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Die fliegende Sternwarte

Astronomie.- Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt betreibt die NASA einen Jumbojet, der ein ganzes Teleskop an Bord hat: SOFIA heißt diese Sternwarte über den Wolken. Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen war bei einem Flug dabei.

Von Dirk Lorenzen | 19.09.2011
    Dryden Aircraft Operations Facility der NASA in Palmdale, Kalifornien, Freitag Vormittag 9.15 Uhr Ortszeit. Techniker und Astronomen treffen letzte Vorbereitungen für den Flug von SOFIA nach Deutschland.

    Wer nicht mit auf den langen Flug geht, verlässt noch schnell die Maschine. Dann schließen sich die Türen und die zur Sternwarte umgebaute Boeing 747 Special Performance steigt in die Luft. Das Innere des Jumbojets, der einst für Pan American im Liniendienst stand, sieht aus wie eine Mischung aus Werkstatt und Operationssaal. Wand- und Deckenverkleidung fehlen an vielen Stellen, Kabelstränge laufen kreuz und quer durch die Kabine, fast alle Sitze sind entfernt, dafür gibt es vier Computerkonsolen. Im Heck des Flugzeugs befindet sich hinter einer druckdichten Wand das in Deutschland gebaute Teleskop mit zweieinhalb Metern Spiegeldurchmesser. Lange vor Sonnenuntergang öffnet der Bordingenieur die Beobachtungsluke, damit sich das Instrument optimal an die Außenbedingungen anpasst. In der Kabine aber ist davon nichts zu spüren, staunt selbst der Chefpilot Troy Asher:

    Die Ingenieure hätten die Beobachtungsluke so gut konstruiert, dass die Luft wunderbar an der Öffnung vorbei ströme. NASA-Testpilot Asher und seine Kollegen im Cockpit lenken SOFIA in bis zu 14 Kilometer Höhe. Dort oben hat das Teleskop 99,9 Prozent des Wasserdampfs der Erdatmosphäre unter sich. Wasserdampf ist bei Astronomen verhasst, weil er die Infrarotstrahlung aus dem All absorbiert. Am Erdboden kommt davon nichts an, aber in der Flughöhe von SOFIA haben die Astronomen einen exzellenten Infrarotblick in die Tiefen des Alls und beobachten mit dem Teleskop Sterne, Planeten, Gaswolken und Galaxien.

    "Und laut Plan sollten wir in 20 Minuten in der Nacht sein oder in der Dämmerung sein, so dass wir die ersten Quellen finden können."

    Rolf Güsten arbeitet am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Er ist der Projektleiter des GREAT-Instruments, das während des Fluges zum Einsatz kommt. GREAT macht keine Bilder, sondern zerlegt die Strahlung aus dem All in ihre Wellenlängen – und das in der Tat auf großartige Weise, erklärt Urs Graf, Physiker an der Universität Köln:

    "Wir können sehr genau feststellen, bei welcher Frequenz oder welcher Wellenlänge wie viel Strahlung emittiert wird von der Quelle, die wir beobachten. ... Unser Hauptziel ist, genauer die physikalischen Bedingungen in den interstellaren Wolken zu untersuchen. Wie sind die Temperaturen, welche Stoffe sind da vorhanden? Wie bewegt sich das? Rotiert das? Stürzt das in sich zusammen? Expandiert das? Solche Sachen kann man eben nur mit der hochauflösenden Spektroskopie machen."

    Plötzlich macht die Maschine eine scharfe Rechtskurve – und an Bord steigt die Spannung. Das Teleskop empfängt die ersten Beobachtungsdaten. Über die Bildschirme flimmern Zahlenkolonnen, Bilder der Kontrollkameras und Messkurven. In dieser Nacht stehen die beiden Galaxien IC 342 und M 82 auf dem Programm.

    "Wir sind weit im Norden von Kanada auf dem Weg zurück nach Grönland. Die Route mit 342 wird uns dann südlich von Island führen, um dann auf Kurs für M82 zu nehmen, der uns dann bis an die Südspitze von Norwegen führt."

