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"Die FDP braucht es in der jetzigen Gestalt in der Tat nicht"

Wolle die FDP künftig als Partei überleben, so müsse sie sich unter einer neuen Führung "programmatisch völlig neu erfinden", urteilt der Politikberater Fritz Goergen. Westerwelle habe es nicht verstanden, die FDP klar zu positionieren und thematisch breiter zu fassen.

Fritz Goergen im Gespräch mit Peter Kapern | 05.04.2011
    Peter Kapern: Wir schauen noch einmal auf den Versuch der FDP, sich nach einer Serie von Wahlniederlagen neu zu positionieren. Im Moment – wir haben vor einer Stunde darüber berichtet – laufen in Berlin die Sitzungen der Parteigremien. Angesichts des sich rasant drehenden Personalkarussells droht aus dem Blick zu geraten, welch dramatische Auf- und Abwärtsentwicklung die FDP in der letzten Dekade durchgemacht hat. Zum Ende der Ära Kohl schien sie überflüssig zu sein, dann hauchte ihr Jürgen Möllemann neues Leben ein, startete die Mission acht, den Versuch, bei der Landtagswahl 2000 in Nordrhein-Westfalen aus der außerparlamentarischen Opposition aus dem Stand wieder acht Prozent zu erringen, was gelang und direkt in Guido Westerwelles Mission 18 mündete. Wir erinnern uns noch an den Aufkleber unter seinen Schuhsohlen. – Mit dabei als Berater in diesem Jahr war Fritz Goergen, und er ist nun bei uns am Telefon. Guten Tag.

    Fritz Goergen: Guten Tag.

    Kapern: Herr Goergen, vom Projekt 18, von 15 Prozent Stimmenanteil bei der Bundestagswahl 2009 bis hin zur aktuellen Existenzkrise, das ist ein kurzer, aber steiler Weg. Gab es dabei so etwas wie den Kardinalfehler, den die Liberalen gemacht haben?

    Goergen: Der Kardinalfehler war, dass die Führung der FDP nicht erkannt hat, dass sie dieses fast 15-Prozent-Ergebnis nicht ihrer Steuersenkungsforderung verdankte, sondern der massiven Unzufriedenheit vieler Unions-naher Wähler mit Frau Merkel.

    Kapern: Was hätte denn ein gewiefter Parteivorsitzender tun müssen, gleich nachdem die Wahllokale geschlossen waren und die Hochrechnungen mit den 15 Prozent einliefen?

    Goergen: Er hätte die FDP dramatisch neu positionieren müssen, thematisch und programmatisch wesentlich breiter aufstellen müssen. Er hätte dazu ja sogar an seiner Seite einen Generalsekretär schon gehabt, Lindner, der dazu in der Lage ist. Er hätte also aus dem Geschenk eines solchen Wahlergebnisses durch Untermauerung programmatisch und tagespolitisch ein Fundament zimmern können, das für eine wesentlich größere FDP in mittlerer Frist gereicht hätte.

    Kapern: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Goergen, die 15 Prozent, die die FDP bei der letzten Bundestagswahl errungen hat, waren nicht das Verdienst des Guido Westerwelle. Dass die FDP nun aber in einer Existenzkrise steckt, das ist seine Verantwortung?

    Goergen: Das zweite ist mehr seine Verantwortung als das erste, und erinnern Sie sich daran: er hat ja direkt nach der Wahl zunächst mal weiter in die Blechfanfare geblasen wie ein Oppositionspolitiker, als er aus mir unerfindlichen Gründen plötzlich über die Hartz-IV-Empfänger herfiel, und dann, nahe an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, als der Gegenwind nicht nur öffentlich war, sondern auch innerparteilich wurde, ist er von heute auf morgen verstummt und hat dann irgendwann angefangen, wieder einmal in seinem politischen Leben einen radikalen Rollenwechsel zu vollziehen, hin zum seriösen Außenminister, Staatsmann.

    Kapern: Nun wird es ja aller Voraussicht nach einen neuen Parteivorsitzenden geben. Aller Voraussicht nach heißt der Philipp Rösler. Braucht es eigentlich noch eine FDP in der Situation, in der wir uns befinden? Da ist die CDU für den Atomausstieg zuständig, die CSU hat Wirtschaftsliberale, die Grünen sind eine Partei der Bürgerrechte. Wofür braucht es die Liberalen noch?

    Goergen: Die FDP braucht es in der jetzigen Gestalt in der Tat nicht. Insbesondere braucht es sie mit Sicherheit numerisch bei der nächsten Bundestagswahl nicht für eine Regierungsbildung. Die wird die CDU entweder mit der SPD, oder den Grünen machen. Eine FDP, die nicht noch, sondern erneut gebraucht würde, kommt nur zustande, wenn eine neue Führung die FDP programmatisch völlig neu erfindet.

    Kapern: "unique selling point", den Sie der Partei empfehlen könnten?

    Goergen: Das ist der uralte Punkt, den die FDP nur leider im Laufe ihrer Geschichte immer mehr vernachlässigt hat. Der heißt Freiheit. Der Vorrang für Freiheit in allen Politikfeldern als tragendes Element, für das unverwechselbar nur eine Partei steht, wäre ein Markenzeichen, das sich ausbauen lässt und das mit Sicherheit auch in Größenordnungen über zehn Prozent vordringen kann.

    Kapern: Hat Philipp Rösler dieses Freiheitsverständnis, das sich den Wählern andienen ließe?

    Goergen: Ich glaube, dass sowohl Rösler wie Lindner und Bahr und noch zwei, drei Hände voll von ungefähr Gleichaltrigen, die in der zweiten und dritten Reihe stehen, durchaus in diese Richtung denken. Ob sie aber zusammen die Kraft aufbringen, die FDP in diese Richtung zu bewegen, da mache ich ein großes Fragezeichen, zumal eine wirkliche programmatische Erneuerung einer Partei in der Regel als Regierungspartei nicht gelingt.

    Kapern: Warum trauen Sie den jungen so wenig zu?

    Goergen: Sie müssen ja sozusagen alles, was ist, auf den Kopf stellen, und da gibt es quer durch die FDP, oben von der Führung angefangen bis runter in den letzten Ortsverband, unglaublich viele Leute, die sich an das, was die FDP jetzt ist, gewöhnt haben. Die FDP ist nicht durchdrungen von unzähligen Leuten, die darauf warten, dass eine solche neue junge Gruppe kommt und sagt, wir machen das jetzt mit der Freiheit als oberstem Wert wirklich ganz konsequent. Das müsste erst ein Prozess sein, der die ganze Partei erfasst. So etwas dauert und geht wie gesagt normalerweise nur in der Opposition.

    Kapern: Glauben Sie denn, dass die FDP noch die Zeit bekommt, um diesen Reformprozess anzuschieben, oder läuft ihr die Zeit bis zu den nächsten Bundestagswahlen – so lange ist das ja nicht mehr hin – davon?

    Goergen: Diese Gefahr besteht und wenn sie die nächste Bundestagswahl nicht besteht, wenn sie nicht ins Parlament käme, dann, denke ich, wäre das das Aus.

    Kapern: Fritz Goergen war das, der Politikberater, der mit seinen Ratschlägen schon Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann zur Seite gestanden hat. Herr Goergen, ich bedanke mich für das Gespräch und sage Danke schön!

    Goergen: Gerne!

    Kapern: Auf Wiederhören!

    Goergen: Tschüß!