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Die Fischer von Finistere

Finistere, so heißt der westliche Zipfel der Bretagne. Dort endet die Erde und beginnt das Wasser. An drei Seiten wird das Departement Finistere vom Ozean umspült. Bis heute prägt das Meer nicht nur die Landschaft, sondern auch das Leben vieler Menschen.

Von Bettina Kaps |
    Ikara, Celtika, Isthmia: Immer neue Trawler in leuchtenden Farben und mit klingenden Namen schippern in den Hafen von Le Guilvinec und laden ihre Fracht ab: Seeteufel mit weit aufgerissenen Mäulern, grauschwarze Tintenfische, gefleckte Katzenhaie, vereinzelt Hummer. Ein Seemann in gelber Ölkleidung hievt Kisten voll rosiger Langustinen über Bord.

    "Das war ein guter Tag heute! Obwohl wir zurzeit sehr weit fahren müssen, um Langustinen zu fangen. Für den Rückweg haben wir vier Stunden gebraucht. Ich kann mir das nicht erklären: Normalerweise finden wir die Tiere schon eine halbe Stunde vom Hafen entfernt."

    Eric Pochat ist Kapitän. Er ist um halb fünf Uhr früh in See gestochen, um die länglichen Krustentiere zu angeln. In den letzten Jahren ist seine Arbeit immer härter geworden.

    "Es gibt fast keinen Seehecht mehr und kaum noch Schollen. Seeteufel fischen wir zwar noch reichlich, aber wir müssen die Tiere regelrecht an ihrem Laichplatz aufspüren. Früher gab es die Lotte überall. Inzwischen sind alle Fische so trickreich geworden, dass es immer schwieriger wird, sie ausfindig zu machen."

    Im Hafen ist von Mangel nichts zu spüren. Bis zu 60 Fischarten tragen die bretonischen Fischer immer noch in die große Halle am Kai, wo der Fang versteigert wird.

    Wer erfahren will, wie die Fische ins Netz kommen, kann das Entdeckungszentrum Haliotika besuchen. Es liegt - ein wenig versteckt - auf dem Dach der Auktions das Meer eröffnet.

    Gaetane Launay leitet das kleine Museum. Sie zeigt auf einen Schaukasten, in dem zu sehen ist, in welchem Milieu die verschiedenen Fische leben und mit welchen Netzen, Leinen oder Käfigen sie gefangen werden.

    "Wir sind ein Hafen, in dem vor allem Edelfische verkauft werden wie Lotte, Saint Pierre und Langustinen. Das sind alles Fische, die auf dem Grund leben und mit Schleppnetzen gefangen werden."

    "Haliotika" organisiert für interessierte Besucher den Zugang zur Fischauktion, wo Touristen
    sonst nicht zuschauen dürfen.

    Die Fischhändler erkennt man leicht: Sie tragen das Handy in der einen und ein längliches Kästchen, das an ein Funkgerät erinnert, in der anderen Hand. Damit nehmen sie an der Versteigerung teil. Doch zuerst einmal begutachten sie den Fang. Ein flüchtiger Blick genügt: Klare Augen, rote Kiemen, glänzende Haut zeichnen frischen Fisch aus. Die Sirene läutet die Auktion ein.

    "Jeden Tag gibt es drei Versteigerungen, die erste um 6 Uhr früh. Da wird der Fang der Hochseefischer verkauft, die zwei Wochen auf See waren. Nachmittags kommen zuerst die Boote dran, die zwei Tage auf dem Meer waren und jetzt, um 17 Uhr, legen die Küstenfischer an mit ihrer ganz frischen Ware. Sie waren seit heute früh unterwegs."

    Jeder Fang ist etikettiert: das Boot, die Fanggründe, Datum, Gewicht, Fischsorte - alles ist elektronisch kodiert wie im Supermarkt. Ruckzuck wird der Fisch versteigert. Anschließend wird er noch in der Halle verarbeitet und kann schon wenige Stunden später in Deutschland oder Spanien verzehrt werden.

    Gleich hinter dem Hafen liegt das Stadtzentrum von Le Guilvinec mit kleinen Geschäften, Kneipen und Creperien. In dieser Jahreszeit ist es hier noch sehr ruhig. Meeresdelikatessen steht über einem Laden, dessen Tür weit offen steht. Drinnen arbeitet eine zierliche Frau, sie trägt kurze Haaren, einen rosa Pullover, schwarze Hose und - erstaunlicherweise - Ballerinas. Scarlette Le Corre schleppt einen Sack mit grobem Salz.