    Das SOFIA-Teleskop blickt nach links oben aus dem Flugzeug heraus und hat nur ein recht eingeschränktes Gesichtsfeld. Das erfordert eine ausgeklügelte Planung der Flüge. Die Piloten halten jetzt die Maschine stundenlang perfekt auf Kurs und die Astronomen spulen ihr Programm ab. Wegen des enormen Lärms an Bord sprechen alle über Mikrofon und Kopfhörer miteinander.

    In den beiden ausgewählten Galaxien entstehen gerade sehr viele Sterne. Mit SOFIA blicken die Astronomen im Infrarotbereich mitten hinein in die dichten Gas- und Staubwolken.

    Die Projektleiter halten mit manchem Scherz die Konzentration im Team aufrecht – auch wenn allmählich eine gewisse Müdigkeit in die Knochen kriecht, schließlich ist es drei Uhr morgens und der Hightech-Jumbo der NASA verfügt nicht einmal über eine Kaffeemaschine. Crewmitglieder, die ihre Arbeit erledigt haben, dösen in den Sitzen. Andere greifen zu Schokolade oder Sandwich – an Bord gibt es kein Catering, jeder muss Essen und Trinken selbst mitbringen. Mit 900 Kilometern pro Stunde rast SOFIA über den Nordatlantik. Hin und wieder wackelt das Flugzeug etwas, doch dem elf Tonnen schweren Teleskop kann so etwas nichts anhaben, betont Urs Graf:

    "Das ganze Teleskop schwimmt praktisch auf einem Ölfilm. Es ist so ausgelegt, dass es immer auf die astronomische Quelle, die wir beobachten, schaut."

    Hat das Teleskop einmal ein Objekt fixiert, halten Kreisel es stabil. Das Teleskop ist dann von der Bewegung des Flugzeugs getrennt, SOFIAs Blick ist wie festgenagelt. Das Teleskop könnte noch eine Euro-Münze in fünf Kilometern Entfernung präzise anvisieren. Mehr und mehr Daten erscheinen auf den Monitoren von Jürgen Stutzki, Astrophysiker an der Universität Köln und stellvertretender Projektleiter des GREAT-Instruments:

    "In der Galaxie bilden sich jede Menge neue Sterne im Zentrum. Deshalb ist die Anregung von dem ionisierten Kohlenstoff, den wir jetzt sehen, ganz anders im Zentrum als weiter draußen. Deswegen benutzen wir diese Linie, um das warme Gas in der Sternentstehungsregion im Zentrum der Galaxie genauer zu untersuchen."

    SOFIA erforscht, wie Sterne und Planeten entstehen – und geht damit unserem eigenen kosmischen Werdegang nach. Allmählich geraten die Wissenschaftler unter Zeitdruck. Die Maschine kann den für die Beobachtungen nötigen Kurs nur noch wenige Minuten halten.

    Der Flugplan zwingt die Astronomen, ihre Beobachtungen zu beenden.

    Sekunden später nimmt SOFIA mit einer steilen Rechtskurve Kurs Richtung Flughafen Köln-Bonn. Gut 70 Einsätze hat SOFIA seit seinem Erstflug im Juni 2010 absolviert. Noch haben die wissenschaftlichen Flüge der Infrarot-Sternwarte etwas von abenteuerlichen Expeditionen. Doch die Astronomen sind zuversichtlich, dass spätestens im kommenden Jahr das fliegende Observatorium routinemäßig bis zu dreimal wöchentlich startet – und Jürgen Stutzki und seinen Kollegen in aller Welt bis mindestens zum Jahr 2030 einzigartige Infrarot-Blicke ins All ermöglicht.

    "Es war insgesamt eine sehr erfolgreiche Nacht, weil wir die beiden Targets bekommen haben. Insgesamt sollen wir zufrieden sein, denke ich."