Fünf Stunden Aufführungsdauer hatte Nicolas Stemann angedroht, bei zwei ein Viertel ist es geblieben. So lange hielten die theatralischen Mittel, die dieser halbwegs offenen Performance der "Kommune der Wahrheit" als Stütze dienten.
Wahrheit – es muss schon dieser hochtönende Begriff sein, mit dem das Theater sich dem Thema Nachrichten nähert beziehungsweise der unentwegten Berieselung mit Nachrichten, die auf der Bühne der Halle E im Wiener Museumsquartier ihre Bilder findet für die verdächtige Wirklichkeitsmaschine: Flirrende Bildschirme rechts wie links, verkabelte Apparaturen, der unentwegt laufende Agenturenticker. Von der Decke hängen lange silbrige Schläuche, unter die sich die Schauspieler, alle im Kommuneoverall, ab und an setzen, um sich ihr Quantum Nachrichten in die Köpfe trichtern zu lassen.
Damit treten sie dann vors Publikum, denn sie sind heute alle Nachrichtensprecher, und es sind – echt! - die eben erst gehörten News des Tages, die in der gewohnten Absurdität ihrer beliebigen Abfolge heruntergebetet werden. Unruhen in der Türkei, Weltmilchtag, Tote im Irak, Heidi Klums Supermodel, Libanon, ein Tiertransport ist verunglückt.
Manchmal stockt der Redefluss der Schauspieler – erste Störungen -, die Rezitation einzelner weitet sich zum Chor und irgendwann zum Chaos: das erwartbare Ergebnis, wenn man sich dem Nachrichtenstrom lange genug aussetzt.
Für die Störungen in der Wirklichkeitsmaschine namens Nachrichten, die Dramaturg Carl Hegemann als ewige Wiederkehr des Neuen bezeichnet, ist jederzeit gesorgt. Testbilder rauschen vernehmlich, Newstexte werden als Märchen intoniert, Schauspieler erzählen davon, wie die Nachrichten ihnen in der langen Zeit der Kommune-Vorbereitung immer mehr personalisiert erschienen: Die Heuschrecken der Finanzwelt begannen vor ihren Augen wie richtige Insekten zu hüpfen; oder die Märkte erregten Mitleid: wieder so schwach heute, die armen Märkte! Und wenn sich das Kollektiv den Begriff leiden vornimmt und im Jammerton Nachrichten verliest, in denen immerzu jemand oder etwas unter jemand oder etwas leidet, dann hört man ein Stück jelinekartiger Sprachkritik, der man das Nachrichtenwesen allerdings öfter unterziehen dürfte.
Nachdem eine fiktive Nachrichtensprecherin der Gemeinde erklärt hat, dass Nachrichten alles, was in der Welt passiert, in ein Gehäuse der allgemeinen Beruhigung einkastelt. "Alles ist gut" -, erklärt ein echter Nachrichtensprecher des Österreichischen Fernsehens die Wirklichkeit offiziell für abgeschafft.
Damit wird der zweite Teil des Abends eingeleitet, das Nachdenken am Lagerfeuer der Kommune. Zweiter Gewährsmann aus der Realität da draußen: der Nachrichtenskeptiker Matthias Bröckers, dem wegen seiner unkonventionellen Ideen zu den Vorgängen des 11. September 2001 das Etikett Verschwörungstheoretiker anhängt. In der Diskussion um Möglichkeit oder Unmöglichkeit objektiver Wirklichkeitsdarstellung sagte er einen bezeichnenden Satz: "Man" habe "uns" vor dem Irakkrieg drei Jahre lang erzählt, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen. Als sei darüber nicht heftigst gestritten worden – in den Medien. So modelt man eine Kontroverse zur Gehirnwäsche. Eine interessegeleitete Unschärfe, die nahe am Konstruktionsfehler dieses ganzen Theaterexperiments liegt: das Nicht-Unterscheiden von Nachrichten, dieser erklärten Grundstufe des Journalismus, und der dahinterliegenden Interpretation. Aus Kommentar, Hintergrundrecherche, ja sogar Feuilleton wird zitiert, als sei alles dasselbe.
Vieles, was unseren Nachrichtenwahn bedenklich macht, klingt in Bühnenbild und Spiel durchaus an, von der gedankenlosen Übernahme sprachlicher Schablonen bis zur Illusion, informiert zu sein, nur weil den ganzen Tag CNN läuft. Aber eine bedenkenswerte Umdeutung des alten Objektivitätsproblems spielt sich hier nicht ab - bis vielleicht zum Beweis des Gegenteils in 5 Tagen. So lange spielt die Kommune und lässt sich täglich auf neue Einsichten ein, heißt es.
