welt und dem chinesischen Volk friedlich und ohne Gewalt in Erinnerung zu rufen, werden wir mehr Erfolg haben."