    "Heute Mittag war ich auf den Felsen und habe Algen gepflückt, jetzt muss ich sie verarbeiten. Ich züchte nur die japanische Braunalge Wakame. Die anderen Algen wachsen hier von allein. Ich verkaufe Meeresbohnen, die isst man wie grüne Bohnen. Da habe ich Meeressalat, den man wie Salat zubereiten, aber auch kochen oder frittieren kann. Und das hier ist Dulse, 35 Prozent reines Protein, sie ist rot."

    Scarlette Le Corre ist Tochter, Enkelin und Urenkelin von Fischern. Aber als Frau musste sie hart kämpfen, um ihren Traumberuf auch durchzusetzen. Inzwischen ist sie Anfang 50, sieht aber mindestens zehn Jahre jünger aus - Meeresluft und Algen halten fit. Auf einem Tisch hat sie ihre Waren aufgebaut: haltbar gemachte Algen, Algensenf, Algenmarmelade.

    Ihre Tochter ist Chocolatier. Gemeinsam haben die beiden Frauen sogar eine Algenschokolade kreiert, denn Algen, sagt Scarlette, heben den Geschmack des jeweiligen Nahrungsmittels hervor, das sie begleiten. Genug geplaudert: Die energische Frau geht in ihre Werkstatt, schüttet kiloweise Salz in ein Becken und wälzt darin den Meeressalat.

    "Dreimal bearbeite ich sie mit Salz. Danach sind diese Algen für alle Ewigkeit konserviert."

    Im Sommer veranstaltet Scarlette auch Kurse über Algen und wie man mit ihnen kocht.

    Die Küstenstraße gen Norden führt an weiten Stränden vorbei. Schon von weitem sichtbar ist ein 60 Meter hoher Leuchtturm aus dunkelgrauem Granit, der einen deutschen Namen trägt: Der "Phare d'Eckmühl" erinnert an einen Kriegsminister von Napoleon. Bei einer Schlacht in Bayern hatte der Marschall den Titel Fürst von Eckmühl ergattert. Seine Tochter aber verabscheute Krieg und wollte für den Vater Ablass leisten. Mit ihrem Erbe wurde an der dunkelsten und gefährlichsten Stelle der französischen Küste dieser Leuchtturm gebaut.

    Gefährlich ist auch das Meer vor der Landzunge La Torche. Dennoch rennen junge Männer in Taucheranzügen über den Strand, als hätten sie Angst die schönste Welle zu versäumen. La Torche ist ein Paradies für Surfer.

    "Das Wasser ist wunderbar, ein bisschen kalt zwar, aber die Wellen sind herrlich. Hier sind die Bedingungen zum Surfen immer gut. Wir sind ganz im Westen der Bretagne, deshalb kommt die Dünung so gut rein. Heute haben wir besonders Glück: Wir haben schöne Wellen, aber keinen Wind."

    Aus den Dünen jenseits der Küstenstraße ragt ein Kirchturm hervor. Die Kapelle Notre Dame de Tronoën wird auch die Kathedrale der Dünen genannt und besitzt den schönsten und ältesten Kalvarienberg der Bretagne. Im 15. Jahrhundert wurde hier das Leben Jesu Christi wie ein Bilderbuch in den Granit gehauen.

    Wir erreichen Douarnenez, Hochburg der Sardinenfischerei. Die Stadt liegt geschützt in einer riesigen Bucht, die besonders fischreich ist, weil sich dort warmes Gewässer mit dem kalten Iroise-Meer mischt.

    1853 gründete Robert Chancerelle in Douarnenez die erste Konservenfabrik der Welt. Drei Jahrzehnte später gab es bereits 40 Fischfabriken und die Zahl der Einwohner hatte sich verzehnfacht. Nur drei Firmen haben überlebt, darunter die Älteste, Chancerelle. Marc-Olivier Bernard ist dort Marketingdirektor.

    "Das Prinzip der Konserve hat der Franzose Nicolas Appert erfunden. Napoleon hatte ihn beauftragt, eine Lösung für seine Armee zu finden, denn wenn die Soldaten auf Kriegszug waren, gab es enorme Probleme mit der Haltbarmachung der Lebensmittel. Appert entdeckte, dass Lebensmittel nicht verderben, wenn sie in einer hermetisch verschlossenen Büchse sind, die erhitzt wird. Robert Chancerelle hat dieses Prinzip dann als erster bei Fisch angewendet: bei der Sardine."

    Einen Teil seiner Konserven produziert das traditionsbewusste Familienunternehmen immer noch in seinem alten, weiß getünchten Fabrikgebäude im Herzen der Stadt.