Mehr zum Programm:
Wiener Festwochen 2013
Wahrheit – es muss schon dieser hochtönende Begriff sein, mit dem das Theater sich dem Thema Nachrichten nähert beziehungsweise der unentwegten Berieselung mit Nachrichten, die auf der Bühne der Halle E im Wiener Museumsquartier ihre Bilder findet für die verdächtige Wirklichkeitsmaschine: Flirrende Bildschirme rechts wie links, verkabelte Apparaturen, der unentwegt laufende Agenturenticker. Von der Decke hängen lange silbrige Schläuche, unter die sich die Schauspieler, alle im Kommuneoverall, ab und an setzen, um sich ihr Quantum Nachrichten in die Köpfe trichtern zu lassen.
Damit treten sie dann vors Publikum, denn sie sind heute alle Nachrichtensprecher, und es sind – echt! - die eben erst gehörten News des Tages, die in der gewohnten Absurdität ihrer beliebigen Abfolge heruntergebetet werden. Unruhen in der Türkei, Weltmilchtag, Tote im Irak, Heidi Klums Supermodel, Libanon, ein Tiertransport ist verunglückt.
Manchmal stockt der Redefluss der Schauspieler – erste Störungen -, die Rezitation einzelner weitet sich zum Chor und irgendwann zum Chaos: das erwartbare Ergebnis, wenn man sich dem Nachrichtenstrom lange genug aussetzt.
Für die Störungen in der Wirklichkeitsmaschine namens Nachrichten, die Dramaturg Carl Hegemann als ewige Wiederkehr des Neuen bezeichnet, ist jederzeit gesorgt. Testbilder rauschen vernehmlich, Newstexte werden als Märchen intoniert, Schauspieler erzählen davon, wie die Nachrichten ihnen in der langen Zeit der Kommune-Vorbereitung immer mehr personalisiert erschienen: Die Heuschrecken der Finanzwelt begannen vor ihren Augen wie richtige Insekten zu hüpfen; oder die Märkte erregten Mitleid: wieder so schwach heute, die armen Märkte! Und wenn sich das Kollektiv den Begriff leiden vornimmt und im Jammerton Nachrichten verliest, in denen immerzu jemand oder etwas unter jemand oder etwas leidet, dann hört man ein Stück jelinekartiger Sprachkritik, der man das Nachrichtenwesen allerdings öfter unterziehen dürfte.
Nachdem eine fiktive Nachrichtensprecherin der Gemeinde erklärt hat, dass Nachrichten alles, was in der Welt passiert, in ein Gehäuse der allgemeinen Beruhigung einkastelt. "Alles ist gut" -, erklärt ein echter Nachrichtensprecher des Österreichischen Fernsehens die Wirklichkeit offiziell für abgeschafft.
Damit wird der zweite Teil des Abends eingeleitet, das Nachdenken am Lagerfeuer der Kommune. Zweiter Gewährsmann aus der Realität da draußen: der Nachrichtenskeptiker Matthias Bröckers, dem wegen seiner unkonventionellen Ideen zu den Vorgängen des 11. September 2001 das Etikett Verschwörungstheoretiker anhängt. In der Diskussion um Möglichkeit oder Unmöglichkeit objektiver Wirklichkeitsdarstellung sagte er einen bezeichnenden Satz: "Man" habe "uns" vor dem Irakkrieg drei Jahre lang erzählt, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen. Als sei darüber nicht heftigst gestritten worden – in den Medien. So modelt man eine Kontroverse zur Gehirnwäsche. Eine interessegeleitete Unschärfe, die nahe am Konstruktionsfehler dieses ganzen Theaterexperiments liegt: das Nicht-Unterscheiden von Nachrichten, dieser erklärten Grundstufe des Journalismus, und der dahinterliegenden Interpretation. Aus Kommentar, Hintergrundrecherche, ja sogar Feuilleton wird zitiert, als sei alles dasselbe.
Vieles, was unseren Nachrichtenwahn bedenklich macht, klingt in Bühnenbild und Spiel durchaus an, von der gedankenlosen Übernahme sprachlicher Schablonen bis zur Illusion, informiert zu sein, nur weil den ganzen Tag CNN läuft. Aber eine bedenkenswerte Umdeutung des alten Objektivitätsproblems spielt sich hier nicht ab - bis vielleicht zum Beweis des Gegenteils in 5 Tagen. So lange spielt die Kommune und lässt sich täglich auf neue Einsichten ein, heißt es.
Mehr zum Programm:
Wiener Festwochen 2013