    Dort arbeitet Myriam Kerkrom. Die 40-jährige Frau ist gerne hier, obwohl die Arbeit hart ist. Während sie erzählt, leuchten ihre blauen Augen.
    "Wir köpfen die Sardinen, ziehen die Innereien heraus, und legen die Fische dann auf ein Gitter, damit sie später von den anderen Frauen weiter verarbeitet werden können."

    Myriam ist energisch und selbstbewusst - eine echte "Penn Sardine" - ein Sardinenkopf - so nennen sich die Arbeiterinnen in den Fischfabriken von Douarnenez seit 150 Jahren.

    Sie nimmt ein Messer in die Hand, greift sich einen Fisch vom Fließband: Ein gezielter Schnitt mit einer leichten Drehung - Kopf und Darm fallen in den Abfall. Die ausgenommenen Sardinen legt sie in eines der vorbei gleitenden Gitter. Mit dem Schwanz nach oben rollen die Fische in das Frittierbad. So lange wie ein "Ave Maria" dauert, brutzelt der Fisch in Sonnenblumenöl - das ist das Geheimnis der traditionellen Zubereitung, danach glänzt er, als sei er in feine Alufolie gehüllt. Die Konserven mit dem Markennamen Connetable gehen anschließend auf Weltreise - sie werden bis in die Feinkostläden von Hongkong und New York verschickt.

    Wer Douarnenez und seine Geschichte erkunden will, kann auf eine Art Schatzsuche gehen. Im Straßenpflaster sind Bronzenägel mit Sardinen eingelassen, sie markieren den Weg. Vom alten Stadtviertel Rosemeur führt er treppauf, treppab vorbei an kleinen Häusern mit leuchtend farbigen Fassaden bis hin zum alten Hafen Port Rhu, der heute ein schwimmendes Museum mit hundert Booten beherbergt. Unterwegs erzählen Schautafeln und Fotos die Geschichte der Stadt.

    Im Süden des Finistere liegt das alte Städtchen Concarneau. Dort zwängten sich bereits im Mittelalter die Häuser auf einer kleinen felsigen Insel mit Festungsmauern zusammen. Die "Ville close" ist nur über eine Brücke zugänglich. Die Altstadt besteht neben einem Fischereimuseum fast ausschließlich aus Souvenirläden. Im Winter ist sie angenehm leer.

    Von der Stadtmauer aus überblickt man den Hafen der Stadt mit seinen Jachten und der Hochseeflotte. Nur hier, in Concarneau, können Touristen auf die Trawler klettern, bevor die Schiffe wieder für zwei Wochen in See stechen. Möglich ist das, weil ein ehemaliger Matrose auf Reiseführer umgesattelt hat. Simon Allain besitzt die Schlüssel zu allen Kuttern, die hier ankern.

    Diesmal sucht er die Iroise aus, ein Schiff, auf dem er früher gearbeitet hat. Simon sperrt die Tür zur Kommandobrücke auf, bietet dem Besucher den Kapitänssessel an und erklärt die Messinstrumente. Dann führt er unter Deck in den Maschinenraum und in die Kombüse. Zucker und eingelegte Gurken stehen noch auf dem Tisch. Die Kajüten zeigt Simon allerdings nicht, das sei schließlich die Intimsphäre der Matrosen.

    "Mit Ausnahme des Kapitäns und des Chefmechanikers schläft die ganze Mannschaft im Schiffsbauch, fast neben dem Motor. Die Pritschen erinnern an Särge. Bei starkem Wellengang hebt sich die Schiffsschraube alle drei Minuten aus dem Wasser, dann brummt und vibriert es hier wie bei einem Erdbeben."

    Viel schlafen können die Matrosen ohnehin nicht. Sie arbeiten bis zu 18 Stunden am Tag. Simon Allain geht zum Heck des Schiffes, wo die Schleppnetze auf riesigen Trommeln aufgerollt sind. Er sieht seinen früheren Beruf durchaus mit kritischen Augen.

    "Hochseetrawler, das bedeutet auch: Die Netze reichen bis zum Meeresboden in 1500 Meter Tiefe, was natürlich problematisch ist, weil sie die Korallen beschädigen. Sie fischen quasi prähistorische Fische wie Grenadier, Sabre und Empereur. Das ist ein Fisch, der 150 Jahre alt werden kann. Wie lange das wohl noch so weitergehen kann? Keine Ahnung."

    Plötzlich geht die Sirene los. Ein Mechaniker steigt an Bord und schaut nach dem Rechten, offenbar ein Fehlalarm. Wir beenden den Rundgang und verlassen das Schiff. Heute, sagt Simon Allain, ist die Fischerei noch die "wirtschaftliche Lunge" des Finistere, vor dem Tourismus, doch angesichts der Überfischung könnte sich das bald ändern.